Andrea Bertram schlägt Aidan O´Brien. Was wie ein Märchen der Gebrüder Grimm klingt, wurde am Sonntag Realität in Turf-Deutschland. Und es gab viele, die sich darüber gefreut haben. Denn wenn sogenannte „Underdogs“ die Großen bezwingen, spielt gemeinhin eine Menge Sympathie mit.
Am Sonntag war das wieder der Fall. Die Trainerin aus dem nicht unbedingt als Mekka der Grand Prix-Pferde bekannten Warendorf holte sich sensationell den Großen Dallmayr-Preis, das bedeutendste Rennen im Münchener Jahresprogramm.
Interessanterweise hatte 1994 mit dem von Georg Ording trainierten Vincenzo ebenfalls ein „Warendorfer“ exakt dieses Rennen für sich entschieden. Und vor vielen Jahren hatte auch der von Jutta Schultheis vorbereitete Zille ein Gruppe-Rennen (Großer Preis von Düsseldorf 1990) gewonnen.
Der erste Gruppe-Treffer der 46-jährigen Bertram kam also gleich auf allerhöchstem Parkett zustande. Sträflich unterschätzt hatte man den von ihr trainierten Intendant (163:10 betrug der Kurs). „Hätte er bei Andreas Schütz oder Peter Schiergen gestanden, wäre seine Quote bestimmt hundert Punkte niedriger gewesen“, meinte ein Beobachter der Szene.
Gut möglich, dabei hatte die Trainerin einigen Mumm auf den dreijährigen Lando-Sohn aus dem Besitz des Warendorfer Rennbahnbauers Ferdinand Leves. „Ich war guter Dinge, denn er hatte bei seinen Starts vor dem Derby starke Formen gezeigt. Das Blaue Band durfte man nicht rechnen. Die Distanz war zu lang, der Boden passte überhaupt nicht mehr. Es war in Hamburg überhaupt nicht sein Tag“, schildert Andrea Bertram.
„In der Union war er etwas früh zur Stelle, aber Scirocco marschierte vorne, da musste er unterwegs mithalten. In München wusste man natürlich nicht, wie gut die Gäste im Vergleich zu ihm sein würden. Aber es stimmte einfach alles, die Distanz, der Boden, das schnelle Rennen. Linksherum ist er besser aufgehoben, und dann konnte Intendant auf Warten geritten werden und mehr seinen Speed einsetzen. Schließlich schaltete Jiri Palik den Turbo ein.“
Solch ein Triumph sei natürlich ein Erlebnis der Extraklasse. „Listenrennen auf der Hindernisbahn habe ich schon vorher gewonnen, aber das Gefühl jetzt war etwas ganz Besonderes. Vielleicht habe ich es auch noch gar nicht richtig realisiert. Es gab noch einen Empfang am Sonntag in München. Um Zehn am Abend sind wir wieder zurückgefahren, waren um vier Uhr morgens zu Hause. Ich habe mich umgezogen und bin dann direkt wieder in den Stall und habe mitgeritten.“ Vier bis fünf Lots reitet Andrea Bertram selbst, ist auch stets die Partnerin von Intendant im Training.
„Diesmal habe ich auch die Schlussarbeit geritten, da Andreas Boschert verhindert war. Zu Hause lässt er sich nicht anmerken, zeigt nur das, was von ihm verlangt wird. Intendant ist ein ruhiger Vertreter mit weniger starken Gefühlsausbrüchen“, versichert seine Betreuerin. „Er ist täglich auf der Koppel, gibt sich auch dort sehr cool. Am Montag hat er etwas gefressen, bekam auf der Koppel etwas Ruhe. Am Dienstag war er schon wieder frisch.“
Und auch wenige Tage nach ihrem größten Karrieretreffer reißen die Glückwünsche nicht ab. „Ich hatte den Eindruck, dass viele mir den Erfolg gegönnt haben“, glaubt Andrea Bertram. „Am Abend und in der Nacht stand das Telefon nicht still, kamen jede Menge sms. Fans und Freunde haben sich gemeldet. Peter Schiergen kam sofort nach dem Rennen auf mich zu.“
Natürlich warten jetzt große Ziele, möglicherweise national wie international, auf Intendant. Eher unwahrscheinlich wirkt ein Rückschritt auf Gruppe III-Ebene ins Fürstenberg-Rennen. „Ich werde mich Ende der Woche mit Herrn Leve besprechen, auch noch einen Umtrunk im Stall geben. Auch beim Warendorfer Rennverein waren viele Fans so richtig begeistert. In der vergangenen Woche habe ich ihn für den Badener Grand Prix gestrichen, da 2400 Meter zu weit sind. Vielleicht gehen wir auch mit ihm ins Ausland.“
Wie inzwischen durchsickerte, haben zu Wochenbeginn sogar die Verantwortlichen der Cox Plate, World Series-Rennen in Australien, angefragt. Intendant in „Down Under“, das hätte schon etwas.
Jiri Palik, in dieser Saison auch mit Shapira im Henkel-Rennen in einer anderen Top-Prüfung erfolgreich, kam in Riem in den Genuss eines Erfolges in der Bel Etage des Turfs. Aber wird er weiterhin Intendants Partner sein? „Das ist eine gute Frage“, entgegnet Andrea Bertram. „Wir waren unseren Jockeys immer treu. Deshalb denke ich schon, dass Jiri wieder seine Chance bekommen sollte.“
Zweijährig hatte man Intendant noch nicht im Einsatz erlebt, der Lando-Sohn trumpfte erst dreijährig auf. „Er hatte im Vorjahr schon Ansätze gezeigt, stand aber lange im Wachstum und war ein sehr zartes Pferd. Dass er ein besserer Kandidat sein würde, wussten wir schon damals. Er hat uns die Schonung gedankt. Da er noch eine Derby-Nennung hatte, mussten wir im Frühjahr rechtzeitig beginnen. in Frankfurt gewann er als Debutant, obwohl er noch sehr grün war. Ich hatte damals allerdings nicht mit einem Sieg gerechnet. In Mülheim hatte er auf Listen-Ebene viel Pech. Aber Heinz Jentzsch hat mir gesagt, Lando hätte früher im Feld auch oft geguckt. Intendant hat links und rechts gesucht, dadurch ergaben sich Rangeleien. In München ging er schön außen, wirkte schon sehr reif. Ich denke, dass er wie sein Vater als Vierjähriger noch besser wird.“
Vorbereitet wird er auf der überschaubaren Bahn in Warendorf. „Es ist meiner Meinung nach egal, wo ein Pferd trainiert wird. Unserem Rennverein dürfte das Auftrieb geben. Bislang trainiert außer mir nur Dirk Austmeyer hier, er ist mit auf dem Hof, wir arbeiten oft zusammen. Er ist ein absoluter Fachmann, wir verstehen uns bestens“, berichtet unsere Gesprächspartnerin, die die Bedingungen in der Stadt des Pferdes schätzt, sich über weiteren Neuzugang freuen würde und Werbung in eigener Sache macht:
„Wir haben eine 1600 Meter Sandbahn, außerdem eine 800-Meter-Bahn, um Jährlinge anzureiten, die eingezäunt ist. Ein großes Waldstück steht zur Verfügung, rundherum gibt es Weiden. Die Pferde stehen alle in Außenboxen, können also nach draußen blicken. Die Reithalle ist besonders groß, darin kann man im Winter auch bei Frost arbeiten. Mindestens zwei bis drei Stunden gehen sie täglich auf die Koppel“, erzählt Bertram, eine gebürtige Warendorferin, die jetzt wieder im siebten Jahr hier Pferde trainiert, zwischendurch sechs Jahre in Steinhagen war.
Doch Wohlfühlen allein genügt nicht. Ohne die Unterstützung vor allem von Ferdinand Leve und der Familie Ostermann wäre Andrea Bertram nicht da, wo sie jetzt steht. Allein fünf Ittlinger stehen derzeit bei ihr. Bald starten soll die kleine Schwester von Intendant, die ihre ersten Grasbahnarbeiten bereits hinter sich hat. Bald wird Peter Rau nach Warendorf dazustoßen. „Er bekommt eine sehr große Grasbahn mit 1200 Meter Gerader Bahn. Diese können wir mitbenutzen“, freut sich die Betreuerin, die für 25 Pferde aktuell verantwortlich zeichnet.
Darunter auch Eisenherz, eines der besten Hindernispferde des Landes, der leider auf Feierschicht ist. „Er hat sich in Mailand einen Bluterguss am Vorderfußwurzelgelenk zugezogen. Dieser ist nicht abgezogen, sondern war verhärtet. In einer Operation musste das abgesaugt werden. Inzwischen befindet sich Eisenherz auf dem Weg der Genesung. Ich weiß aber nicht, ob er dieses Jahr noch starten kann. Ansonsten versuchen wir es nächstes Jahr wieder“, erläutert Andrea Bertram, die auch den in Bad Doberan enttäuschenden Interpret nicht abschreiben will, und vor allem noch mit Kamato rechnet, der Listenrennen über Sprünge in Baden-Baden und München ansteuert.
Mit Steffi Fraundörfer und Josef Toth kann sie sich im Training auf versierte Reiter berufen, außerdem kommt Amateurreiterin Annika Rosenbaum häufig vorbei, bekommt Tanja Heirich wahrscheinlich eine Lehrstelle an diesem Quartier.
„Gruppe-Pferde machen nicht mehr Arbeit als andere“, lautet das Motto von Andrea Bertram, die „Siege, mit denen man nicht rechnet“ als die schönsten bezeichnet. In der Vergangenheit hat sie einige scheinbar hoffnungslose Fälle wieder hinbekommen, wie Don Pepe oder Lathyrus oder mit Marushka als Debutantin einen zweiten Platz im Listenrennen erreicht. „Wir müssen uns von unten hocharbeiten.“
Auch Jährlinge von prominenten Eignern wie Ittlingen oder Sommerberg wurden hier eingeritten. „Das war mein zweites Standbein. Dadurch wurden Pferde auf schonende Weise auf den Rennstall vorbereitet, das war für sie dann nicht soviel Stress.“
Aber auch die Trainerin braucht manchmal etwas Abwechslung vom Pferde-Alltag. „Viel Freizeit habe ich nicht, aber dann sitze ich gerne in meinem Garten oder gehen mit Freunden essen oder trinken. Reisen ist eigentlich nicht so meine Sache. Ich komme durch die Auslandsstarts schon viel herum. Ich nehme mir aber vor, zwei Tage spontan mit dem Auto wegzufahren.“
Eigentlich war das schon für die Tage nach dem Mega-Treffer mit Intendant vorgesehen. Doch hat Andrea Bertram den Urlaub erst einmal auf die Woche danach verschoben. Leisten kann sie sich Ferien ganz gewiss, denn immerhin hat sie Aidan O´Brien geschlagen. Nicht ausgeschlossen, dass ihr dies nicht zum letzten Mal gelungen ist.