1988. 20 Pferde rücken für das 119. Deutsche Derby in die Startboxen ein. Nach 2:31,8 Minuten hat wieder einmal ein Außenseiter im „Rennen aller Rennen“ zugeschlagen. Luigi, trainiert von Uwe Ostmann in Mülheim an der Ruhr, geritten vom damaligen englischen Spitzenjockey Walter Swinburn, schlägt nach einer begeisternden Kampfpartie die mitfavorisierte Alte Zeit, auf der Peter Remmert auch bei seinem letzten Derbyritt der so lang ersehnte Derby-Erfolgt versagt bleibt. Luigi siegt in den Farben des zu diesem Zeitpunkt weitgehend unbekannten Stalles Marcassargues, hinter dem sich der Münchner Rechtsanwalt Dietrich von Boetticher verbirgt. Mit einem Schlag war nach diesem Hamburger Triumph dessen Stall Marcassargues in aller Munde. Es war in Horn sozusagen die Geburtsstunde und der auslösende Faktor zu einer Fülle großer und auch erfolgreicher Aktivitäten im rennsportlichen Leben des Dietrich von Boetticher. Heute laufen seine Pferde, die teils in Deutschland, England und Frankreich in Training stehen, unter seinem Gestüt Ammerland.
„Ist doch klar, es ist Luigi“
In Dietrich von Boettichers Ammerländer Farben gewannen auch Boreal und Borgia das Deutsche Derby. Auch im französischen Derby mit Lope de Vega oder im Irish Derby mit Hurricane Run waren die Ammerländer vorne. Weitere Gruppe I-Siege durch z. B. Diane-Siegerin Golden Lilac oder Grey Lilas, die Prix de Moulin de Longchamp gewann, gehen auf das Ammerländer Konto. Oder die klassische Siegerin Britannia. So durfte man ganz gewiss gespannt sein, wen Dietrich von Boetticher zu seiner Nr. 1 auf den Thron hievte. „Natürlich ist es Luigi“, ließ der Münchner Züchter und Besitzer sofort wissen. Offenbar hatte es bei ihm auch keine lange Überlegung geben müssen. Er begründete dies mit zahlreichen Erlebnissen, die ihn mit dem Home Guard-Sohn, der aus der Zucht von Dr. Christoph Burmester stammte, für immer eng verbunden bleiben. Es fängt schon damit an, so Dietrich von Boetticher, dass Luigi der erste Vollblüter gewesen sei, den er erworben habe. „Ich hatte bei Dr. Christoph Burmester die Stute Tina’s Queen gekauft und sah auf dessen Koppel einen wunderschönen jungen, aber schon recht hochgewachsenen Hengst. Wer steht da denn da drüben? fragte ich nach. Ich suchte für mein Hobby noch ein Dressurpferd und wusste, dass schon damals das Vollblut einen immer größeren Einfluss auch im Dressursport genommen hatte. Der junge Hengst schien mir, in einigen Jahren natürlich und erst nach Beendigung seiner Rennlaufbahn, ein passender Kandidat zu sein. Schließlich einigten wir uns und ich gab Luigi in München-Riem zu Herrn Koll in Training“, erinnert sich Dietrich von Boetticher. Schon bald kamen die Reaktionen, denn Trainer Hermann-Josef Koll signalisierte Dietrich von Boetticher, dass er wohl ein richtiges Rennpferd gekauft habe. Da Dietrich von Boetticher seine rennsportlichen Aktivitäten weiter ausbauen wollte und seine Pferde im Westen in Training kommen sollten, kam Luigi zu Uwe Ostmann nach Mülheim an der Ruhr in Training.
„Luigi sollten wir kastrieren“
Eines Tages rief mich Herr Ostmann an: „Herr von Boetticher, Luigi ist so hengstig und guckt bei der Arbeit nur nach den Stuten. Wir sollten ihn kastrieren“ Ich antwortete: „Bitte geben Sie ihm noch etwas Zeit. Herr Ostmann stimmte zu und gab ihm dann auch alle Zeit der Welt. Als Zweijähriger kam Luigi nicht an den Start, ich hatte ihn mir zwischenzeitlich angeschaut und war von seiner Entwicklung begeistert. Im April 1988 war es soweit. Luigi bestritt auf der Heimatbahn sein erstes Rennen und gewann auf Anhieb. Dann ging es ins Behr-Memorial nach Köln, wo Luigi nur von Stall Steigenbergers Außenseiter Silk Stage geschlagen wurde. Ich glaube, danach wussten wir, dass wir ein Pferd für das Derby haben würden“, so Dietrich von Boetticher, der sich in Hamburg zunächst einmal im sprichwörtlichen Sinne den Mund abputzen musste. „Herr Ostmann wollte Luigi vor dem Derby noch einmal im Otto-Schmidt-Rennen an den Start bringen. Er passierte als Erster die Ziellinie, wurde aber von den Stewards auf den fünften Platz zurückgestuft. Das war bitter, aber wir hatten dennoch unseren Startplatz im Derby. So rückte Luigi auch als krasser Außenseiter im Deutschen Derby in die Startboxen ein“, erinnert sich Dietrich von Boetticher, der die Tage vor dem Derby auch niemals vergessen wird.
Neuer Jockey nach Schinkenraub
Derby-Ball, Einladung ins Casino Travemünde, Musikabend auf der Rennbahn und weitere Freizeitangebote sorgten bereits Ende der achtziger Jahre dafür, dass die Besucher nach dem ersten Wochenende nicht mehr die Heimreise antraten und in der Hansestadt verweilten. Auch ein „Aktiven-Abend“ wurde vom Hamburger Renn-Club angeboten, die Holsten-Brauerei bewirtete Trainer, Jockeys und Stallpersonal. Mit dem einen oder anderen Pils im Bauch kamen einige Jockeys zur vorgerückter Stunde auf die verrückte Idee, einen Imbisswagen aufzubrechen und mehrere 15-Kilo-Schinken zu entwenden. Die Sache flog sofort auf. Unter den Jockeys war auch Olaf Schick, der Luigi im Derby reiten sollte und auch bereits als Reiter angegeben war. Die Pressebereichte ließen nicht lange auf sich warten, „Schinkendiebe beim Derby“ war eine der zahlreichen Schlagzeilen. Dietrich von Boetticher nahm Notiz davon und engagierte kurzerhand für Luigi einen neuen Jockey. „Walter Swinburn ritt damals in überragender Form in England. Wir versuchten daher, ihn zu verpflichten. Er sagte schließlich zu, von der Rennleitung ließ ich mir den Reiterwechsel absegnen“, erzählt Dietrich von Boetticher. Dem es für Olaf Schick unglaublich leid tat. „Als wir uns am Derbytag trafen, hatte er Tränen in den Augen.“
Ehrung durch Bundespräsidenten
Derby-Tag, Parade vor den Tribünen. Dietrich von Boetticher erinnert sich genau: „Luigi folgte als letztes Pferd bei der Parade vor den Tribünen und der Rennbahnkommentator sagte: „Als letztes Pferd kommt, kommt, er brachte den Namen Luigi nicht über seine Lippen und meinte dann, lassen wir das. Vielleicht war es ein gutes Omen“ Das Finale klang dramatisch aus, als sich die Diana-Siegerin Alte Zeit mit Peter Remmert im Sattel und Luigi unter Walter Swinburn über mehrere hundert Meter einen erbitterten Kampf um den Derbysieg lieferten. „Es war spannend und unglaublich aufregend bis ins Ziel. Nach Auswertung der Zielfotografie gab es Freudentränen“, erinnert sich Dietrich von Boetticher an seine erste große Sternstunde im Rennsport. Für Trainer Uwe Ostmann war es ebenfalls ein unvergesslicher Sieg, zumal der von ihm trainierte Luigi mit Alte Zeit eine Stute schlug, die er als Zweijährige in Training hatte und die im Winter zu Hein Bollow in Training gekommen war. „Bei der Siegerehrung war sogar der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker anwesend. „Wie leid mir die Sache mit Olaf Schick tat, habe ich auch in meiner Derby-Rede ein Jahr später zum Ausdruck gebracht. Ich habe dabei u. a. auch gewürdigt, dass ich Olaf Schick im Zusammenhang mit Luigi viel zu verdanken hatte.“ Als wenn es nicht schon genug Dramatik rund um Luigis Derby-Erfolg gegeben hätte, so gab es auch noch ein langes Nachspiel am grünen Tisch. Es ging um den kurzfristig erfolgten Reiterwechsel auf Luigi. So legte der Besitzer des zweitplatzierten Pferdes Alte Zeit gegen den Sieger Luigi Protest wegen fehlender Zulassung ein, dieser wurde vom Ordnungsausschuss zurückgewiesen. Gegen die Entscheidung gingen die Besitzer von Alte Zeit vor das Renngereicht, dort wurde die Berufung zurückgewiesen. „Das ist doch eine unglaubliche Geschichte, was ich da mit einem ersten Vollblüter erlebt habe“, meint Dietrich von Boetticher, nachvollziehen kann man es allemal.
Die Deutsche Bank kam zu spät
Einige Wochen nach dem Derbysieg zog sich Luigi eine Knochenabsplitterung im Vorderfußwurzelgelenk zu, womit die Saison für ihn gelaufen war. Nach einer meisterlichen Trainerleistung von Uwe Ostmann war Luigi bei seinem Comeback im April 1989 in Köln in der Lage, einen international stark besetzten Gerling-Preis zu gewinnen. Dietrich von Boetticher: „Das hat mich sehr gefreut. Er hat bestätigt, dass der Erfolg im Derby des Vorjahres kein Zufallstreffer war. Erneut zeigte er seinen unbändigen Kampfgeist.“ Nach seinem folgenden Start im Großen Preis der Badischen Wirtschaft verletzte sich Luigi in seiner Box, auf die Rennbahn kehrte er nicht mehr zurück. „Damit war auch das Thema Dressurpferd vom Tisch. Ich hätte Luigi gerne nach Beendigung seiner Rennlaufbahn zum Dressurpferd umgeschult. So begann er im Union-Gestüt seine Laufbahn als Deckhengst, bekam aber nur geringe Unterstützung. Da habe ich ihn nach Ammerland geholt, später deckte er vor allem in der Warmblutzucht. Im Grunde habe ich das Gestüt auch nur dank Luigi bekommen“, erzählt Dietrich von Boetticher die Geschichte. „Ich suchte südlich von München einen Großgrundbesitz. Ihn zu bekommen, ist eigentlich gar nicht möglich. Mit dem Züchter von Luigi, Dr. Christoph Burmester, hielt ich seit den ersten Tagen des Kennenlernens einen sehr guten Kontakt. Auch er wusste von meinem Wunsch eines Kaufes eines Großgrundstückes. Eines Tages rief er mich, er hätte ein Angebot gelesen, dass am Starnberger See rund 60 Hektar zu kaufen seien. Ich dachte, das gibt es doch nicht. Natürlich habe ich mir das Ganze sofort angeschaut und auch schnell den Kaufvertrag unter Dach und Fach gebracht. Das war auch nötig, denn wenige Tage später wurde das Kaufangebot in der „Süddeutschen“ veröffentlicht. Kurz danach kam von der Deutschen Bank schon die erste Anfrage. Doch aus Sicht der Bank leider zu spät. So kann man, so glaube ich, trotz der Fülle der zahlreichen Pferde, die in meinen Farben liefen, nachvollziehen, dass Luigi meine Nr. 1 ist. Er war mein Star!“