Ein gutes Rennpferd ist schön, verkörpert den edlen Vollblüter und gewinnt Rennen. Ein sehr gutes Pferd verdient Geld für seinen Besitzer. Auf der Rennbahn und später auch in der Zucht. Ein sehr, sehr gutes Rennperd verkörpert darüber hinaus noch eine Form der kultivierten Überlegenheit: Es bleibt unbesiegt. So wie Overdose, das aus Ungarn entsandte Sprintwunder, das die Massen zu begeistern weiß. Am Sonntag hält dieses Wunderpferd Hof in Iffezheim, will wie 2008 erneut die Goldene Peitsche gewinnen
Vielleicht besitzt Overdose auch diese Ausstrahlung, da jedermann mittlerweile seine Geschichte kennt. Nicht blaublütig geboren, sondern ein „Allerweltsprodukt“, das sich hochdienen musste. Auf rauem Pflaster in Ungarn.
Der von Starborough aus der Warning-Tochter Our Poppet gezogene Overdose wurde von seinen Züchtern Mr & Mrs. Robinson auf die Newmarket-Jährlingsauktion geschickt. Dort suchte der ungarische Stahlhändler Zoltan Mikoczy ein Pferd für den kleinen Geldbeutel und ersteigerte den eher unscheinbaren, noch von kaum jemand beachteten Jährling für lächerliche 2000 Guineas, umgerechnet seinerzeit 3500 Euro. Knapp zwei Jahre später lehnte Zoltan Mikoczy ein Angebot für seinen mittlerweile zum Superstar aufgestiegenen Hengst von 6,5 Millionen US-Dollar ab. „Ich habe das Pferd nicht gekauft, um mit ihm Geschäfte zu machen,“ gab der Stahlhändler zu verstehen, „denn man verkauft keine Träume.“ Das sieht zwar inzwischen etwas anders aus, denn im April 2009 wurde Overdose syndikatisiert, Mikoczy nahm zwei Anteilseigner mit ins Boot. Einer davon ist Mario Hoffmann, einer der reichsten Slowaken. Aber dennoch, ohne einen solch patriotisch zu bezeichnenden Besitzer wie Zoltan Mikoczy hätte es das „Wunder Overdose“ wohl nie gegeben.
Alles war recht schnell als wenig normal zu bezeichnen, wie Overdose seine Karriere begann. Am 2. Juni 2007 bezog der Starborough-Sohn, der von Sandor Ribarszki trainiert wurde, in Budapest erstmals die Startboxen. Overdose fegte alles weg, legte die 1000 Meter in 0:58 Minuten zurück, der Zweitplatzierte folgte am Pfosten 18 Längen zurück. Sieben Wochen später gewann der Ribarszki-Schützling in Bratislava über 1200 Meter mit sechs Längen Vorsprung, wiederum sechs Wochen später waren es in Wien 13 Längen, die er am Pfosten voraus war, in Budapest 16 Längen. Zum Ende seiner Zweijährigen-Kampagne, als Europas Turfwelt bereits etwas hellhörig auf dieses Sprintwunder aus Ungarn geworden war, sattelte ihn Sandor Ribarszki im österreichischen Ebreichsdorf. Wo er mit acht Längen dominierte. Fünf Starts, fünf Siege, immer mit der „halben Bahn“ an Vorsprung, in Ungarn war man sich einig: Wir haben einen neuen vierbeinigen Superstar.
Dreijährig ging es Anfang April in Ebreichsdorf los, wo Overdose unterstrich, dass er über Winter nichts verlernt hatte. Über 1100 Meter siegte er mit sechs Längen Vorsprung. Die Ankündigung, dass Overdose zum Frühjahrs-Meeting 2008 nach Baden-Baden kommen würde, war natürlich für den Veranstalter wie ein „Sechser im Lotto“. Man hatte die Schlagzeile und das ungarische Sprintwunder spielte mit, siegte im Lanson-Cup – Scherping-Rennen unter Piotr Krowicki mit neun Längen Vorsprung. Zurück in der Heimat war ein standesgemäßer Sieg in Bratislava fällig, ehe in Hamburg das erste Mal ein Gruppe-Rennen auf dem Programm stand. Aus deutscher Sicht hatte der Auftritt des Starborough-Sohnes noch einen weiteren Reiz, da man Andreas Suborics verpflichtete. Die Lotto-Hamburg-Trophy ließ sich Overdose nicht nehmen, er siegte nur mit eineinhalb Längen vor Abbadjinn und dem aus Frankreich entsandten Spitzenflieger Mariol.
Deutschland blieb die Bühne für das Ausnahmepferd aus Ungarn. Die „Goldene Peitsche“ war das nächste Ziel und auch in dieser bärenstark besetzten Gruppe-II-Prüfung behielt Overdose den Nimbus des Unbesiegten. Wiederum mit Andreas Suborics im Sattel verwies der Favorit wie in Hamburg Abbadjinn auf Rang zwei, dahinter passierten die englischen Gäste Starlit Sands und Intrepid Jack die nächsten Plätze. Es war der zehnte Erfolg beim zehnten Auftritt von Overdose. Längst war er der – zumindest noch heimliche – Superstar unter den Fliegern in Europa. Die Rufe wurden immer lauter, dass er sich nun auch in England oder Frankreich stellen sollte. Und eins war auch klar: Overdose hatte mittlerweile eine Mission zu erfüllen. In einer Zeit großer wirtschaftlicher und politischer Probleme gab dieser Ausnahmesprinter den Magyaren ein neues Selbstbewusstsein. Zumindest auf sportlichen Sektor.
Schließlich nahm man die Herausforderung an und gab grünes Licht für einen Start im Prix de l‘ Abbaye de Longchamp und somit dem Fliegerrennen der Herbstsaison. Traditionell am Arc-Tag entschieden, sollte sich dieser Auftritt dann aber zum großen Alptraum entwickeln. Mit Andreas Suborics im Sattel zählte Overdose auch in dieser Gruppe-I-Prüfung zu den Mitfavoriten, als sich bei einem Teil der Konkurrenten die Boxentüren nicht öffnete. Andreas Suborics nahm das Rückrufsignal nicht wahr wie auch weitere Konkurrenten, die das Rennen aufnahmen, und Overdose siegte. Doch der bis dato größte Triumph des ungarischen Wunderpferdes war nichts wert. Das Rennen wurde annulliert. Man machte das Angebot, die Gruppe-Prüfung als letztes Rennen des Tages neu starten zu lassen. Die Verantwortlichen von Overdose sagten Nein! Eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung, denn Overdose hatte schließlich sein Rennen gelaufen. Dass Overdose die 1000 Meter der Innenbahn von Longchamp in einer schnelleren Zeit als der spätere Sieger Marchand d‘ Or zurückgelegt hatte, sollte nicht unerwähnt bleiben.
Dass man Andreas Suborics keinen Vorwurf machte, beweist die Tatsache, dass er auch im Sattel des Hengstes saß, als dieser am 16. November in Rom den zur Gruppe III zählenden Premio Carlo gewann. Mit satten zehn Längen Vorsprung auf knietiefer Bahn.
Was sich dann am 19. April 2009 und somit dem ersten Auftritt von Overdose als Vierjähriger auf der Galopprennbahn in Budapest abspielte, hatte es zuvor wohl noch nie gegeben. Das Jahresdebüt des Unbesiegten auf der Heimatbahn Kincsem-Park wirkte regelrecht elektrisierend. „So viel Besuch, so eine unglaubliche Begeisterung hatten wir selbst bei Imperials großen Leistungen nicht,“ verwies Trainer Sandor Ribarszki auf die rund 20.000 Zuschauer. Eine Geräuschkulisse wie beim „Arc“, als Overdose nach dem erwarteten Spaziergang im Großen Preis von Ungarn auch beim 12. Start ohne Niederlage blieb und bei der Ehrenparade vor der Tribüne frenetisch gefeiert wurde. Gewaltiger Sympathien erfreute sich auch Christophe Soumillon. Zum ersten Male saß der französische Klassejockey auf dem Rücken von Overdose. „Christophe war zweieinhalb Tage bei uns,“ sagte der Trainer, „und er hat fantastische Werbung für unseren Rennsport gemacht.“ Wo Soumillon, der wenige Monate zuvor mit Zarkava immerhin den Prix de l‘ Arc de Triomphe gewonnen hatte, zu sehen war, sofort hatten ihn die Autogrammjäger umringt.
Ein Internet-Anbieter titulierte scherzhaft: „Overdose empfing Viktor Orban“. Der Führer der Fidesz-Partei war von 1998 bis 2002 Ministerpräsident. „Jetzt ist unser Rennsport plötzlich in aller Munde,“ verwies der Trainer auf den Medien-Rummel, „zuvor hatte kaum jemand Notiz von uns genommen.“ Natürlich gewann Overdose das mit sieben Millionen Forint (umgerechnet 24.000 Euro) dotierte, von der OTP Bank gesponserte 1000-m-Rennen, machte seinem englischen Spitznamen „Budapest Bullet“ (Geschoss von Budapest) alle Ehre. Unter dem Jubel der Zuschauermassen behauptete er im Ziel acht Längen Vorsprung.
Die Ehrenparade für Pferd, Reiter und Trainer auf dem Geläuf gestaltete sich zu einem grandiosen Triumphzug. Soumillon warf wie nach Zarkavas Sieg Peitsche und Kappe ins Publikum, beugte sich zu Ribarszki und meinte: „Es hat unheimlich viel Spaß gemacht, auf diesem Pferd zu sitzen. Wenn hoffentlich weiterhin alles glatt geht, möchte ich Overdose jederzeit gern wieder reiten.“ Für Overdose stand mit 0:54,2 Minuten ein neuer Bahnrekord zu Buche, und das, obwohl er 400 m vor dem Ziel vorn links das Eisen verloren hatte. „Der Huf war in Ordnung, einen Tag später kam der Schmied,“ orientierte Sandor Ribarszki 24 Stunden nach dem Rennen. Und hatte zwei Tage zuvor in einem langen Gespräch das Wesen seines Schützling analysiert: „Overdose besitzt einen sehr guten Charakter, ist problemlos zu reiten und zu pflegen, benimmt sich auch wie ein Rennpferd von Format. Er ist 10 Kilogramm besser, wenn er auf einer geraden Bahn, also ohne Bögen, läuft. Links oder rechts herum ist egal.“
Niemand ahnte an diesem April-Tag, der in die Geschichte Ungarns eingehen sollte, dass Overdose eine sehr lange Pause bevorstehen würde. Man wollte ursprünglich nun auch das Mutterland des Sports erobern, doch fielen die geplanten Starts im englischen Haydock, Ascot oder Newmarket aus. Auch die Goldene Peitsche in Iffezheim war kein Thema mehr. Immer wieder kündigte man ein Comeback an, doch es fiel verletzungsbedingt – Hufriss – aus. Auch nach Longchamp reiste Overdose nicht. Schließlich kam er sogar vorübergehend nach Hoppegarten in Training. Schließlich sollte es bis zum 18. Juli 2010 dauern, ehe Ungarns Sprintwunder wieder in die Boxen einrückte. Erstmals mit Gary Hind im Sattel und nun trainiert von Jozef Roszival, gewann Overdose in Bratislava auf Listenebene standesgemäß. Doch mit dem geringsten Abstand seiner Laufbahn: nur mit einer halben Länge.
Das sah rund vier Wochen später schon ganz anders aus. Alle Augen richteten sich vor eineinhalb Wochen auf der Rennbahn Kincsem Park in Budapest auf den Superstar Overdose. Das Wunderpferd aus dem Besitz von Zoltan Mikoczy bestritt dort in einem 1000 Meter-Rennen auf der Geraden Bahn unter Gary Hind seine Generalprobe für die Goldene Peitsche in Baden-Baden.
Auch bei seinem 14. Start blieb der Starborough-Sohn ungeschlagen. Und im Gegensatz zu seinem Saisondebüt in Bratislava, als er nach langer Pause nur mit einer halben Länge Vorsprung gewann, siegte der Fünfjährige diesmal wieder mit „der halben Bahn“. Im Ziel behauptete Overdose zehn Längen Vorsprung. RaceBets.com hatte eigens eine Spezialwette angelegt und alle, die wetteten, dass Overdose mit zehn Längen oder mehr gewinnt, konnten sich über 80:10 freuen.
Besitzer Zoltan Mikoczy war nach dem Rennen voll des Lobes über sein Wunderpferd: „Es gab heute zwei Kriterien für einen Start in Baden-Baden. Er musste mit mindestens fünf Längen und in einer Zeit von um die 56 Sekunden gewinnen. Beides wurde erfüllt, und wenn er nun gesund aus dem Rennen kommt, freuen wir uns auf Baden-Baden. Die Goldene Peitsche ist ein tolles Rennen, wir haben fantastische Erinnerungen an Iffezheim und freuen uns auf den Start.“ Auch wir!