Normalerweise finden Sie an dieser Stelle ein Interview mit einem Aktiven des Galopprennsports. Diesmal haben wir uns erlaubt, hier eine Rede abzudrucken, die Derby-Rede. Gehalten hat sie Werner Heinz, Besitzer von Dai Jin, dem Derbysieger 2003, am Derby-Vorabend im Hamburger Hotel Atlantic.
Sehr geehrte Damen und Herren,
so ein bisschen fühlt man sich natürlich wie der Zauberlehrling, wenn man hier steht: Da hat man, was man bedingungslos wollte, das BMW 134. Deutsche Derby gewonnen, und ein Jahr später soll man eine Rede halten – die auch noch an gewissen Ansprüchen gemessen wird. Man ist aber nicht nur Zauberlehrling, sondern hat angeblich auch eine spezielle Wild Card.
So jedenfalls ist mir die Bedeutung der Derbyrede erklärt worden: ‚Es gibt da ein Beispiel in England, das ist die Gimcrack-Rede. Die beinhaltet den Freibrief, aber auch die Verpflichtung, respektlos und kritisch heikle Themen anzupacken.‘ Man sagte mir ausdrücklich, es werde nicht von mir erwartet, auch die Lösungen der angerissenen Probleme zu bieten. Außerdem dürfe mir hinterher niemand böse sein. Ehrlich gesagt: Das klingt mir sehr englisch. Aber ich habe mich entschlossen, es so, entsprechend dieser Vorgabe, einmal zu versuchen.
Im Gegensatz zu einem anderen Redner der letzten Jahre möchte ich auf eines nicht verzichten, nämlich die Danksagung an die Hauptbeteiligten an meinem Derbyerfolg: Zunächst danke ich dem Reiter Olivier Peslier, der als Jockey eine beeindruckende Figur ist: Konzentriert, kraftvoll, erfahren, selbstbewusst, unerschrocken, umsichtig, instinktsicher und in der Lage zu blitzschnellen Entscheidungen. Ein Klassemann!
Mein Dank gilt in besonderem Maße auch dem Trainer Andreas Schütz, für den Dai Jin bereits der vierte Derbyerfolg im erst sechsten Jahr als Trainer war. Was für eine Leistung! Ich weiß, daß er nicht gerade ‚everybodies darling‘ ist. Das ist eine Besonderheit, die er mit einigen anderen internationalen Trainergrößen gemeinsam hat. Aber, wer auf ihn setzt, der muss das vorbehaltlos tun. Ganz oder gar nicht! Ich bin sehr froh, daß ich mich für ‚ganz‘ entschieden habe. Er und sein Team haben es mir mit dem Derbyerfolg gedankt!
Nun komme ich zu meinen Mentoren im Gestüt Schlenderhan, Baronin Karin von Ullmann, ihrem Sohn Georg Baron von Ullmann und Gestütsleiter Gebhard Apelt. Dass ich als Besitzer bereits im 3. Jahr einen Derbystart und – mit einem Schlenderhaner Zuchtprodukt – im 5. Jahr einen Derbysieg erleben durfte, das habe ich zum sehr großen Teil ihnen zu verdanken. Herzlichen Dank auch dafür, daß Sie mich überhaupt zum Einstieg in den Galopprennsport bewegt haben!
Unbedingt möchte ich sehr herzlich der BMW Group danken – und zwar nicht nur für ihre Sponsorship als solche, sondern auch für die engagierte, kreative Umsetzung ihres Engagements. Und ich danke dem Hamburger Renn-Club mit seinem außergewöhnlichen Präsidenten Franz-Günther von Gaertner an der Spitze sowie dem Hamburger Publikum.
Da mich der Weg unseres Pferdes im vergangenen Jahr auch nach Paris-Longchamp geführt hat, möchte ich Ihnen sagen, dass sich Hamburg-Horn am Derbytag selbst hinter dieser internationalen Spitzenveranstaltung von der Stimmung und Atmosphäre her nicht zu verstecken braucht. Ich finde, dass Hamburg und BMW da ein großes Kompliment verdienen!
Kurz nach meinem Einstieg in diesen Sport habe ich mir die vorlaute Bemerkung erlaubt: ‚Ich hoffe, daß ich in fünf Jahren das Derby gewinne!‘ Damals haben die Anwesenden die Unverfrorenheit des Newcomers nachsichtig milde belächelt. Als sich das Glück dann tatsächlich termingerecht einstellte, haben mir das freundlicherweise immerhin viele gegönnt. Aber andere haben es mir nicht gegönnt. Für sie war es eher wie bei dem Schockergebnis 1982, als der Sieg durch Ako an eine bis dahin unbekannte 15-jährige Schülerin aus der Pfalz ging.
In der Folge bekam ich noch mehrmals den Futterneid und die Missgunst zu spüren, die in diesem Sport auch blühen, obwohl sie hier eigentlich keinen Platz haben sollten. So war ich ganz erschrocken, als ich nach dem Prix de l`Arc de Triomphe auf Grund von Dai Jins Verletzung urplötzlich schon am Ende einer Sackgasse stand. Ein großartiges Rennpferd mit einer Abstammung wahrlich ‚zum Niederknien‘, aber große Einsamkeit!
Ich hatte zuvor zwar schon einmal gehört und gelesen, dass es in der Vollblutzucht nicht nur um das Paaren der Pferde, sondern – natürlich nur ideell – fast noch mehr um das Paaren ihrer Besitzer geht. Für den rennsportlichen Emporkömmling Werner Heinz mit seinem Hengst war da bei vielen Gestüten und auch bei den Agenten keine Rolle vorgesehen. Wieder waren es Georg von Ullmann und Gebhard Apelt, die mir weiter halfen und mir die richtigen Kontakte verschafften.
Allen, die dem Hengst im Vorjahr applaudiert haben und die sich noch für ihn interessieren, kann ich mitteilen: Dai Jin deckt im hochrenommierten, vierfach im Derby erfolgreichen Gestüt Zoppenbroich und erfreut sich dort bester Verfassung. Er hat Stuten von erlesener Klasse gedeckt, auch wenn es einige mehr ruhig hätten sein können. Er wird seinen Weg als Vererber machen, und ich danke allen, die schon im ersten Deckjahr auf ihn gesetzt und ihn damit unterstützt haben!
Es ist ja erbarmungslos, in welcher Form von manchen Leuten Hengste leichtfertig und/oder geschäftsschädigend niedergemacht werden, noch bevor ihr erstes Produkt überhaupt gezeugt ist. Viele der hier Anwesenden ahnen angesichts meines beruflichen Hintergrundes wohl, dass ich an rauhen Wind gewöhnt und nicht so leicht zu erschrecken bin. Aber ich war damals doch betroffen.
Die Lust am destruktiven Gegeneinander, sie ist im Rennsport auch sonst ganz eindeutig vorhanden – obwohl das exakte Gegenteil vonnöten wäre. Wo Schulterschluss und Solidarität, aber zumindest Toleranz und Milde angebracht und nötig wären, da fliegen hier, selbst aus vergleichsweise geringwertigen Anlässen, von überall – gerne auch von hinten – die Geschosse unterschiedlichsten Kalibers.
Das geschieht oft auf beachtlichem intellektuellen und unterhalterischen Niveau. Man erlebt da oft Festspiele des Ratschens und Spottens, nur hin und wieder unterbrochen von ein paar scheinheiligen Lippenbekenntnissen. Man kommt zunächst aus dem Lachen nicht heraus, doch am Ende muss man sich fragen: Wohin soll diese lustvolle Brunnenvergifterei führen?
Viele Akteure in diesem Sport wollen nicht begreifen, dass wir alle enger zusammenrücken müssen. Wir dürfen diesen Sport nicht miesmachen, seine Player nicht demotivieren und seine Anhänger nicht gering achten. Sarkasmus und Zynismus sind bittersüße Drogen. Aber Drogen sind tückisch und, wozu Drogen am Ende führen, das ist bekannt.
Wissen Sie, was es meines Erachtens ist, wenn Michael Schumacher 50 Mio. Dollar verdient und ein anderer 5 Mio. Dollar? Es ist gut so! Selbst wenn viele andere da sind, die nur wenig verdienen, bleibt es dabei: Neid und Missgunst sind menschliche Unarten, die vielleicht im Gegensatz zu manchen anderen überhaupt keinerlei positive Seite haben. Das gilt auch für den Galopprennsport.
Eines lasse ich aus, das an dieser Stelle ansonsten selten gefehlt hat: die globale Medienschelte. Insbesondere halte ich es für unangebracht, die in diesem Bereich vorhandenen und aktiven Journalisten zu kritisieren. Es sind etliche da, die viel können und dieses Viele auch tun.
Aber eine wichtige ‚Teilschelte‘ möchte ich vornehmen, denn es ist eine unerträgliche Situation im Hinblick auf das Fernsehen entstanden: Ich habe zunächst einmal sehr wenig Verständnis dafür, dass man die Telewettesendung nach 11 Jahren eingestellt hat. Ich bezweifle, ob hier seinerzeit wirklich alles richtig beleuchtet, ausdiskutiert und versucht wurde.
Warum, zum Beispiel, haben wir nicht wenigstens eine Halbjahressendung von April bis Oktober, in der dieser Sport, seine Anhänger, auch seine Sponsoren sich wiederfinden? Ich gehe noch weiter: Hat überhaupt schon jemand die Frage gestellt, in welchem Maße die Rückgänge der letzten Zeit auf den Wegfall der Telewettensendung als Bindungsinstrument zurückzuführen sind?
Noch mehr als das Fehlen einer vom Rennsport selbst finanzierten Sendung ist die Haltung der Fernsehsender, besonders der öffentlich-rechtlichen Sender, zum Galopprennsport zu beanstanden. Dies gilt am allermeisten für das ZDF. Der Umfang, in dem die öffentlich-rechtlichen Sender heutzutage über Galopprennen berichten, ist erschreckend gering. Dadurch werden die Anhänger dieses Sports, die Veranstalter und die Besitzer zu Unrecht enttäuscht und letztlich demotiviert.
Potentielle Sponsoren so wie die sie beratenden Agenturen werden dadurch ebenfalls abgeschreckt. Besonders schlimm: Die anderen Medien werden durch das Fernsehen mit beeinflusst! Die Zuschauer, das potenzielle Publikum, werden durch diese jahrelange Enthaltsamkeit bezüglich Galopp-Berichterstattung schon seit langer, langer Zeit dem Rennsport entfremdet und somit unbemerkt umerzogen. Am Ende wollen sie nur noch das sehen, woran man sie gewöhnt hat, worüber man ihnen Detailwissen eingeflößt hat. So dreht sich da für den Galoppsport – den weitaus ältesten Sport überhaupt – schon lange eine Spirale nach unten.
Anders als die privaten Sender dürfen sich die mit unseren Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen nicht unbeschränkt auf das Argument der zu geringen mit Galopprennen zu erzielenden Sehbeteiligung zurückziehen. Sie haben ihren gesetzlichen Informationsauftrag korrekt zu erfüllen! Deshalb ist das Quotenargument teilweise unangebracht, und zwar unter anderem deshalb, weil es das Fernsehen selber war, das die überspitzte Fixierung des Publikums auf den Fußball und einige wenige andere Sportarten eingeleitet und dann festzementiert hat.
Wie es in der umgekehrten Richtung funktionieren kann, das habe ich selber beim Boxen und beim Skispringen geradezu extrem eindrucksvoll erleben können. Wo ein Wille ist, da ist nämlich auch ein Gebüsch!
Beim Prix de l`Arc de Triomphe im vergangenen Jahr war der Wille nicht da, auch beim Derby war er weder im vergangenen noch in diesem Jahr in ausreichendem Maße vorhanden, so dass der Hamburger Renn-Club sich gezwungen sah, dem Publikum mit eigenen Mitteln eine Fernsehübertragung in n-tv zu bieten. Die Haltung der öffentlich-rechtlichen Sender im Hinblick auf die großen Galopprennen empfinde ich als beschämend. Auf diesem Gebiet muss unverzichtbar Besserung her.
Ebenfalls unverzichtbar scheint mir die Beseitigung von Defiziten im Management des Galopprennsports zu sein, und zwar ganz besonders auf dem Gebiet des Marketing. Die Strategie, die Koordination und sogar das Produktmanagement sind unzulänglich. Mir ist bisher immer noch unklar, wer dafür zuständig ist, und, ob überhaupt jemand. Ich habe allen Ernstes den Eindruck, dass es niemanden gibt, der sich systematisch, geschweige denn auf Fulltime-Basis um Marketing kümmert. Auf diesem Gebiet dümpelt es auf allen Ebenen dahin, mit wenig Planung. Mehr reaktiv als proaktiv werden hier und da Maßnahmen ergriffen.
Marketing, das heißt doch nicht bloß hier und da ein paar Anzeigen und Plakate, dazu gehört auch die ganze Marktorientierung bei der Erstellung, Präsentation und Vermarktung der Produkte Galopprennen, Rennbahnaufenthalt, Wette. Jahrzehntelang ist behauptet worden, das Produkt sei über jeden Zweifel erhaben und müsse nur besser verkauft werden. Dem widerspreche ich entschieden!! Auch im Hinblick auf das ‚Produkt‘ bzw. die Produkte gibt es Handlungsbedarf.
Was mich zu meiner am Marketing Kritik veranlasst, dafür will ich Ihnen Beispiele nennen:
– Auch zweieinhalb Jahre nach Ihrer Einführung noch laufen auf den Rennbahnen und in den Wettannahmestellen die Diskussionen über die Mindesteinsätze für die Wetten. Diese stoßen beim Publikum noch immer auf einen hohen Ablehnungsgrad. Was aber passiert?
– Jahrelang wird über eine Viererwette diskutiert. Wie wird sie dann eingeführt? Überstürzt und unkoordiniert.
– Ein Kritikpunkt heißt TV-Privat-Decoder sowie raze.tv – für mich ein einziger Wirrwarr!
– Neue Wettscheine werden eingeführt, die vom Publikum auch nach einem halben Jahr noch immer kritisiert werden. Monatelang wird nach der Einführung über unzureichend geschultes Kassenpersonal geklagt.
– Sein Publikum kennt dieser Sport überhaupt nicht. Wenn man sich nach Zuschauerbefragungen, Marktforschungsdaten erkundigt, stellt man fest, daß die einzigen verfügbaren Erkenntnisse aus dem Jahr 1985 stammen. Wer aber sein Publikum und sein potentielles Publikum nicht kennt, weiß nicht, was er ihm bieten muss und wie er mit ihm kommunizieren muß.
– Der einzelne Wetter ist für die Veranstalter enorm viel wert, weil er uns, wenn er die erklärungsbedürftige Materie endlich verstanden und akzeptiert hat, lange erhalten bleibt.
Aber: Haben wir Kundenbindungs-/Incentiveprogramme?
– Wie nur wenige andere ist dieser Sport prädestiniert für die sogenannten Telefon-Mehrwertdienste. Über kleine Ansätze scheinen wir in dieser Hinsicht aber nicht hinausgekommen zu sein.
– Das so wichtige Thema Buchmacher: Konkurrenz mit den Buchmachern/Zusammenarbeit mit den Buchmachern. Fast 20 Jahre sollen es sein, in denen man erfolglos versucht hat, hier die Quadratur des Kreises zu erzielen. Fast fünf Jahre dauert nun die akute Phase, in der man Prozesse bis zum BGH geführt hat, über deren Ergebnisse nun auf einmal aber kaum noch gesprochen wird.
Ich behaupte nun wirklich nicht, daß es einfach wäre, und ich danke auch allen, die ihr Können, ihre Zeit und ihre Energie in die Lösung der Probleme investiert haben. Inzwischen hat man sich längst für Zusammenarbeit entschieden. Ich appelliere nur in unser aller Interesse an die Beteiligten, nun auch wirklich und bald zu einem gedeihlichen Abschluss zu kommen. Die Zeit arbeitet doch nicht für, sondern gegen uns – und damit meine ich alle Beteiligten.
– Vom Thema der Zusammenarbeit mit den Buchmachern komme ich schließlich zu der Frage: Wenn die Buchmacher von diesem Sport auskömmlich leben können, wieso kann es der Sport selber nicht?
Nun aber Schluss mit Kritik und peinlichen Fragen! Bei allen Betrachtungen über Gegenwarts- und Zukunftsprobleme stößt man zum Glück auch immer wieder auf die vielen tröstlichen, ermutigenden, motivierenden Seiten: Da ist zunächst die Erkenntnis, daß dieser Sport schon weit gravierenderen Belastungen und Aufgabenstellungen gewachsen gewesen ist als denen, die zur Zeit vorliegen.
Außerdem: Die Menschen haben immer mehr Freizeit und suchen nach angenehmen und überzeugenden Angeboten, um sie zu gestalten. In dieser Hinsicht kann der Galopprennsport auf eine Anzahl von Vorzügen pochen, die ihm über die Zeiten hinweg eine gute Wettbewerbsposition ermöglichen.
Anders als so viele kurzlebige Mätzchen ist er glaubwürdig, klassisch, ursprünglich. Er bietet Entspannung durch Spannung, von jedem unabhängig dosierbar, attraktive Umgebung, zwanglose Bewegung an der frischen Luft, Kommunikation, soviel man möchte, Bekanntschaften und ganz besonders eines, nämlich die unmittelbare Einbindung des Zuschauers in das sportliche Geschehen – durch das reizvolle Medium der Wette.
Ich habe nun viel mit Sport, ganz besonders der Formel 1, zu tun, und ich sage Ihnen: Eigentlich ist der Galopprennsport spannender! Das erlebe ich immer wieder, und Sie selber wissen das doch auch! Dieser Sport an sich ist Klasse!
In diesem Sinne freuen wir uns auf einen großartigen Renntag mit dem BMW 135. Deutschen Derby! Möge der Beste gewinnen, auf dass sein Besitzer dann nächstes Jahr an diesem Abend hier stehen darf. – Sie werden mir hoffentlich nicht verübeln, dass ich mir wünsche, es selber wieder zu sein.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und rufe Ihnen ein herzliches ‚Hals und Bein‘ zu!