‚Eine solche Stute hatte ich in meiner Karriere noch nie‘

Es muss eine kalte Nacht im Weidenpescher Park gewesen sein, überall bedeckt Raureif den Boden. Der Winter klopft an, und der Nachtfrost wird fortan ein ständiger Begleiter sein. Anders die Temperaturen rund 10.000 km entfernt in Fernost. In Tokio, wo am frühen Sonntagmorgen des 27. Novembers mitteleuropäischer Zeit, der Japan-Cup stattfinden wird, sind es nachts 11, tagsüber 15 Grad.

In der Regel ist die Bahn dort schnell, sehr schnell. Aber auch die Heimatbahn von Danedream steht dem in nichts nach, für einen Tag im November doch sehr ungewöhnlich. Ich komme etwas früher als geplant zum Asterblüte-Quartier, später wird es einen viel beachteten Pressetermin dort geben.

Als der Trainer mich wahrnimmt und spontan auffordert mitzukommen, wirkt Peter Schiergen gelöst und gut gelaunt zugleich. Ein achtköpfiges Lot hat soeben seine Vorbereitungen im überdachten Trabring abgeschlossen und wird bald auf die Bahn wechseln. Der Trainer gibt letzte Instruktionen. Keine Spur von Anspannung, obwohl die, spricht man ihn auf Danedream an, vorhanden ist, ‚das gilt für das ganze Team‘, ist aber auch positiv gemeint.

Schnellen Schrittes überqueren wir die Zielgerade, der Boden ist für einen Novembermorgen wie gesagt ungewohnt fest. Seit Wochen hat es in Deutschland nicht mehr geregnet, und auch die nächsten Tage versprechen diesen nicht. Schnell sind wir auf der Gegenseite, nehmen die wenigen Stufen auf einen Hochsitz. Der Trainer, mit einem Fernglas bewaffnet, nimmt mit einer flüssigen Handbewegung seine Schützlinge gleich in Augenschein, die durch den Schlussbogen cantern. Hier darf Schiergen ganz Trainer sein, eine Stunde später wird es an diesem Morgen zum wiederholten Male Medienarbeit sein.

Und diese Art der Öffentlichkeitsarbeit hat zweifellos seit Danedreams Arc-Erfolg erheblich zugenommen. Der Kölner Rennverein und German-Racing laden zur Pressekonferenz, und es wird eine Rekordbeteiligung einen Tag vor Danedreams Abreise Richtung Japan geben. Präsident Eckhard Sauren und Rennbahngeschäftsführer Benedikt Fassbender wissen um die Gunst der Stunde. Danedream ist auch ihr vierbeiniges Aushängeschild, wird hier trainiert wie damals Lando, der 1995 dieses japanische Prestigerennen, den Japan-Cup sensationell unter dem Südafrikaner Michael Roberts gewann.

Und man versteht, selbst dies zu nutzen, lässt die Ereignisse, die mittlerweile 16 Jahre zurückliegen, noch einmal dank eines Videos aufleben. Peter Schiergen hatte Lando im Sommer desselben Jahres zum Sieg im Preis der Privatbankiers Merck, Finck & Co, Gr. I geritten. Dann folgte ein siebter Rang im Großen Preis von Baden. Es sollte sein letzter Ritt auf dem Acatenango-Sohn sein, der fortan von Michael Roberts, elfmaliger Champion in seiner südafrikanischen Heimat und einmal in England, sein.

Der Stachel muss bei Schiergen tief gesessen haben, die Narben sind längst verheilt. Die Bahnkenntnis gab damals den Ausschlag zugunsten des Südafrikaners, dem in drei Monaten zuvor 21 Siegritte in Tokio gelungen waren. Für Schiergen eine schmerzhafte Erfahrung, wie gesagt. Vier Jahre später kehrte der mittlerweile erfolgreich ins Trainergeschäft gewechselte Kölner mit Tiger Hill als dessen Betreuer nach Japan zurück und wurde Zehnter, was gleichzeitig auch den finalen Start des Danehill-Sohnes bedeutete. Fast auf den Tag genau, elf Jahre später, wird Schiergen in das Land der aufgehenden Sonne zurückkehren. Und dies mit einer Stute, wie sie Deutschland lange nicht mehr erleben durfte.

Vielleicht schafft es diese unscheinbar wirkende Lomitas-Tochter tatsächlich, noch das I-Tüpfelchen draufzusetzen. Nein, beweisen muss sie gar nichts mehr, auch wenn viele von der Krönung einer sensationell traumhaften Saison sprechen. ‚Wir alle sind mittlerweile natürlich auch verwöhnt‘, gibt Schiergen unumwunden zu, ‚die Stute hat sich bereits jetzt mit dem Arc-Sieg unsterblich gemacht, hat alles erreicht‘, so der Trainer.

Japan weckt allerdings weiteren Ehrgeiz, das spürt man in der unmittelbaren Nähe. Warum auch nicht. ‚Danedream präsentiert sich weiter frisch und munter. Wer weiß, ob wir in der kommenden Saison diese Form noch zur Verfügung haben werden. Aktuell haben wir mit ihr nur das Nötigste gemacht, sie bei Laune gehalten. Wenn der Rennverlauf in Japan stimmen sollte, erhoffen wir uns einen Platz unter den ersten Drei.‘

Klare Ansage nennt man das wohl. Danedream wird voraussichtlich auf den japanischen Wunderhengst Orfevre treffen, seines Zeichens Triple-Crown-Sieger und wohl der stärkste Vertreter der heimischen Armada. Aber auch Sarah Lynx, von John Hammond vorbereitet, hat mit ihrem Sieg in den Canadian International, die Gunst der Wetter erobert.

Zurück zu Danedream und ihrem Betreuer Peter Schiergen. Er ist nicht nur Trainer an diesem kalten, trockenen Morgen, an dem auch das Handy ständig klingelt und Besitzerfragen auf Antworten gieren. Kurze Zeit später wird er gewohnt souverän Rede und Antwort bei den Journalisten stehen. Die Stimmung ist locker und gelöst, der Wissensdrang der Medienvertreter verlangt nach Befriedigung. ‚Für den Rennsport kann dies nur gut sein, ich mache das wirklich gerne‘, betont Schiergen.

Die Fragen werden auch einen Tag später in London auf ihn einprasseln, als Danedream als erstes in Deutschland trainiertes Pferd den Cartier Award als beste Stute des Jahres gewinnen wird. Eine große Ehre für alle Beteiligten. Mittlerweile hat Danedream ihre erste große Reise mit Bravour bestanden. Mit an Bord war Cynthia Atasoy, für die es nach Tunesien wohl ihre weiteste Reise bedeutet, flachst der Trainer.

Schiergen weiß um die Bedeutung der Zwanzigjährigen. Die ständige Pflegerin ist Vertrauensperson Nr. I der Stute. Assistenztrainerin Ilka Hildebrandt, die Erfahrung pur im Schiergen-Quartier verkörpert, wird die Galopps vor Ort absolvieren. ‚Sechs Tage muss Danedream in Quarantäne bleiben und dies auf einer separaten Trainierbahn, einem 1500-Meter-Kurs, 60 bis 70 Kilometer von Tokio entfernt. Ich werde am kommenden Montag nachreisen‘, berichtet der Trainer weiter. ‚Ille genießt unser vollstes Vertrauen. Wir werden täglich Kontakt haben und die Dinge vor Ort abstimmen, aktuell läuft alles planmäßig.‘

Schiergen wirkt bei seinen Ausführungen sehr gelassen. Mit bekannt stoischer Ruhe hat er nochmals die Lottafel im Auge, bespricht sich mit einem seiner Mitarbeiter, bevor es zum Pressetermin geht. 430 Kilo wiegt Danedream, erfahren die Journalisten später, ’80 – 90 Kilo weniger als die anderen. Erst nach dem Sieg in italienischen Oaks wussten wir, dass sie etwas ganz Besonderes darstellt.‘

In der Arbeit hat sie nie viel verraten. Ihre Saison als Zweijährige mit ihrem ersten Karrierestart in der französischen Provinz, eben Wissembourg, steht eigentlich dafür, dass man von Besitzerseite mit den für sie angelegten 9.000 Euro ’nur‘ ein Spaßpferd haben wollte, Dass daraus eine Arc-Siegerin wurde, wird immer unglaublich bleiben. ‚Wir haben stets nur das Nötigste mit ihr in der Arbeit gemacht. Ich wollte dies auch nie austesten‘, gibt Schiergen weiter zu Protokoll.

Jedenfalls zeigte sie sich als Dreijährige von Start zu Start gesteigert, wirkte stets ausgeglichen, ja in sich gekehrt. ‚Berlin, Baden-Baden, Paris und dabei ungeschlagen, aber auch zuvor in Mailand zeigte sie ein gutes Rennen‘, legt Schiergen Wert auf die Feststellung. ‚Letztendlich ist sie dort auch gut gelaufen, allerdings damals am Jockey gescheitert, der sie gegen die vorher vereinbarte Order ritt.‘

Später wird Schiergen gebeten, die Stute zu Klassepferden wie Quijano, Samum und Tiger Hill einzuordnen, wobei er klare Worte spricht. ‚Eine Stute, wie es sie noch nicht gab, wie ich sie noch nie gehabt habe, unerreicht.‘ Und Befürchtungen, dass die Form doch kippen könnte, erstickt der Trainer im Keim, man verspürt man zu keiner Sekunde den Hauch eines Zweifels. ‚Sie steckt alles gut weg, frisst immer anschließend.‘

Apropos Futter. Damit sind die Japaner besonders streng. ‚Das, was wir brauchen, wird vor Ort eingekauft. Ich muss unsere Wünsche aufschreiben, und der Veranstalter organisiert alles. Eigenes Futter dürfen wir dort nicht nutzen.‘ Alles spricht dafür, dass man zu dieser Gelegenheit auch Miteigentümer Teruya Yoshida persönlich kennenlernen wird. Wenn nicht in Japan, wo dann. ‚Bisher haben wir nur Email-Kontakt gehabt‘, bestätigt Gisela Schiergen.

In Paris weilte der angeblich über 1300 Mutterstuten verfügende Yoshida nämlich nicht. Dass er zu den bekanntesten Persönlichkeiten im internationalen Vollblutlager gilt, liegt auf der Hand. Seinen Bekanntheitsgrad erhöht hat aber auch das Dream Team Schiergen/Starke.

Während Peter Schiergen in der Domstadt auf die Ereignisse von Paris und Japan angesprochen wird, weilt Stalljockey Andrasch Starke, den der Trainer als nervenstark und relaxt beschreibt, in Südafrika, auch ein Ausdruck wachsender internationaler Wertschätzung. Aber auch die Nominierung zur NRW-Sportlerwahl des Jahres sind Dinge, die ohne Danedream wohl nicht stattgefunden hätten.

Britta Rechwald, Redakteurin beim Morgenmagazin, verspricht zudem Beiträge im Vorfeld des Japan-Cups von dort sowie einen möglichen Vier-Minuten-Beitrag – so ganz ist dies an diesem Morgen noch nicht geklärt – in der Sportschau am Sonntag des großen Rennens. Die Turffans dürfte es freuen, denn auch das, was der für das Marketing bei German-Racing zuständige Nico Lafrentz verkündete, passt ins positive Bild, dass nämlich der deutsche Rennsport die Gunst der Stunde nutzen möchte.

‚Die Bildrechte sind geklärt, die Franzosen und Japaner erlauben uns, das Rennen zeitnah zu zeigen. Einmal wird dies wenige Sekunden zeitversetzt auf dem Abo-Kanal des Direktoriums der Fall sein. Aber auch auf youtube und bei www.german-racing.com wird der Japan-Cup zu sehen sein. Und auch für die TV-Sender wird Bildmaterial zur Verfügung gestellt werden können.‘

Wenige Minuten später laufen die Kameras, klicken die Auslöser zahlreicher Fotoapparate. Neben einem überlebensgroßen Bild, das Danedream mit Andrasch Starke zeigt, ragt deren Kopf aus der Box heraus und versucht sich knabbernd über das selbige herzumachen. Später posiert Danedream in der eigens für den Japan-Cup entworfenen Decke mit dem Trainer.

Das Medieninteresse ist erfreulich stark, und die Stute absolviert ihren Teil in gewohnt ruhiger, abgeklärter Art. Bleibt nur, Peter Schiergen, seinem Team und vor allen Dingen Danedream alle Daumen zu drücken. Es sind nun wirklich historische Zeiten für den hiesigen Galopprennsport.

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