31 Jahre sind eine lange Zeit, speziell im schnelllebigen Galopprennsport. So lange ist es her, seitdem Stall Moritzbergs Star Appeal als bislang einziges in Deutschland trainiertes Pferd den Bois de Boulogne eroberte. Als Riesenaußenseiter gewann der von Theo Grieper trainierte Hengst den Prix de l´Arc de Triomphe, ein Rennen, das auch so viele Jahre später unverändert die renommierteste und bedeutendste Prüfung des Turfs auf der ganzen Welt ist, auch wenn es in Asien und den USA mittlerweile noch höher dotierte Rennen gibt.
Auch im Jahr 2006 wird Star Appeal als einziger Deutscher erhalten bleiben, denn ein hierzulande vorbereitetes Pferd ist nicht mit von der Partie. Derbysieger Schiaparelli bestreitet das St. Leger in Dortmund, von den älteren Kandidaten ist aktuell keiner gut genug, um hier ganz nach vorne zu laufen. Und dennoch liegt eine Spannung wie selten zuvor über dem erneut von der Hotelkette Lucien Barriere gesponserten 2400 Meter-Event, das am Sonntag in Longchamp vor den Toren von Paris ausgetragen wird.
Nachdem vor zwölf Monaten der im Gestüt Ammerland gezogene Hurricane Run mit seinem Sieg für einen Riesenerfolg der deutschen Zucht sorgte, aber längst die Farben von Michael Tabor trug, und Georg Baron von Ullmanns Shirocco einen ausgezeichneten vierten Rang verbuchte, treffen die beiden Kontrahenten erneut aufeinander. Und die Chancen könnten besser nicht sein, dass diesmal mit dem Ullmann-Crack auch deutsche Farben in Front sind.
Denn seit seinem damaligen Auftritt im Arc hat sich Shirocco unter der Regie von Chantilly-Meistertrainer Andre Fabre noch enorm verbessert, gilt längst neben Hurricane Run als eines der allerbesten Pferde der Welt. Triumphe im Breeders´ Cup Turf sowie in der laufenden Saison in den Jockey Club Stakes (Gruppe II, Newmarket), dem Coronation Cup (Gruppe I, Newmarket) oder zuletzt im Prix Foy (hauchdünn gegen Hurricane Run und Pride) dokumentieren die Ausnahmeklasse des Monsun-Sohnes und Derbysiegers von 2004, der seit dem Longchamp-Start im Vorjahr nie mehr ein Rennen verloren hat.
Wenn sich am Sonntag um 17.30 Uhr die Boxen öffnen zum Kampf um die neue Rekorddotierung von zwei Millionen Euro (der Sieger kassiert 1.142.800 Euro), dann zählt Shirocco zu den absoluten Topfavoriten auf den Sieg. Für Georg Baron von Ullmann könnte ein Traum in Erfüllung gehen. Erst spät kam grünes Licht für einen Ritt von Frankreichs Superstar Christophe Soumillon, der im Falle eines Starts der Aga Khan-Stute Mandesha nicht verfügbar gewesen wäre, doch zieht diese den Prix de l´Opera vor.
Mit dem gebürtigen Belgier, der 2003 mit Dalakhani seinen ersten Arc gewann, hat Shirocco all seine jüngsten Siege markiert. Beste Vorzeichen also für den ultimativen Coup, für den es bei den englischen Buchmachern aktuell ca 40:10 gibt. Zur Wochenmitte war der Boden in Longchamp weich, doch sind bis zum Rennen keine schweren Regenfälle mehr angesagt. Durchlässiges Geläuf kann für Shirocco ohnehin nur von Vorteil sein, auch wenn er inzwischen nicht mehr an bestimmte Verhältnisse angewiesen scheint.
Man darf gespannt sein, wie das neuerliche Duell mit seinem Trainingsgefährten Hurricane Run diesmal ausgeht, denn auch der Montjeu-Sohn hat sich seit seinem Triumph 2005 nicht verschlechtert. Zuletzt im Prix Foy handelte es sich um ein taktisches Rennen, in dem sämtliche Protagonisten kaum gefordert wurden. Zuvor hatte er in diesem Jahr den Tattersalls Gold Cup gewonnen, im Grand Prix de Saint-Could eine unerwartete Niederlage gegen Pride bezogen, doch in den King George in Ascot trotz eines alles andere als günstigen Rennverlaufs seine enorme Steher-Klasse demonstriert.
In Frankreich darf Kieren Fallon trotz seiner England-Sperre in den Sattel steigen. Man erinnert sich noch bestens an sein Glanzfinish vor einem Jahr, als er mit Hurricane Run aus normalerweise unmöglicher Position und auf engstem Raum durch das Feld schoss und noch alles regelte. Erst am vergangenen Sonntag bewies der Starjockey auf Youmzain im IVG – Preis von Europa in Köln seine Qualitäten im Sattel.
Das Favoriten-Trio (alle stehen um die 40:10) komplettiert der Japaner Deep Impact, auf den in den letzten Tagen noch einmal viel Geld bei den Bookies geflossen ist und der teilweise sogar knapp favorisiert wird gegenüber den beiden Fabre-Hengsten. Der Rekord des Ikee-Schützlinges, dessen Mutter Wind in Her Hair vor elf Jahren den Aral-Pokal in Gelsenkirchen gewonnen hat, ist beeindruckend. Bei elf Starts gewann der Sunday Silence-Sohn zehn Rennen, bezog nur eine Niederlage (gegen Heart´s Cry) und ist in seiner Heimat ein Superstar.
Yutaka Take, eine Jockey-Koryphäe im Land der aufgehenden Sonne, hat volles Vertrauen zu Deep Impact, sieht in ihm seine beste Chance, den Arc nach Japan zu entführen. Schon mehrfach waren Pferde nahe dran, man denke nur an El Condor Pasa, der 1999 nur mit einer halben Länge an Hurricane Runs Vater Montjeu scheiterte. Sicherlich wird eine große Fangemeinde aus Japan den Vierjährigen anfeuern, der bewusst ohne Vorbereitungsrennen antritt, seit Juni kein Rennen mehr bestritten hat.
Bei seiner Schlussarbeit am Mittwoch in Chantilly überzeugte der Vierjährige unter Yutaka Take. „Er ist in einer sehr guten Verfassung. Wir werden alles tun, um ihn für das Rennen auf einhundert Prozent zu haben”, sagt Trainer Yasuo Ikee. Deep Impact könnte das erste Pferd und Take der erste Jockey sein, die nicht in Europa zu Hause sind und den Arc gewinnen.
Diese drei Pferde, Deep Impact, Hurricane Run und Shirocco, stehen in den Wettmärkten ein wenig heraus, doch findet man in einem besonders qualitätvollen Feld (die endgültige Starterangabe ist erst am Freitag), dem mit acht Kandidaten allerdings kleinsten Aufgebot seit 1941, noch weitere Kandidaten mit Top-Empfehlungen. Andre Fabre hat mit Khalid Abdullahs Dreijährigem Rail Link ein drittes Ass im Ärmel. Stephane Pasquier wird den stark gesteigerten Hengst reiten, der vier Rennen hintereinander gewann und zuletzt im Prix Niel Youmzain keine Chance ließ.
Für den Arc ist diesmal weit und breit kein Tempomacher in Sicht. Trainer Andre Fabre, der den Arc schon sechsmal gewonnen hat (1987 mit Trempolino, 1992 Subotica, Carnegie 1994, Peintre Celebre 1997, Sagamix 1998 und Hurricane Run 2005) äußerte deshalb einige Bedenken für sein Trio, zumal er keinen Pacemaker nachgenannt hat. „Dafür habe ich kein Pferd, das kommt nicht in Betracht“, sagte der Coach.
„Alle meine drei Pferde sind große Kämpfer, die aus dem Feld kommen wollen, aber ich kann nirgendwo einen Tempomacher finden. Das macht mir große Sorgen.“ Der zu erwartende gute bis weiche Boden sei allerdings passend für sein Trio Shirocco, Hurricane Run und Rail Link.
„Schon in der vergangenen Woche haben sie gearbeitet, und ich war sehr zufrieden. Hurricane Run und Shirocco haben dieselben Siegchancen, aber man darf Rail Link auch nicht vergessen. Er ist ein sehr talentiertes Pferd. Ich habe den größten Respekt vor Deep Impact. Es gibt kaum einen Zweifel, dass wir ihn schlagen müssen. Sein Rekord ist zu respektieren. Die Japaner sagen, er sei ein Superstar. Es ist beeindruckend, dass er seine Siege auf Strecken zwischen 2000 und 3200 Metern erzielt hat.“
Nach einem dreizehnten Platz 2004 und Rang sieben vor einem Jahr versucht es Pride zum dritten Mal im Arc. Die Klassestute aus dem Quartier von Alain de Royer-Dupre scheint 2006 auf dem Zenit ihres Könnens zu sein, war nun zweimal in unmittelbarer Nähe von Hurricane Run und wurde im Prix Foy ebenfalls nicht stark gefordert, als sie hauchdünn hinter Shirocco und Hurricane Run endete.
„Ihre Aktion hat mir bei der Schlussarbeit sehr gut gefallen“, signalisiert Trainer Alain de Royer-Dupre. „Sie hat mit zwei anderen Pferden auf der Meile trainiert, und ich denke, sie ist in einer Top-Verfassung. Sie sieht bestens aus. Es war ein Vergnügen, sie zu beobachten.“ Christophe-Patrice Lemaire sitzt im Sattel.
Ein weiteres Ass im Feld ist der am Donnerstag nachgenannte englische Leger-Sieger Sixties Icon (erst war Michael Kinane als Jockey für den Schützling von Jeremy Noseda vorgesehen, doch nun sitzt wie beim Erfolg in York Frankie Dettori im Sattel, der sonst keinen Arc-Ritt gehabt hätte), während ansonsten die Pferde von der Insel durch Abwesenheit glänzen.
Auch der Stall Godolphin ist nicht vertreten. Der Rohaut-Schützling und Grand Prix de Deauville (Gruppe II)-Sieger Irish Wells („Das Pferd ist bereits, wir wollen aber nicht die Pace für die anderen machen“) unter Dominique Boeuf und Robert Collets Prix Prince d´Orange (Gruppe III)-Gewinner Best Name (Olivier Peslier) komplettieren das Aufgebot. Anfang der Woche wurde Epsom Derbysieger Sir Percy gestrichen, da er an einer Muskelverletzung an der Schulter leidet.
Aidan O´Brien cancelte am Donnerstag die Auftritte von Irish Champion Stakes-Sieger Dylan Thomas und Oaks-Siegerin Alexandrova, wie auch Geoff Wraggs englischer Derby-Vierter Dragon Dancer und die Stute Germance kurzfristig nicht dabei sein werden.