„Man sollte mehr an uns glauben“

Montagmittag gegen 12 Uhr, Haupteingang Gestüt Röttgen. Rund 24 Stunden ist es her, dass Maxim Pecheur mit Nimrod den Großen Preis von St. Moritz gewonnen hat. Für den 27-jährigen Jockey am Championatsstall von Markus Klug in Röttgen ist es fast schon wieder im wahrsten Sinne des Wortes Schnee von gestern. Zwischen seinem Triumph auf dem zugeschneiten Moritzsee im Engadin und dem Kaffee, den wir nun gemeinsam in einem Café in Rath-Heumar trinken, liegen zwölf Stunden Autofahrt und fünf gerittene Lots bei Markus Klug. „So ist halt mein Beruf, doch wenn man gewinnt, geht alles viel leichter“, so Maxim Pecheur, der keinerlei Anzeichen von Müdigkeit oder Konzentrationsschwäche während unseres gut einstündigen Gesprächs zeigt. Der Erfolg des von Miroslav Weiss trainierten Nimrod im wichtigsten Rennen des Schweizer Rennjahres am letzten Sonntag war keine Überraschung. „Ich hatte mit Nimrod schon bei der Generalprobe leicht gewonnen. Die Form wurde anschließend vollauf bestätigt, daher hatten wir schon viel Mumm für den Grand Prix. Im Rennen lief dann auch alles nach Plan, ich hatte früh eine gute Ausgangslage, in der Zielgeraden bekamen wir alles recht locker geregelt. Für eine Feier, selbst für eine kurze, blieb im Nobelort allerdings keine Zeit. Es galt: umziehen, frisch machen, ab ins Auto, zurück nach Deutschland.      

Reiten und Reisen
Der Ablauf war kein Neuland für einen Jockey, der nach eigenen Angaben jährlich 100.000 Kilometer mit dem eigenen Auto und noch einmal die gleiche Anzahl an Kilometern bei Mitfahrgelegenheiten herunterschrubbt. Nicht nur im Februar bei den Schneerennen in St. Moritz schwang sich Maxim Pecheur in der Schweiz in den Rennsattel, auch im Verlauf der vergangenen Saison reiste er bereits öfter ins Land der Eidgenossen. „Für dieses Jahr habe ich auch Einsätze für die Schweizer Guineas, Derby, Diana und St. Leger geplant. Mal sehen, was sich umsetzen lässt, denn die Ritte hierzulande gehen natürlich vor“, so der 27-jährige Jockey, der einer der meistbeschäftigten Reiter hierzulande ist. 511 Ritte kamen im letzten Jahr im In- und Ausland zusammen, 66 Mal kehrte er als Sieger zurück. Es sind nicht viele Jockeys, die auf mehr Einsätze kommen. „Das ist so das Ziel, das ich mir auch in diesem Jahr setze“, auf die Frage nach seiner diesjährigen Perspektive. „Ich kann 52 Kilo reiten, zum Glück habe ich noch nie eine Vorliebe für Süßigkeiten gehabt. Ich lebe zwar diszipliniert, aber groß kämpfen brauche ich nicht, um 52 Kilo zu reiten.“  
Mehr als 500 Ritte, 66 Siege und – der ganz große Hit des Jahres – der Triumph im Deutschen Derby mit Windstoß. Ein Rennjahr zum Einrahmen? „Klar war das eine tolle Saison für mich, das Derby zu gewinnen, ist doch das Größte für jeden Jockey.“ Kurz vor zwölf war er zu diesem Derbyritt gekommen. „Ich hatte Windstoß zwar im Union-Rennen geritten und er lief ja hinter seinem Trainingsgefährten Colomano ein starkes Rennen, aber dass ich ihn auch im Derby reiten sollte, die Entscheidung fiel erst spät“, erinnert sich Maxim Pecheur und natürlich auch noch an den Rennverlauf im Derby. „Das fing erst einmal gar nicht gut an. Ich sollte mit Windstoß im erweiterten Vordertreffen mitgehen, mir eine gute Lage suchen. Doch es kam anders als geplant. Nach dem Start gerieten wir schnell ins Hintertreffen, aber dann gilt es auch, nicht irgendwelche blödsinnigen Aktionen zu starten und ruhig zu bleiben. Im letzten Bogen habe ich Windstoß herausgezogen, da ich nicht von zahlreichen geschlagenen Pferden behindert werden wollte. Ich dachte mir, wenn er die Reserven hat, dann geht es auch auf diesem Wege.“ Bekanntlich kam der lange, durchschlagskräftige Speed des Röttgeners zum Tragen, und so gab es nach einer ewigen Zeit des Wartens erstmals wieder einen Sieg für die 4711-Farben im Deutschen Derby. „Am Abend haben wir in Hamburg mit allen Beteiligten in einem sehr schönen Restaurant auf den Derbysieg angestoßen und sehr lecker gegessen“, so der Mann, der im letzten Jahr erst seinen zweiten Derbyritt hatte und somit auf ein Erfolgserlebnis kam, auf das solche jahrzehntelangen Spitzenjockeys wie Fritz Drechsler, Peter Schiergen oder Peter Remmert ein Jockeyleben lang verzichten mussten. Hat der Derby-Sieg mit Windstoß irgendetwas im Leben von Maxim Pecheur verändert? „Ich denke schon, dass man nach dem Derbysieg als Jockey etwas anders wahrgenommen wird, vor allem mit mehr Respekt. Aber ansonsten hat sich nichts Entscheidendes verändert, auch nach einem Derbysieg geht der Prozess normal weiter.“

„Wir sind nicht schlechter“
Was Maxim Pecheur vor allem gefreut hat, ist auch die Tatsache, dass ein in Deutschland tätiger Jockey das Derby gewonnen hat. „Man war ja für Windstoß auf der Suche nach einem Spitzenjockey aus dem Ausland, doch es klappte nicht. Ich denke, ohne jetzt irgendjemandem zu nahe zu treten, dass es im Grunde auch gar nicht nötig ist, ausländische Jockeys zu verpflichten. Wir haben hier viele sehr gute Jockeys, Toptrainer und Spitzenpferde, die allesamt auch im Ausland große Rennen gewonnen haben. Man muss viel mehr an unsere Leute und Pferde glauben“, wird Maxim Pecheur sehr deutlich. Er nennt auch ein Beispiel, das möglicherweise mit dem Derby-Erfolg in Verbindung steht. „Im Herbst rief mich Simon Stokes an. Er hatte mit dem englischen Trainer Simon Crisford, der eine Stute ins Listenrennen nach Hannover schicken wollte, gesprochen und mir den Ritt angeboten. Ich hatte für diesen Renntag bereits Ritte in Hannover angenommen und freute mich, dass ich auch diesen Ritt auf der englischen Stute bekam. Mit ihr habe ich auch gewonnen, Herr Crisford hätte ja auch einen englischen Jockey mitschicken können. Wenn er kein Vertrauen in mich gehabt hätte, wäre ich doch wohl nie für ihn in Frage gekommen. Oder?

Tolles Team – tolle Pferde
Geboren im November 1990 in Pforzheim kam Maxim Pecheur aus purem Zufall zum Jockeyberuf. Seine Eltern führten, als er sein Abitur bestanden hatte und mit dem Gedanken, Psychologie zu studieren, auf das 20. Lebensjahr zusteuerte, ein Hotel mit Restaurant in Saarbrücken. Werner Schmeer, Vorstandsmitglied des dortigen Rennvereins, war dort mit seinen Freunden des Stalles Saarbrücken häufiger zu Gast. „Ich hatte mich bereits für das Studium in der Uni eingetragen, stand dann aber für ein, zwei Jahre auf der Warteliste. Herr Schmeer machte mir dann den Beruf eines Jockeys schmackhaft. Ich bekam großes Interesse, worauf er die entscheidenden Schritte einleitete. Ich begann die Ausbildung bei Christian von der Recke.“ Dort lernte Maxim Pecheur auch Lena Mattes kennen. Mit der Amateurreiterin, die auch in der Siegerliste der „Perlenkette“ steht, ist er bis heute liiert, beide leben in Lohmar. Von dort aus sind es rund 20 Autominuten bis zum Quartier von Markus Klug. Maxim Pecheur spricht von einem Spitzentrainer, Spitzenpferden und einem tollem Team in Röttgen. „Alle Jockeys, die dort arbeiten, stehen in den Top Ten oder haben wie Andreas Helfenbein im letzten Jahr Gruppe-Rennen gewonnen. Adrie de Vries ist die Nummer eins, dahinter stehen Martin Seidl, René Piechulek und ich quasi auf einer Stufe. Wer dann wo und wen reitet, teilt der Trainer auf“, so die Hierarchie im Championstall. Keine Frage, Maxim Pecheur geht davon aus, dass die Pferde aus Heumar auch in diesem Jahr einiges bewegen werden. Er nennt unter den Dreijährigen an erster Stelle Winterfavorit Erasmus, die Winterkönigin-Zweite Suada, Windstoß-Bruder Weltstar, den Dschingis Secret-Bruder Destino oder den Ittlinger Starmax, fügt dann gleich an, dass auch noch einige bislang ungeprüfte Pferde so einiges erreichen könnten. „Meistens kommt es ja anders, als man denkt.“ Hat Maxim Pecheur ein oder vielleicht mehrere Vorbilder? „Ja, aber das sind die, die in meiner Nähe sind. Adrie (de Vries Anm. d. Redaktion) ist ein großer Gentleman, wie Filip (Minarik) sich nach seiner Krankheit zurückgekämpft hat, oder Jozef (Bojko) seit vielen Jahren ohne Wenn und Aber zweiter Mann bei Andreas Wöhler ist und wie es Alex (Pietsch), im Grunde von Null aus dem Osten gekommen, hier zum Champion gebracht hat, das sind für mich die wahren Größen. Und natürlich auch, was Andrasch (Starke) vor allem auch im Ausland gewonnen hat und wie er den deutschen Rennsport bekannt gemacht hat, ist großartig.“

Bei aller Freude über das so erfolgreiche letzte Jahr oder den so erfolgreichen Start in die neue Saison wird Maxim Pecheur auch nachdenklich. „Ich will nicht klagen oder jammern, aber man darf nicht vergessen, dass wir einen hohen Preis zahlen und im Grunde zu wenig zurückbekommen. Ich arbeite, wie so viele, als selbstständiger Reiter. Die Kosten, die anfallen, sind immens hoch, der Ertrag für das Erreichte ist einfach zu gering. Wir bekommen 4,7 Prozent von der Gewinnsumme, die Reisekosten muss man selber anfordern. Da bleiben leider viele Rechnungen offen. Man arbeitet die ganze Woche, dann kommen am Wochenende die Reisen. Es gibt auch einfach zu wenig Renntage. Und dann das Risiko, unser Job ist saugefährlich. Glauben Sie mir, der Autoverkäufer, der dort drüben  im Autohaus im Angestelltenverhältnis beschäftigt ist, steht nach fünftägiger Arbeit von 8 bis 18 Uhr besser da. Aber, ich freue mich halt jetzt schon wieder auf meine nächsten Ritte. “

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