Da kommt noch eins!

Iris und Hans-Jürgen Kirsch vom Gestüt Schallern wollten ihren Augen nicht trauen. Ihre 15-jährige Vollblutstute Lizzy, eine Big-Shuffle-Tochter, hatte soeben nach einer Tragezeit von 12 Monaten und vier Tagen einen Hengst abgefohlt. Die Mutterlinie ist auch noch mit Lizzys Mutter Lizzica (v. Touching Wood), die im Übrigen seit 15 Jahren erfolgreich verhütet, nämlich güst bleibt, auf dem Gestüt vertreten. Die Geburt des Fohlens von Lizzy war erst einmal nicht besonders ungewöhnlich, doch dann: „Es war in der Nacht vom 03. auf den 04. April“, erinnert sich Iris Kirsch an den Augenblick, oder sagen wir lieber die Augenblicke, die die beiden erfahrenen Vollblutzüchter im Leben nicht vergessen werden. „Die Geburt verlief reibungslos und schnell. Ich ging kurz ins Wohnhaus, um die Schuhe zu wechseln, als mein Mann mich aufgeregt rief. „Da kommt noch eins“.

Die Stute legte sich plötzlich wieder hin und begann erneut zu pressen. „Auf einmal schaute mich ein weiterer Kopf an“, ergänzt der damals unter Schock stehende Ehemann, nämlich der eines weiteren Fohlens, einer Stute, wie sich später herausstellen sollte.

„Anfangs dachten wir, im falschen Film zu stehen. Der Alptraum eines jeden Züchters“. Der stets zuverlässige Tierarzt Dr. Mayer aus Soest soll sogar bei der überhasteten Anreise mit einer nicht unerheblichen Geschwindigkeitsübertretung in eine Radarfalle geraten sein. Jedenfalls stand der Veterinär wenig später vor der „Rappelkiste“, wie Iris Kirsch die Box mit den von Ransom O’War stammenden Zwillingen nennt, logischerweise ruft die Züchterin die beiden Sprößlinge demzufolge auch Ratz und Rübe.

„Die Zwillinge sind mittlerweile über den Berg dank eines unbändigen Lebenswillens“, beschreibt die ihren ganzen Stolz zeigende Vollblützüchterin die Umstände weiter. „Wir haben schon viel erlebt in den 17 Jahren, die wir auf dieser Scholle in Erwitte-Schallern züchten, aber mit solch einer Geschichte hätten wir im Leben nicht gerechnet. Der kleine Hengst hatte anfangs keinen Lebenswillen, sollte schon eingeschläfert werden, weil er zu schwach auf den Beinen war.

Der Tierarzt riet mir nicht hinzuschauen. Und nach einer weiteren Nacht stand er schließlich doch bei der Mutter an der Tränke“. Für die Mutter Lizzy bedeutet die Aufzucht im Übrigen jede Menge Streß, zumal beide Fohlen vor Agilität und Lebenfreude inzwischen nur so strotzen. Und auch für Iris Kirsch gab es in den ersten 14 Tagen nur wenig Schlaf.

„Ich habe kaum ein Auge zugemacht. Die Nächte waren kurz, weil die Stute zu wenig Milch für beide hatte. So haben wir regelmäßig mit der Flasche nachgeholfen, auch heute noch“. Die Geschichte mündet offensichtlich in ein Happy-End, denn beide Fohlen sind kaum zu bändigen, erfreuen sich aktuell bester Gesundheit und Lebensfreude. „Die geben wir nicht mehr her und sie erhalten außerdem eine Derbynennung“, flachst der Ehemann.

Von der Lebensfreude konnte sich auch Pferdefotograf Marc Rühl ein Bild, nein unzählige Bilder machen. „Diese Geschichte ist so einzigartig und sensationell, grenzt an ein Wunder, dass ich gleich, als ich davon hörte, in die Soester Börde gereist bin“, und verspricht dabei, die Entwicklung von Lord und Lady Ransom (die Namen sind von Dr. Uphaus noch nicht genehmigt) auch in Zukunft zu begleiten.

Wir sprachen in diesem Zusammenhang auch mit Veterinär Rainer Krapp, seineszeichens auch Rennbahntierarzt im Weidenpescher Park: „Das beide Zwillinge überleben geschieht äußerst selten. In meiner beruflichen Praxis weiß ich nur von drei Fällen, wobei die Leistungen als Rennpferd schwankend oder gar nicht vorhanden sind. Desöfteren sind beide nicht lebensfähig, eines stirbt oder die jeweilige Stute verfohlt.

Sehr wichtig sind regelmäßige Ultraschallaufnahmen ab dem 16. Tag. Doch ganz ausschließen lassen sich Zwillinge eben nicht“. Zwei Beispiele für Rennpferde, die als Zwillinge zur Welt kamen, bietet zum einen der 1984 vom Gestüt Neffeltal gezogene Athenagoras-Sohn Aarlord. Der Listensieger und Teilnehmer des Derbys 1987 (Sieger: Lebos)gewann bei 31 Starts dreimal, während seine Zwillingsschwester Aargirl nie eine Rennbahn sah.

In Amerika machten die beiden 1959 geborenen Fuchsstuten Stop on Red und Go On Green von To Market aus der Danger Ahead Karriere. Beide gewann jeweils sieben Rennen und sind als Großmütter von Spectacular Bid bzw. Stakes-Siegerin Bold Greenback in den Annalen verewigt. Oder die ersten Zwillinge, vom Prix de Morny-Sieger Orpen stammend, die 2008 bei Goffs in Irland durch einen Auktionsring gingen.

Um die Sensation, eben die Besonderheit der Geschehnisse im Gestüt Schallern, das beide Zwillinge durchgebracht worden sind, noch einmal zu verdeutlichen:

In den vergangenen 30 Jahren gab es in Deutschland insgesamt 45.394 tragende Vollblutstuten und nur 22 lebende Zwillinge. In 58 Fällen überlebte nur ein Zwilling, 691 Male verfohlten die Stuten Zwillinge. 4616 Fälle sind bekannt, in denen Totgeburten und Verfohlungen zu verzeichnen waren, während es 40.107 lebend geborene Fohlen gab.

Die Decktaxe für Ransom O‘War war übrigens von Familie Kirsch bei Trächtigkeit zu entrichten und nicht pro lebendem Fohlen. Wir wünschen „Hals und Bein“ den glücklichen Eltern.

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