Seit 1994 werden im Gestüt Schallern zwischen Soest und Lippstadt Vollblüter gezüchtet. Mit dem Gruppe 1-Sieg von Estejo in Rom landete der Familienbetrieb seinen bisher größten Zuchterfolg. „Wenn mir vor Jahren jemand gesagt hätte, dass wir hier in Schallern einmal einen Gruppe 1-Sieger züchten würden, den hätte ich für vollkommen verrückt gehalten“, bemerkt Hans-Jürgen Kirsch zu Estejos Überraschungscoup im Premio Roma.
Wir befinden uns in Erwitte-Schallern, einer 300-Seelen-Gemeinde in der Soester Boerde, im Dreieck zwischen Gestüt Wittekindshof, Gestüt Rietberg und dem ehemaligen Gestüt Rosenau gelegen. Idylle und Ruhe pur, Landwirtschaft wird hier groß geschrieben, kaum Industrie, einige Windkrafträder, viel flaches Land, soweit das Auge reicht und ein ausgeglichenes Klima, beste Voraussetzungen also für die Aufzucht von Vollblütern.
„Wir haben hier 85er Böden und ich suchte ein Anwesen, von dem ich Beruf und Hobby aus verbinden konnte. Als wir den Hof hier 1994 übernommen haben, galt es, das 10 ha große Gelände von Gemüseanbau in Weideland umzuwandeln“, erinnert sich der Vollblutliebhaber Kirsch. „Das sorgte in unserer neuen Nachbarschaft erst einmal für ungläubiges Staunen, mittlerweile kennt man sich zu genüge, die Pferde gehören genauso zum Dorf wie das alljährlich stattfindende Schützenfest in diesem Kleinod‘.
Es riecht nach Mist und nicht zuletzt nach Arbeit, die Kühle des Morgens verleitet den Betrachter schnell dazu, melancholisch den Blick über die weitläufigen Koppeln schweifen zu lassen. Doch 19 Boxen, die nach einem akribischen Ritual von Iris Kirsch eingestreut sind, das Begrüßungswiehern der zutraulichsten Vierbeiner, die man sich vorstellen kann und zugleich fester Bestandteil der Familie sind, genauso wie Mischlingsrüde Lenny, der aus dem Tierheim kommend, hier ein neues Zuhause gefunden hat und den beiden Katzen Baghira und Meggy, schreien zumeist nach Arbeit, sieben Tage die Woche.
„Urlaub ist in unserem Leben ein Fremdwort. Aber das ist so gewollt. Hier wächst in steter Regelmäßigkeit etwas heran, und es ist für uns etwas Einmaliges, wenn die hier groß gewordenen Pferde später Rennen gewinnen“, sagt der gelernte Steuerberater voller Inbrunst.
Montags bis freitags geht der 51-jährige gebürtige Bergheimer seiner eigentlichen Profession nach, im thüringischen Heiligenstadt führt der Vollblutliebhaber eine florierende Steuerberatungspraxis. Währenddessen betreut seine Frau Iris, gelernte Pferdewirtin, das heimatliche Gestüt. Pensionspferde und eigene Samtnasen, tragende Mutterstuten, Fohlen und Jährlinge verlangen nach steter Präsenz.
Und am Wochenende heißt die Lieblingsbeschäftigung Rennen schauen. Die Satellitenanlage des Gestüts sucht darüber hinaus ihresgleichen. Ob Frankreich, Italien oder Deutschland. „Wir schauen alles, was stattfindet, ob live oder per Aufzeichnung. Und wenn die eigenen Pferde laufen, dann fahr ich nicht selten selbst, Hänger angespannt und los gehts“. Die Rennsysteme in Deutschland und Frankreich kennt Kirsch wie kein Zweiter, vor allen Dingen in Frankreich gilt der Vollblutzüchter als echter Spezialist. Und die Liebe zum Vollblut kommt nicht von ungefähr.
Zwischen 1969 und 1980 hat Hans Jürgen Kirsch auf dem Charlottenhof von Ferdinand Leisten in jeder freien Minute mit angepackt, „in dieser Zeit lernte ich beim Kauf der Schallerner Gründerstute Western Angel, eine Limbo-Tochter, meine spätere Ehefrau Iris kennen. Sie war Auszubildende bei Hubert Retzlaff, dem damaligen Gestütsmeister bei Charlottenhof und später bei Pliesmühle „dann war ich 10 Jahre auf dem Licher Hof bei Tierarzt Rainer Krapp in Bergheim.
Nach dem Betriebswirtschaftsstudium ging es schließlich Richtung Soester Boerde, wo wir mittlerweile vier Mutterlinien angesiedelt haben. „Western Angel wird im nächsten Jahr 25 Jahre alt, Grund genug für ein großes Fest im kommenden Februar“. Aktuell ist sie über ihre Tochter Western Gold empfohlen, denn deren Zweijährige Weyra gewann jüngst beim Lebensdebüt in Hannover eine Zweijährigenprüfung. Die Second Set-Tochter wird demnächst auf Listenebene in Frankreich weitermachen. „Im Übrigen bleibt jedes Pferd, das einmal auf Schallern Mutterstute wird auch bis zum natürlichen Tod auf den Koppeln des Gestüts“, so die Philosophie der Hausherrin.
Bis auf die 1994 auf der Spätleseauktion von Hendrik Pape erworbene Daun-Tochter Anna Diana, dessen Nachkommen Annatira, Annina und Annanova schon für Furore gesorgt haben, tummeln sich ausschließlich selbst gezogene Vollblüter auf den Koppeln. Neben der Röttgener A- und W-Linie, die immer wieder Aktualität erlangt, wird duch die vom Gesüt Haus Hahn erworbene Lizzica die vierte auf dem Hof ansässige Linie begründet. Hier schwört der seit 8 Jahren für das Gestüt tätige Trainer Ralf Rohne auf den zweijährigen Lizzero, der mittlerweile in italienichem Besitz stehende Paolini-Sohn aus der Lizzy, einer Tochter aus der Lizzica.
Aber der einstweilige Höhepunkt war ohne jeden Zweifel Estejos Überraschungscoup in Rom. Die Geschichte zum Gruppe 1-Treffer beginnt, als Agent Axel Donnerstag der Familie Kirsch die The Noble Player-Tochter Este anbietet. „Ich hatte genau 10 Minuten, mich zu entscheiden, die Stute war tragend von Oxalagu, und damit begann eine unglaubliche Geschichte, wie sie nur der Rennsport schreiben kann“, so Kirsch.
Das Oxalagu-Fohlen avancierte zur doppelten klassischen Siegerin. Estemona, zwei- und dreijährig Championstute in Ungarn, gewann die dortige Winterkönigin, die 1000 Guineas und die Oaks. Dann entschied man sich per Familienrat für Johan Cruyff, ein Danehill-Sohn, der damals auf Isarland deckte und leider viel zu früh abgetreten ist, und der sich dank „Elvis“, so der Spitzname von Estejo, posthum zum Gruppe 1-Vererber entwickelte.
„Elvis war schon auf der Koppel ein cooler Typ, den brachte nichts aus der Ruhe, weder Schützenfest noch Kirmes. Das Verblüffende war, dass wir Elvis sowohl als Jährling als auch als Zweijähriger für kleines Geld angeboten haben, aber niemand wollte ihn damals haben. Der Verkauf an den Meraner Giovanni Martone fand nach seinem Debütsieg in Mailand statt.
Leider kam Estejos Mutter Este, tragend zu Mamool, tragischerweise beim Rücktransport aus Graditz ums Leben. Dafür ist der Nachzucht die Rietberger E-Linie in Gestalt von Evita (Samum-Este) und Edita (Second Set – Edisha) auf Schallern nunmehr durch Estejos Gruppe 1-Treffer eine noch höhere Wertschätzung gewiß.
Vier Mutterstuten sind aktuell tragend auf den Koppeln zu finden. Annapurna (Winged Love – Anna Diana), von Ransom O´War, Annina (Diktat – Anna Diana), tragend von Areion, Oakville (Alpenkönig – Oka), von Lord of England und Anna Diana (Daun – Antwerpen) von Sholokhov. Insgesamt stehen 59 Siege mittlerweile aus Schallerner Zucht zu Buche und das ist auch das eigentliche Ziel des Betriebes. Aktuell tummeln sich zwei Hengst- und ein Stutfohlen auf den weitläufigen Koppeln.
„Wir suchen im Übrigen eine Spielgefährtin für unsere einzige Absetzerstute“, fügt Iris Kirsch abschließend noch an. Zur Philosophie des Betriebes ergänzt sie denn auch: „Die Intention war und wird immer bleiben, Vollblüter zu züchten, die später ordentlich trainiert werden und ihre Rennen gewinnen. Ein Gruppe 1- Pferd zu züchten erschien uns immer als eher utopisch. Aber in diesem Sport ist, wie man sieht, alles möglich. Und das sollte auch der Ansporn für alle sein, die diesen Sport lieben“.