Derby-Rede: Das sagte Hans-Hugo Miebach

Hans-Hugo Miebach, Besitzer des Gestüts Wittekindshof, Besitzer und Züchter von Next Desert, Derbysieger 2002, hielt die traditionelle Derby-Rede im Rahmen des Derby-Dinners am Samstag im Hamburger Hotel Atlantic. Sie wird im Folgenden im Wortlaut dokumentiert:

Wenn ich am heutigen Abend die Verpflichtung und die Ehre habe, die Derby-Rede vor Ihnen zu halten, so verdanke ich das unserem Vollbluthengst Next Desert, den Sie gerade im Film bei seinem großen Erfolg im vergangenen Jahr als Derby-Sieger durch das Ziel galoppieren sahen.

Auch heute noch empfinden wir die riesengroße Freude, die uns dieser Sieg vor einem Jahr bereitet hat. Dass die Freude über den Derby-Sieg nahezu unbeschreiblich ist, ist klar, wenn man weiß, dass ein Derby-Sieg seit eh und je das Ziel eines jeden Züchters und Besitzers ist. Aber es klingt nach 30 Züchter- und Besitzerjahren schon erstaunlich, dass dieser Next Desert der erste Derby-Starter in eigenen Farben war.

,,Spätes Glück“ titelte deswegen Andreas Alsleben seinen Derbybericht im St. Georg. Ich befürchte allerdings doch mehr das Alter des fast 70-jährigen Gestütsbesitzers!

Der Grund für die lange Zeit bis zum 1. Derbystarter in eigenen Farben ist die Tatsache, dass unser Gestüt Wittekindshof von Anfang an als Verkaufsgestüt konzipiert war und als Folge davon in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eine Reihe von guten Pferde in fremden Farben den Ruhm im Derby angestrebt haben. Ein Mandelbaum 1990, ein Tiger Hill 1998, ein Nadour Al Bahr und ein Near Honor 2001 sind Zuchtprodukte von Wittekindshof, die vor oder im Deutschen Derby in fremden Farben eine wesentliche Rolle gespielt haben.

Der Grund dafür, dass Next Desert in den eigenen Farben an den Start kam, war, dass ich Next Desert als Jährling auf der Badener Auktion zurückkaufte. Aber von diesem Auktionstag bis zum Derby-Sieg war es dann noch ein weiter Weg.

Natürlich kam Next Desert ins Training zu Andreas Schütz, dessen Vater Bruno Schütz mit der Mutter von Next Desert, Night Petticoat, 1996 den Preis der Diana gewonnen hatte.

Natürlich ist eine Diana-Siegerin eine Perle eines Gestüts und eine erstklassige Zuchtempfehlung. Es ist jedoch keineswegs selbstverständlich, dass der Erstling einer solchen Diana-Siegerin gleich selbst ein hervorragendes Rennpferd wird. Die wichtigste züchterische Voraussetzung dazu ist die Auswahl des richtigen Deckhengstes. Diese Aufgabe erfüllt bei uns in erster Linie mein Gestütsleiter Karl Jörg, der das Studium internationaler hochkarätiger Blutlinien betreibt.

Für die Zuchterfolge von Wittekindshof und den Derbysieg von Next Desert gebührt ihm und seinen Mitarbeitern dafür und für die Aufzucht unser erster ganz besonderer Dank.

Trotz der sehr wichtigen Väter sollte der Züchter allerdings ganz besonderen Wert auf das Blut der Mutterlinie legen. Bei Next Desert lohnt es sich, drei Generationen zurück zu schauen. Die dritte Mutter von Next Desert nämlich erwarb ich 1977 (25 Jahre vor dem Derbysieg!) als Fohlen auf der Herbstauktion in Köln, von niemand Geringerem als Ferdinand Leisten.

Dieses Stutfohlen, Night Life, war die rechte Schwester einer deutschen Spitzenstute, Night Music, und stammte aus der berühmten Familie der Nella da Gubbio. Für diese Linie hatte ich persönlich eine besondere Vorliebe, seit ich in jungen Jahren, noch während meiner Schulzeit, auf der Dortmunder Rennbahn die Derby-Sieger Neckar und Niederländer des Gestüts Erlenhof unter dem Trainer Adrian von Borke bei der Arbeit verfolgen konnte.
Zurück zu Next Desert.

Das wie seine Mutter sehr hochbeinige und schmale Hengstfohlen wuchs auf den Weiden im rauhen Klima des Sauerlandes auf und wurde wegen seiner Größe nicht gerade als frühreifes Pferd betrachtet. Dennoch bot sich Next Desert im Training schon zweijährig derart an, dass er einen Sieg im hoch dotierten Dortmunder Auktionsrenen nach Hause tragen konnte. Das war ein wunderschöner Heimsieg für den Besitzer. Aber gleichzeitig stieg die Spannung im Hinblick auf die Derbychancen dreijährig an; Sollte tatsächlich erstmalig ein Sieger des Dortmunder Auktionsrennens auch das Derby gewinnen können?

Die Wahrscheinlichkeit war nicht gerade groß! Relativ lange stellte man sich auch die Frage: Kann Next Desert über die Distanz kommen? Schließlich und endlich war da die Jockeyfrage. Andrasch Starke hatte zwar mit der Mutter von Next Desert, Night Petticoat, seinen allerersten klassischen Sieg errungen, aber er hatte auf Grund seines Hongkong-Vorfalles ein halbes Jahr aussetzen müssen.

Die Erfolge mit dem dreijährigen Next Desert hatte Terry Hellier errungen, dem dafür an dieser Stelle ebenfalls ein großer Dank gebührt.

Nun aber hatte Andrasch Starke als Stalljockey für das Derby Next Desert gewählt. War er wirklich schon wieder in der Lage, dieses Pferd erfolgreich im Derby zu reiten?

Es wurde ein meisterlicher Ritt! Diesen Ritt und das Ergebnis haben Sie soeben noch einmal im Video erlebt und Andrasch Starke sagen wir unseren allerherzlichen Dank. Next Desert war stets sein Pferd und er hat unser Vertrauen nicht enttäuscht.

Neben dem Gestütsleiter und dem oder den Jockeys gehört der Dank aber vor allem dem Trainer Andreas Schütz, der in seinen jungen Jahren mit seinen einmaligen Erfolgen, bei denen die ersten Drei im Derby 2002 nur ein erneuter Höhepunkt war, die Tradition seines unvergessenen Vaters fortgesetzt. Auch bei dem ihm gebührenden Dank und der Anerkennung seiner großen Professionalität ist seine gesamte Stallmannschaft natürlich eingeschlossen.

Unser Dank geht bei dieser Gelegenheit aber auch an den Veranstalter, an den Hamburger Renn-Club, insbesondere an seinen Präsidenten, Herrn von Gaertner und seine Gattin, den Vorstand, den Geschäftsführer Herrn Gudert und an alle Mitarbeiter, die sich in jedem Jahr so engagiert um das Zustandekommen des Derbys verdient machen.

Last but not least gilt ein ganz besonderer Dank auch allen Sponsoren der Hamburger Derby-Woche, an der Spitze natürlich dem Hauptsponsor BMW!

Vielleicht fragen Sie nun. Hat der Gestütsherr selbst, der diese Derby-Rede vorträgt, auch etwas mit dem Erfolg von Next Desert im Derby zu tun? Die Antwort lautet: Er muß die Passion mitbringen, die die Zucht, der Besitz und schließlich auch die Beschäftigung mit den Vollblutpferden im Allgemeinen erfordert. Diese Passion ist bei mir begründet in der Liebe zu der Kreatur Pferd an sich. Ich habe als Junge in der ländlichen Reiterei und der Zucht von westfälischen Warmblutpferden die Liebe zum Pferd vermittelt bekommen.

Anschließend habe ich dann zunächst Trakehner-Reitpferde gezüchtet, mit meinen Töchtern zugeritten und für die Reitpferdeauktionen vorbereitet. Wie z. B. das Vorstandsmitglied des Hamburger Renn-Clubs, Herr Wahler, bezeugen kann.
Schließlich bin ich dann beim Vollblutsport und der Vollblutzucht angelangt, zumal ich eine wichtige Zeit lang auf der Dortmunder Rennbahn auch auf Vollblütern Reitsport betreiben durfte. Von den Anfängen bis heute war das sozusagen ein ,,Galopp durch die Jahrzehnte“. Diese Formulierung habe ich gewählt, weil dies auch der Titel eines Buches ist, das die Hamburger Pferdeleute wahrscheinlich kennen, das Carl Düsterdieck 1947 über die Geschichte des deutschen Derbys verfasst hat und das ich 1949 als 14-jähriger geschenkt bekam. Diese Geschichte der Derbysieger von 1869 bis 1946 hat mich als Junge unglaublich begeistert und den Traum von einem Derbysieg entstehen lassen. Dieser Traum ist mit Next Desert wahr geworden.

Wie Sie vielleicht wissen, treibt mich diese Passion nicht nur als Züchter und Besitzer an, sondern mit ihr habe ich es geschafft – natürlich auch mit der Geduld meiner Frau – und hier wird insbesondere auch Frau von Gaertner nicken, über 30 Jahre Präsident des Dortmunder Rennvereins zu überstehen. Aus dieser Passion heraus möchte ich Ihnen nun einige höchst persönliche Gedanken zu unserem Vollblutsport vortragen, wie es die Derbyrede verlangt.

Wie Ihnen sicher bekannt ist, gibt es gerade im Augenblick außerordentlich schwerwiegende Probleme in unserem Sport, die ganz grundsätzlicher Natur sind. Dabei handelt es sich um das Problem der Finanzierung unseres Sportes durch die Wetten. Bereits durch das Tierzuchtgesetzt von 1922 ist festgelegt, dass die Finanzierung unseres Sports über das Wettgeschäft zu erfolgen hat. Diese Finanzierung ist durch verschiedene Entwicklungen inzwischen in Frage gestellt, wie maßgebliche Köpfe unseres Sports bereits vor Jahren festgestellt haben.

1997 hat der Generalsekretär des Internationalen Clubs in Baden-Baden, Dr. Joyeux, in einer grundlegenden Darstellung ausgeführt, wie durch die Entwicklung der elektronischen Übertragungstechnik in Verbindung mit gesetzlichen Lücken auf Grund der ,,Überalterung“ des Rennwett- und Lotteriegesetzes die Gefahr der ,,Außenverlagerung“ der Wetten, weg von den Rennvereinen als den Veranstaltern, wächst und damit dem Rennsport immer weniger Geld zufließt. Der gesamte Rennsport krankt an diesem Problem und befindet sich im Augenblick mitten im Ringen um Lösungen. Deshalb will ich dazu heute keine weitergehenden Ausführungen machen, sozusagen nicht in ein schwebendes Verfahren eingreifen, und nur feststellen, dass m. E. eine Neuregelung des Rennwett- und Lotteriegesetzes durchgesetzt werden muss. Darum bemüht sich das Direktorium zur Zeit. Bei diesen Bemühungen muss der gesamte Rennsport solidarisch zusammenstehen, natürlich auch finanziell wie beim Buchmacherstreik im Winter!

Lassen Sie mit heute noch einige Gedanken zu einem anderen Grundsatzproblem unseres Sports vortragen, das auch großen Einfluß auf seine wirtschaftliche Lage hat und mehr langfristiger Natur ist. Es handelt sich dabei um die Größe, den Umfang dieses Sports, oder besser gesagt seine zu geringe Größe. Der deutsche Galopprennsport hat vergleichsweise eine außerordentlich geringe Basis. Rund 1.000 Züchter züchten in Deutschland mit ca. 2.500 Vollblutstuten und erzeugen ca. 1.000 Fohlen pro Jahr. 1.600 Besitzer unterhalten ca. 4.500 Galopprennpferde. Dazu ein internationaler Vergleich mit wichtigen Rennsportländern: In England, in Irland und Frankreich gibt es ca. die 5- bis 6-fache Zahl, nämlich je ca. 15.000 Stuten, in USA gibt es die 50-fache Zahl, nämlich über 100.000 Mutterstuten und die entsprechende Zahl an Fohlen und Rennpferden.

Aus diesen Zahlen resultiert dann auch die Zahl der Züchter und Besitzer der Rennveranstaltungen, die Zahl der Rennbahnen und die Größe der Wettumsätze.

Schon Dr. Andreas Jacobs hat in seiner Derby-Rede 1997 seine Vision vom zukünftigen Rennsport so definiert, dass ein ,,Markenartikel“, wie er unser ,,Produkt Pferderennen“ sieht, an jedem Tag der Woche und nicht nur samstags und sonntags verkauft werden kann. Daraus folgt, dass wir dringend Wachstum brauchen, damit Galopprennen in Deutschland an jedem Tag der Woche stattfinden können.

Als Präsident des Dortmunder Rennvereins sei mir erlaubt zu sagen, dass dieses auch unsere Intention beim Bau der ersten Allwetterbahn in Deutschland 1981 gewesen ist. Wir wollten damals versuchsweise die Zahl unserer Renntage im Winter und Sommer so vergrößern, dass mindestens 1x pro Woche Rennen stattfinden sollten. Dieses scheiterte vor allem an einem Denken in unserem Sport, das auf der Vorstellung basiert, dass das Wettvolumen relativ konstant sei und sich dann auf zu viele Renntage verteilen würde, die sich dann nicht rechnen könnten. Die Vorstellung eines konstanten Volumens, das die Bevölkerung zum Wetten zur Verfügung stellt, dürfte jedoch inzwischen, für jeden erkennbar, durch die Entwicklung der Konkurenzwetten wie Oddset u. a., die neuerdings der Staat immer wieder ins Leben ruft, widerlegt sein.

Meine Äußerungen mögen nicht sehr glaubwürdig klingen in einem Augenblick, in dem allenthalben die Pferdewetten auf unseren Rennbahnen zurückgehen und die Vereine mit den Allwetterbahnen, Dortmund und Neuss, erwägen müssen, mangels genügenden Wettumsatzes an Samstagen im kommenden Winter nur noch sonntags zu veranstalten. Trotzdem bleibe ich bei meiner Auffassung, dass hier die Dinge grundsätzlich in der anderen Richtung, nämlich in Richtung mehr Renntage laufen müssen. Voraussetzung ist allerdings ein angemessener Anteil des Sports am Wettvolumen, was, wie vorher ausgeführt, einer neuen gesetzlichen Regelung bedarf.

In diesem Zusammenhang wird die kritische Frage auftauchen: Woher soll die Zahl der dazu notwendigen Züchter, Besitzer und Pferde in Deutschland kommen? Auch dazu einige Gedanken: Trotz der heutigen Internationalität, der Globalisierung auf Grund derer in den Rennen, vor allem auf Winterrennen in Nordrhein-Westfalen, viele Pferde aus Benelux-Ländern starten. liegen meines Erachtens im deutschen Reit- und Pferdesport auch für den Galoppsport ungeahnte Reserven. Laut einer Studie der Deutschen Reiterlichen Vereinigung gibt es in Deutschland ca. 1,7. Mio. Reiter und 1,1 Mio. Menschen, die gerne reiten würden, also potentielle Reiter. Dazu kommen nach dieser Studie ca. 8,7 Mio. Menschen in Deutschland, die an Pferd und Pferdesport interessiert sind.
Die Pferdepopulation an sich hat sich in Deutschland in den letzten 35 Jahren mehr als verdreifacht und beträgt z. Zt. 1 Mio. Pferde. Das bringt 300.000 Arbeitsplätze mit sich, heute ein wichtiges Thema!

Und: Der deutsche Reitsport hat im letzten Jahr ca. 350 Fernsehübertragungsstunden gehabt. Der Anteil des Galopprennsports beträgt davon nur zwischen 1 bis 2 Prozent!
Genug der großen Zahlen!

Diese Zahlen sollten allerdings zu dem Optimismus verhelfen, dass Wachstum im Galopprennsport möglich ist, trotz der z. Zt schwierigen Situation. Optimismus, mit dem wir die Politiker überzeugen können, dass der Galopprennsport in Deutschland seine Bedeutung behalten, ja sogar steigern muß. Nicht schrumpfen, erst recht nicht gesund schrumpfen, sondern wachsen muß die Devise im wachsenden Freizeitmarkt für unseren Galoppsport sein! Nach dem Tierschutzgesetz hat der Vollblutrennsport den staatlichen Auftrag, Pferdeleistungsprüfungen zu veranstalten, um die der Natur nachempfundene Auslese der besten Pferde vornehmen zu können. Diese Pferderasse ist dadurch prädestiniert und durch Tierzuchtgesetze dafür ausdrücklich vorgesehen, durch Blutauffrischung die übrigen Pferderassen aller Reitpferdezuchten ständig gesund und leistungsfähig zu erhalten. Deshalb ist ein Wachstum auch unseres Sportes notwendig, wenn der übrige Pferdesport weiter wachsen und gedeihen soll.

Lassen Sie uns diese Vision gemeinsam realisieren. Ein Schritt dazu ist die morgige Veranstaltung des Deutschen Derbys, als der Spitzenprüfung des Dreijährigen-Jahrgangs.

Möge das beste Pferd gewinnen, im Sinne unseres Zuchtzieles.

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