Es gibt Momente, da glaubt man sich im Gestüt Graditz in einem Museum. In einem Pferdemuseum. Etwa, wenn die Schritte in den Pensionspferdestall gelenkt werden, der gerade einer totalen Restaurierung unterzogen wurde. 838.000 Euro hat das gekostet, das steht schwarz auf weiß in dem Prospekt, der eigens zur Wiedereröffnung dieses Stalles und des Torhauses aufgelegt wurde. „Das hätte aus privater Hand gar nicht finanziert werden können“, sagt Hans Wirth, „das bekommen wir so dazu.
Das ist doch schon einmalig.“ So ganz ist die Tinte noch nicht trocken auf dem Vertrag, den der Inhaber eines florierenden Fensterbauunternehmens unterschrieben hat. Seit dem 1. September ist er der Pächter des privatisierten Vollblutbereichs in Deutschlands ältestem Gestüt. Und profitiert indirekt davon, dass der Freistaat Sachsen weiterhin seine finanzielle Hand über das Gestüt inklusive der denkmalgeschützten Baulichkeiten hält.
Graditz ist gelebte Geschichte. August der Starke hat das Torhaus zwar nicht mehr gesehen, als dieses errichtet wurde, war der offizielle Gründer des Gestüts schon tot, aber viel später war es nicht. Um 1800 wird es entstanden sein, unter der Ägide des Oberlandbaumeisters Christian Traugott Weinlig. Ein Kleinod der damaligen Architektur.
Doch von der Vergangenheit kann Graditz nicht leben, es geht darum, sich im hart umkämpften deutschen Vollblutmarkt zu behaupten und das ist in der jüngeren Vergangenheit schwer gefallen. Nach der Wende pachtete der bayerische Unternehmer Markus Buchner den Vollblutpart, die Aussichten waren zunächst gut. Doch gab es Rückschläge, insbesondere im Rennstall, sie dämpften die Euphorie, es gab schon so etwas wie einen Investitionsstop, was den Zuchtbestand anbetraf. Und es war auch frühzeitig klar, dass Buchner den Pachtvertrag nicht verlängern würde.
Gestütsleiter Steffen Bothendorf dürfte schon etwas ins Grübeln gekommen sein, wenn er an die Zukunft des Vollbluts in Graditz gedacht hatte, doch gab es am Ende doch eine „interne“ Lösung. Hans Wirth, seit einiger Zeit mit einem Teil seiner Mutterstuten Pensionär, stieg ein, was dann doch eine Art Wunschlösung war.
Über zehn Jahre hat der in Waghäusel im Badischen lebende Wirth nun schon Pferde, eines seiner ersten und bisher besten kaufte er – in Graditz.
„Ein Cousin hat mich in Baden-Baden mit zur Rennbahn genommen, ich habe sofort Feuer gefangen“, erzählt er, „und schon bald habe ich mir gesagt, ich kaufe mir einen Jährling.“ Norbert Sauer war der erste Trainer des Vertrauens, man fuhr nach Graditz, dort wurden drei Jährlingshengste in die Reithalle gelassen. „Ich habe den Wildesten gekauft“, weiß Wirth noch. Das war der Darshaan-Sohn Kyelid, der 1999 im Training bei Fredy Gang unter Ray Cochrane das Österreichische Derby gewann, fünfjährig Seriensieger in schweren Handicaps in Frankreich vorne war und für gutes Geld an Francois Doumen verkauft wurde.
Es war ein guter Start, Wirth hatte Blut geleckt, stieg größer ein und hatte sein bisheriges Highlight mit der Stute Samando, Gruppe-Siegerin, Vierte 2006 im Großen Preis von Baden. In Hong Kong ist sie gelaufen, in Toronto und Singapur, ein echtes Spaßpferd. Aktuell hat sie ein Hengstfohlen von Shamardal, noch steht sie in Frankreich, wechselt möglicherweise aber auf Dauer nach Graditz.
Dorthin war der Kontakt nach dem Ankauf von Kyelid nie abgerissen und als es zum „Schwur“ kam, hat Wirth genickt – auch wenn seine Heimat eigentlich fünfhundert Kilometer weiter westlich liegt. „Geschäftlich trete ich inzwischen aber etwas kürzer“, sagt er, „und das Umfeld hat mich unheimlich fasziniert. Ich habe mich ganz genau mit den Konstellationen beschäftigt und dann entschieden, das Wagnis einzugehen. Weil alles stimmt. Das Geld, das hier aktuell in die Baulichkeiten investiert wurde, hätte man privat gar nicht reinstecken können.“
Der Pachtvertrag mit dem Freistaat ist auf mehrere Jahre angelegt, die Räumlichkeiten können genutzt werden, 120 Hektar an Koppeln stehen zur Verfügung. Natürlich werden peu a peu die sieben eigenen Mutterstuten eingebracht, der Pensionsbetrieb soll ausgebaut werden, immerhin stehen insgesamt 96 Boxen zur Verfügung.
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