Dienstag, 19. Juni. Noch gut anderthalb Wochen bis zum BMW 138. Deutschen Derby. Ein ruhiger Sommertag, so scheint es zumindest. Doch für einen Neutrainer, der im Blauen Band zwei der Favoriten und einen chancenreichen Außenseiter sattelt, ist alles anders. Der Mann absolviert einen Full-Time-Job, gerade in den Tagen vor dem wichtigsten Rennen im Leben eines Rennpferdes, aber auch in der bisherigen Karriere des 38-jährigen Jens Hirschberger.
Bereits morgens um kurz nach acht Uhr gibt der Coach eine wichtige Terminänderung durch. „Ich habe noch einige Termine, es wird eng“, meint er am Telefon, zieht ein Treffen in Köln aus organisatorischen Gründen einem Meeting auf dem nagelneuen Trainingsgelände in Quadrath-Ichendorf vor.
Doch ansonsten wirkt unser Gesprächspartner absolut gelassen, ist sich zwar der Bedeutung des großen Ereignissen voll bewusst, doch übertriebene Hektik kennt man von dem Newcomer nicht. Auch Euphorie ist ihm fremd, dem Betreuer von Persian Storm (der Programm-Nummer eins im Derby und imponierenden Sieger im German Tote – Bavarian Classic), von Adlerflug,dem beeindruckenden Gewinner im Preis des Hannover Airport) und von Sommersturm, der im Oppenheim-Union-Rennen den vierten Rang belegte.
Zumal es lange gar nicht danach ausgesehen hatte, als sei er so gut gerüstet wie es nun der Fall ist. „Im März war ich relativ skeptisch“, rekapituliert Jens Hirschberger, der Trainer der Schlenderhan- und Ullmann-Pferde. „Da sah es gar nicht danach aus, als hätten wir ein Derby-Pferd.Allerdings war Persian Storm schon im vergangenen Jahr bei Peter Schiergen ein Hoffnungsträger.
Das war vielleicht der einzige, den man im Auge haben konnte, die anderen sind erst peu a peu nachgerückt. Aber auch er kam erst viel später an den Start, als wir vorgesehen hatten.“
Im Dortmunder Sparkassenpreis landete Persian Storm nur auf einem etwas enttäuschenden sechsten Platz. Natürlich handelt es sich um das Saisondebut, war das Pferd längst noch nicht auf dem Höhepunkt. „Das Laufen war eine kleine Enttäuschung, aber damals hatte er nur 75 Prozent seines Könnens zur Verfügung. Es sollte ein Aufbaustart werden, eigentlich sollte er ja schon viel früher herauskommen, doch es kamen immer wieder Kleinigkeiten dazwischen. Vielleicht dankt er es uns, da er noch ein frisches Pferd ist“, erläutert Hirschberger.
„Wir hatten in Dortmund keinen Sieg erwartet. Dieses Rennen haben wir aus unseren Köpfen gestrichen. Hinter den anderen Pferden hat er sich aufgerieben und überhaupt nicht beruhigt. Wir haben danach den Plan geändert und ihn nach München geschickt und außerdem die Taktik geändert. Persian Storm ging von der Spitze aus, es hat alles riesig geklappt.“
Offensichtlich braucht der Hengst auch einen starken Reiter, den man in Stalljockey Terry Hellier natürlich zur Verfügung hat. „Terry stand früh zu ihm. Persian Storm soll wieder im Vordertreffen gehen. Etwas Angst habe ich zuletzt wegen der langen Münchener Geraden, aber das Pferd hat immer weitergekämpft. Ganz ist die Skepsis wegen des Stehvermögens noch nicht weg, aber er galopierte so, als ob es für ihn auch weiter gehen kann.“
Natürlich sei schon ein gewisser Druck da, wenn man die Nummer eins ins Blaue Band schickt. „Überhaupt ist es aufregend, im ersten Jahr drei bis vier Starter zu haben. Es sind alles unterschiedliche Charaktere. Weicher Boden wäre für Persian Storm von Vorteil. In München kam ihm das Geläuf entgegen.“
Zum engsten Favoritenkreis zählt natürlich der In the Wings-Sohn Adlerflug, der nach seinem überzeugenden Hannover-Triumph nun einen weiteren Höhenflug anstrebt. „Eigentlich hatte ich nach den Erfahrungen von seinem Maidensieg gedacht, er würde langsam auf die Beine kommen. Doch dann war er auf der Neuen Bult wie die Feuerwehr raus aus der Maschine und ging an zweiter Position“, berichtet der Coach.
„Im Schlussbogen hatte ich Bedenken, er würde seinen Platz verlieren, aber dann hat er sich im Einlauf auf einen Schlag beeindruckend gelöst.“ Und dann kommt noch ein ganz besonderes Lob aus seinem Mund: „In diesem Jahr hat noch kein Dreijähriger so beeindruckend gewonnen wie er.“
Erneut genießt Fredrik Johansson (sofern ihn sein Sturz am vergangenen Wochenende nicht außer Gefechzt setzt) das Vertrauen der Schlenderhan-Mannschaft. „Wir haben das schon kurz nach Hannover festgemacht. Rüdiger Alles hatte uns bereits signalisiert, dass Eddie Ahern für Appel Au Maitre kommen würde, für den der Jockey auch im Gespräch war. Er hat das Pferd in Hannover bestens geritten, ist der Top-Reiter in Skandinavien und hat richtig Mumm für das Derby“, lässt Jens Hirschberger durchblicken.
Neben Persian Storm (Besitzer Georg Baron von Ullmann) und Adlerflug (Gestüt Schlenderhan) hat der Trainer mit Sommersturm aber noch ein weiteres heißes Eisen im Derby-Feuer. Und bei jenem Sommersturm handelt es sich um einen der großen Aufsteiger der vergangenen Wochen. Maidensieg, Ausgleich III-Treffer und Rang vier in der Union, dicht bei den Protagonisten wie Axxos. Da dürfte der Tiger Hill-Sohn mehr als nur ein Überraschungskandidat sein.
Das sieht Jens Hirschberger, der sich auf keine feste Rangfolge bei seinen Pferden festlegen möchte, ähnlich: „Sommersturm haben wir es zunächst so leicht wie möglich gemacht. Beim Erfolg in Frankfurt war er noch ein Baby. Wir hatten dann das Dortmunder Listenrennen im Auge, aber haben doch ein Handicap vorgezogen. Andreas Göritz, der den Hengst damals geritten hat, hat genau das gemacht, was wir wollten. In der Union hatte Sommersturm im Einlauf einen kurzen Hänger, zog dann aber sehr gut durch.
Eigentlich wollten wir zumindest Dritter werden, aber er war als Vierter dichtauf. Im Derby sitzt Darryll Holland im Sattel.“
„Alle unsere Pferde sind frisch und munter, gehen in der Woche vor dem Derby nur noch leichtere Arbeiten. Elastischer Boden wäre vorteilhaft. Ich denke, dass Adlerflug am wenigsten an bestimmte Verhältnisse gebunden ist. Am Samstag werden sie anreisen. Wir werden auch bei solch einem Rennen mehr Leute mitschicken, da man auf Nummer sicher gehen muss, dass nichts passiert.“
Um ja nichts dem Zufall überlassen, bevorzugt Jens Hirschberger am Derby-Tag ganz besondere modische Accessoires. „Den Anzug wie beim letzten Platz von Sybilia in den 1000 Guineas und von Miramare am Tag der Diana, als sie vom Start verwiesen wurde, trage ich bestimmt nicht. Ich habe aber vor die selbe Krawatte wie bei Avisos Erfolg im Mehl-Mülhens-Rennen, meinem ersten Klassiker, anzuziehen“, spielt auch ein klein wenig Aberglaube mit.
Allerdings weiß der Trainer, dass es auch ein Leben nach dem Derby gibt: „Ziel ist der Sieg und dass sich alle Pferde ordentlich verkaufen. Ich hoffe, dass keiner meiner Kandidaten am Rennverlauf scheitert. Wenn man nach einem glatten Rennen geschlagen wird, ist das weniger ein Problem. Sehr beeindruckt hat mich Andreas Wöhlers Conillon, auch optisch. Ich habe damals in Dortmund gesagt, das könnte der Derbysieger sein. Ihn schätze ich als unseren Hauptgegner ein.“
Um scherzhaft anzufügen: „Andreas Wöhler ist sehr gut gerüstet, aber auch Aidan O´Brien hatte sechs Pferde im Englischen Derby und nicht gewonnen. Eine große Anzahl an Startern ist noch keine Garantie für den Erfolg.“
Erfolg ist aber bereits zu einem Markenzeichen des Jungtrainers Hirschberger geworden. Ein Klassiker (Aviso in Köln), der Gruppetreffer mit Persian Storm in München und ein ausgezeichneter Schnitt von fast 40 Prozent Siege/Starts – man wird auf Schlenderhan diese Ziffern mit einiger Genugtuung zur Kenntnis genommen haben. Lediglich das Malheur mit Miramare vor dem Preis der Diana war ein bitterer Moment.
„Wir haben einen Spezialisten aus Newmarket beinfliegen lassen, der nach der Monty Roberts-Methode arbeitet und nicht zuletzt schon den guten Rakti wieder auf den rechten Weg geführt hat. Und jetzt geht die Stute super in die Startmaschine. Sie bestreitet am 15. Juli ein Listenrennen in Krefeld.“ Es wird also nichts dem Zufall überlassen in Deutschlands ältestem Privatgestüt.
„Der Auftakt hier konnte nicht besser sein. Wir haben eine Top-Mannschaft, die gemeinsam für den Erfolg steht. Die Siege, die wir in diesem Jahr bis jetzt erzielt haben, sind nur möglich durch hundertprozentigen Einsatz von jedem im Team“, gibt sich Jens Hirschberger, der in seiner raren Freizeit gerne Squash spielt, in die Sauna geht oder auf Einladung von Georg Baron von Ullmann Eishockey-Spiele besucht, bescheiden.
„Wir sind rund um die Uhr für die Pferde da, es wird an jedes Detail gedacht. Die Ruhe im Gegensatz zu großen Trainingszentren ist ganz wichtig zum Arbeiten. Ich wohne auch in unmittelbarer Nähe, da kann ich auch schneller vor Ort sein, wenn etwas passiert. Die Familie Ullmann überlässt die Entscheidungen zu hundert Prozent uns, das ist schon ein großer Vertrauensvorschuss.“
Rücksicht auf andere Besitzer brauche man hier nicht zu nehmen, was natürlich ein gravierender Unterschied zu Kollegen sei. „Wir können dort laufen, wo wir wollen und müssen Pferde von anderen Besitzern nicht auseinanderdividieren.“
Gebhard Apelt (Gestütsleiter) und Paul Harley (Racing Manager) besetzen die anderen verantwortlichen Positionen auf dieser Vorzeige-Anlage. „Paul war es auch, der mit mir in Kontakt getreten ist, als ich noch Assistenztrainer bei Andreas Schütz war.“ Da habe er nicht lange gefackelt und die Offerte schnell angenommen. Eine Entscheidung, die er wahrlich nicht zu bereuen brauchte.
Sekbst zu Andre Fabre, der in Chantilly vor allem Monsun-Nachkommen betreut und zu weltweit beachteten Höchstleistungen führte und führt, kam schon hier zu Besuch. Ihn kennt Jens Hirschberger schon von früher. „Vor zehn Jahren, als ich mich etwas in der Turf-Welt umgeguckt habe, habe ich mich bei ihm am Stall beworben. Ich hätte auch dort die Boxen ausgemistet. Fünfzehn Minuten dauerte unser Gespräch, aber ich wurde damals abgelehnt.“
Zahlreiche Lehrmeister hatte er in seiner beruflichen Laufbahn (lesen Sie auch unseren Kasten „Zur Person“), aber einen Coach lobt Jens Hirschberger, der als Sohn des Leipziger Trainers Peter Hirschberger den Job schon in die Wiege gelegt bekam und als Jockey 88 Rennen gewann, ganz besonders. „Ich habe von allen gelernt, von meinem Vater, von meinem Lehrtrainer Frank Trobisch in Hoppegarten, von Heinz Jentzsch, aber im Umgang mit den Pferden habe ich am meisten von Uwe Ostmann beigebracht bekommen. Er ist für mich der beste Trainer in Deutschland, ein Vollprofi, der für die Pferde lebt.“
Vor allem Vater Peter wird am Derby-Tag, an dem Jens Hirschberger „definitiv abends nach Hause fahren“ und im Erfolgsfalle „lieber in der nächsten Woche eine Grillparty am Stall geben“ werde, wieder mitfiebern. „Als Aviso das Mehl-Mülhens-Rennen gewann, war er gerührt. Ich beobachte seine Pferde ganz genau und er verfolgt meine Arbeit ganz genau.“
Vielleicht hat der stolze Vater ja am 1. Juli wieder Tränen in den Augen. Wenn sein Sohn das BMW 138. Deutsche Derby gewinnt. Dann hätte sich auch der ganze Stress im Vorfeld ausgezahlt. Und es wäre kein ruhiger, sondern ein ganz sonniger Sommertag. Für Jens Hirschberger. Aber auch für das Gestüt Schlenderhan, die Voreige-Adresse in Deutschland.