Mit Sicherheit werden schon öfter Tränen in seinen Augen gestanden haben. Doch an zwei Tage, an denen das der Fall war, wird sich Ralf Suerland lange erinnern. Sein Leben lang. Das ist sicher. Beides Tage im Jahr 2001. Beides Tränen im Zusammenhang mit Rennen seiner Stute Proudwings. Und doch waren sie so unterschiedlich, diese Tränen in den Augen des Ralf Suerland.
Am 19. August erfährt der Kölner den vielleicht unglücklichsten Tag seiner Karriere. Wie ein Schlag mitten ins Gesicht trifft ihn die Faust der französischen Rennordung an diesem August-Nachmittag. Der Prix Jacques le Marois war gerade entschieden worden, hatte eine sichere Siegerin gesehen. Doch Sieger waren sie nur für 10 Minuten. Dann folgte Proudwings Disqualifikation. Nah waren Suerland und Proudwings dran gewesen. Nah waren sie dran, an der ganz großen Sensation. Doch die große Sensation wurde zur großen Enttäuschung. Zu einer ganz großen.
Als die Rennleitung das Urteil verkündet, möchte niemand in ganz Deauville mit Suerland tauschen. Ratlos steht er am Absattelring. "Das sind die grausamsten Minuten meiner Karriere. Eine so bittere Geschichte. Es ist einfach nur ein ganz schwarzer Moment", beschreibt Suerland kurz nach der Entscheidung seine Gefühle. In diesen Sekunden ist er der einsamste Mensch der Turfwelt. Und die Tränen, die da in seinen Augen stehen, sagen wohl nur zum Teil aus, wie sich jemand in einer solchen Situation fühlt. Nach empfinden kann man es nicht, nicht einmal beschreiben.
Drei Monate später steht Suerland wieder im Mittelpunkt. Wieder ist ein Rennen entschieden worden. Wieder war Proudwings als Erste durch das Ziel gegangen. Und wieder stehen Tränen in den Augen des Trainers. Doch diese sind die schönsten der Welt. Es sind Tränen der Freude und Rührung über den Sieg von Proudwings. Und dieser war unumstritten. Keiner kann den beiden den Erfolg in den Capital Stakes in Tokio wegnehmen. Dieser Sieg ist für die Ewigkeit.
So auch die Erinnerungen des Trainers. 150.000 Menschen jubeln ihm zu, als er den Ehrenpreis entgegen nimmt. 55.000 Fans feuerten Deutschland bei ihrem Länderspiel gegen die Ukraine an. Für Suerland klatschen in Tokio fast dreimal so viele. Nachempfinden kann man das nicht, und auch beschreiben kann man diese Situation wohl kaum. "Es ist ein traumhaftes Gefühl. Wenn ich mir die Bilder vor Augen führe und über das Rennen spreche, kommen mir immer noch Tränen in die Augen. Es ist unbeschreiblich", waren die Worte am Abend nach dem Rennen in Tokio.
Es war ein Sieg der Gerechtigkeit. Aber auch ein Sieg des Glaubens. Denn den hat der Trainer in seine Stute immer gehabt. Und unterkriegen lassen hat sich Suerland in Bezug auf Proudwings nie. Grund dazu gehabt hätte er im Proudwings-Fall genug gehabt. Im Alter von zwei Jahren bricht sich die Dashing Blade-Tochter ein Bein. Bei einem langsamen Canter in der Arbeit. Suerland glaubt an sie und formt sie zu dem, was sie heute ist.
Im ersten Jahr auf der Rennbahn, als sie 1999 drei Jahre alt war, hat sie nur vier Rennen bestritten, davon eines gewonnen. 2000 legte die Lady dann los wie die Feuerwehr, gewann sechs Rennen. Nach vier Siegen in Ausgleichen wurde Suerland die Sache zu bunt: "Jetzt hört der Spass auf, jetzt legen wir los", sagte der Coach und wurde von vielen eher mitleidig belächelt. Suerland sattelte Proudwings im Darley-Oettingen-Rennen in Iffezheim, die Stute strafte mit Platz zwei alle Zweifler Lügen und Suerland durfte gedanklich allen, die so etwas nicht geglaubt hatten, eine lange Nase machen. Zwei Siege in Mailand, in einem Listenrennen und auf Gruppe III-Parkett, wiederlegten im Anschluss sämtliche Zweifel.
883.763 Mark stehen als Gewinnsumme nach dem Triumph in den Capital Stakes in Japan zu Buche. Und Hong Kong wartet noch. Große Kohle in der Hong Kong Mile. Ralf Suerland freut sich drauf. Und ganz Turf-Deutschland drückt die Daumen.