Die Nummer 1 und ihr Chef

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Der Montag vor dem BMW 137. Deutschen Derby. Es herrscht noch die Ruhe vor dem Sturm. Die Sonne strahlt, schon gegen zehn Uhr nähern sich die Temperaturen der 30 Grad Celsius-Marke. Durch die dicken, uralten Mauern des Gestüts Röttgen wirkt die Zuchtstätte in Rath-Heumar vor den Toren Kölns wie eine Bastion. Abgeschirmt von der Außenwelt werden hier Spitzenpferde vorbereitet.

Schon jahrzehntelang. Alle paar Minuten düst ein Flugzeug über das riesige Areal. Von der neugebauten Schnellbahntrasse für die ICE-Bahnstrecke bekommt man allerdings wenig Lärm mit. ‘Die liegt unterirdisch’, sagt Hans-Albert Blume.

‘Das stört uns hier nicht. In meinem Haus auf dem Gestütsgrundstück haben wir doppelverglaste Fenster, dann hört man auch nichts.’ Aus der Ruhe scheint er ohnehin nicht zu bringen zu sein.Der 66-jährige genießt schon seit elf Jahren das Vertrauen der Mehl-Mülhens-Stiftung, die das Erbe von Maria Mehl-Mülhens fortführt. Souverän lenkt Blume die Geschicke des Rennstalles. Assistiert wird er in bewährter Manier von Tochter Alida, seiner rechten Hand in diesem Vorzeige-Quartier, während Ehefrau Luise den Haushalt führt und im Hintergrund eine wichtige Stütze ist.

Große Erfolge in all den Jahren sprechen für sich. Doch das Blaue Band im Heimatland fehlt noch in der Erfolgssammlung Blumes. Zweimal war er dicht dran. 1994 und 2000. Vor zwölf Jahren Platz drei mit Helmut von Fincks Aratikos. Nur geschlagen von dem Ittlinger Laroche sowie dem Engländer Overbury. ‘Als großer Außenseiter war das fast wie ein Sieg’, rekapituliert Hans-Albert Blume.

Sechs Jahre später galt der Röttgener Kallisto als Mitfavorit. Kein Wunder, hatte er doch mit sechs Längen das Derby Italiano gewonnen, doch ausgerechnet in Hamburg sollte es nicht klappen. ‘Ich war vorher so guter Dinge, doch dann war der Boden völlig unpassend, hatte es enorm viel geregnet. Da waren mit einem Schlag alle Ambitionen zunichte.’ Platz vier hinter dem Schütz-Trio Samum, Subiaco-Acamani war das Ergebnis.

Das Gestüt Röttgen, gewissermaßen der Arbeitgeber Blumes, hat im Rennen der Rennen eine lange Durststrecke hinter sich. Seit Uomo 1959 konnte einfach kein Kandidat in den Traditionsfarben mehr das Derby an sich bringen. Doch selten standen die Chancen so günstig wie 2006, diese Serie zu beenden. Hinter den Gestütsmauern läuft der Countdown längst, bereitet Hans-Albert Blume mit seiner Mannschaft alles generalstabsmäßig vor.

Von Nervosität keine Spur. Gelassen sieht der Coach der Dreijährigen-Krone entgegen. Kann er auch sein, denn neben Peter Schiergen schickt er als einziger Trainer ein Trio in die 137. Auflage der Prüfung. Und er stellt die Programm-Nummer eins, also den von Handicapper Harald Siemen am höchsten eingestuften Kandidaten.Sein Name: Aspectus. Begleitet wird er von Dickens, dem Sieger im Großen Freiberger-Preis in Dresden und Diarius einem krassen Außenseiter. Alle drei tragen die Röttgener Farben, aber natürlich sticht Aspectus klar heraus.

‘Eigentlich könnte man das Derby in zwei Abteilungen laufen, wie es einmal beim Großen Preis von Baden geschehen ist. Damals war die Beteiligung so groß, diesmal ist der Klassenunterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Feldes nicht gering’, flachst Blume. Mit Aspectus wählte man eine äußerst anspruchsvolle Route. Zunächst traditonell und klassisch mit dem Preis des Winterfavoriten, dem Busch-Memorial in Krefeld und dem Mehl-Mülhens-Rennen, wiederum in Köln.

Im Klassiker gab es auf anspruchsvoller Ebene die erste Niederlage. Hauchdünn scheiterte der Spectrum-Sohn an dem Engländer Royal Power. Eigentlich eine vermeidbare Niederlage, denn bei einem glatten Rennverlauf hätte der Sieger nur Aspectus oder (der dicht hinter ihm eingekommene) Lord of England geheißen. Aber ein wenig günstiger Rennverlauf verhinderte das.

Einen weitere Herausforderung bedeutete der Auftritt im Prix du Jockey-Club, dem Französischen Derby. Doch endete Aspectus, den wie gewohnt Adrie de Vries steuerte, im geschlagenen Feld. ‘Da wurde Pinppong mit ihm gespielt, das konnte nie und nimmer stimmen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Aspectus platziert gewesen wäre’, erläutert Hans-Albert Blume im Gleichklang mit seiner Tochter Alida.

Schließlich ging es als in den alles entscheidenden Derby-Test, das Oppenheim-Union-Rennen in Köln. Fälschlicherweise konzentrierte sich das Gros der Wetter nur auf Lauro, hatte Aspectus entweder voreilig abgeschrieben oder ihm das Stehvermögen für 2200 Meter nicht zugetraut.

Mit Andrasch Starke, der für den auf dem Außenseiter Lucky Galic engagierten Adrie de Vries eingesprungen war, stürmte Aspectus Mitte der Geraden in Front und bewahrte einen Vorteil gegen Lauro. Beide dürften gemeinsam mit Schiaparelli und vielleicht noch Saddex die Favoriten für das Blaue Band sein.

‘Morgen steht seine Abschlussarbeit an. Adrie de Vries ist der ständige Partner von Aspectus beim Galopp’, erklärt Blume, der den Zeitabstand zwischen Union und Derby als ideal ansieht. ‘Aspectus hat das Rennen in Köln super verkraftet und ist noch weiter gefördert. Die drei Wochen waren für die Vorbereitung ideal.’ Am Samstagmorgen ist dann der Transporter gebucht, werden die drei ‘4711’-Hoffnungen in den LKW zum Horner Moor steigen.

Sicherheit wird natürlich großgeschrieben. Man weiß natürlich in Heumar um die Bedeutung des Rennens, um die einmalige Chance im Leben eines Pferdes, das derby zu gewinnen. ‘Hier am Stall wird alles per Video überwacht, auch Sie sind jetzt auf dem Film zu sehen’, weiht der Trainer den Schreiber dieser Zeilen in die Röttgener Security-Geheimnisse ein. ‘Und in Hamburg passt seine Pflegerin Monique Haedicke auf. Sie lässt Aspectus nicht aus den Augen’, präzisiert Alida Blume.

Skepsis ist nicht angebracht, auch nicht an der Stamina für die nun nochmals um zweihundert Meter weitere Strecke. Hans-Albert Blume: ‘Aspectus ist in der Arbeit für einen Steher sehr spritzig, aber ich habe hier auch seine Mutter Anna Thea trainiert, deren Ebenbild Aspectus ist. Und nach der Aktion und der Art zu galoppieren und den Erfahrungen mit der Mutter habe ich keine Bedenken.’

Aber warum wurde es in der Union zuletzt wieder recht knapp, schien Lauro mit zunehmender Distanz wieder näher an Aspectus heranzukommen? ‘Als er vorne war, wurde er etwas guckig. Der Jockey hat ihm auch längst nicht alles abverlangt. Das konnte man deutlich sehen’, fasst Blume zusammen. Ohnehin gilt der Hengst als ‘charakterlich einmalig und völlig unkompliziert’.

Sein Trainer: ‘Aspectus zeigt überhaupt keine Untugenden, ist einfach zu reiten. Jedes Kind könnte ihn reiten.’ Alida Blume weist noch auf eine Besonderheit hin: ‘Man kann ihn fahren wie ein Auto, braucht nur einen Gang höher zu schalten. Der Jockey findet bei ihm einen sechsten Gang, und zwar sehr schnell.’

Der Mann des Vertrauens im Sattel von Aspectus wird auch im Derby ‘Beinahe-Titelträger’ Adrie de Vries sein. Bleibt die Hoffnung auf nicht zu festen Boden. ‘Gut und weich darf das Geläuf sein, aber Beton braucht nun wirklich keiner’, heiß es.

Im Übrigen rangiert Aspectus bei einer Gewinnsumme von 218.300 Euro. Mehr als das Dreifache all seiner Konkurrenten. Da darf man nun berechtigte Hoffnungen auf den größten Zahltag der Karriere haben. Hans-Albert Blume: ‘Ich habe schon sehr gute Erwartungen.

Bei einem Mitfavoriten zählt nur der Sieg. Bei Dickens wäre eine Platzierung schon ein Erfolg’, führt der Trainer aus, der wie in der Union Lauro fürchtet. ‘Das ist für mich der stärkste Gegner.’
Bei Kallisto sei er damals ähnlich optimistisch gewesen. ‘Wir hatten dann aber, als der Regen kam, schon überlegt, ihn aus dem Rennen zu nehmen. ich wünsche mir einmal den richtigen Boden für meine Pferde im Derby.’ Zumal Aspectus ‘eines der besten Pferde’ sei, so Blume, ‘die ich je trainiert habe.’

Natürlich steht Dickens ein wenig im Schatten seines Stallgefährten, doch unterschätzen darf man den Nachkommen von Kallisto keineswegs. ‘Er hat sich weiter verbessert und ist für eine Übertraschung immer gut’, glaubt der Trainer. ‘Allerdings lässt sich der Hengst etwas schwieriger reiten als Aspectus. In Hannover hat er sich im Listenrennen verpullt. Das war kein Jockey-Fehler, man konnte das vorher nicht erahnen. Mit der Form aus Dresden kommt er zwar noch nicht hin, doch ist er gesteigert.

Hätte das Derby am normalen Termin stattgefunden, wäre es ohnehin zu früh für Dickens, der in jedem Falle ein Steher ist, gewesen.’ In den Sattel steigt kein Geringerer als der italienische Spitzenjockey Mirco Demuro, den Hans-Albert Blume persönlich gebucht hat.

‘Er hat für mich viele Rennen schon gewonnen und nie schlecht geritten. Der Boden sollte für das Pferd nicht zu schwer sein, ich denke, er kommt auf normalem Boden besser zurecht. Und er braucht ein schnelles Rennen.’

Last but not least trägt Diarius die dritte Röttgener Farbe, wird sicher einer der längsten Außenseiter sein, denn seine Leistungen aus diesem Jahr (u.a. im Derby Italiano) reichen nornalerweise bei weitem nicht aus. Gut vorstellbar, dass der Sohn des hier zu Gruppe I-Erfolgen geführten Ungaro als Tempomacher für seine Stallgefährten in Aktion tritt.

Blume lässt sich dazu allerdings kaum einen Kommentar entlocken, nur soviel. ‘Er bevorzugt weichen Boden’, sicher eine recht diplomatische Antwort des Röttgener Cheftrainers. Mit Johan Victoire als Jockey hat er nur beste Erfahrungen gemacht. ‘Er hat in Frankreich häufigerfür mich geritten. Nachwuchsreiter seines Schlages sind in Deutschland leider rar gesät’, urteilt unser Gesprächspartner.

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