„Lomitas hatte fraglos etwas ganz Spezielles“

In seinem jetzigen Quartier, im ostwestfälischen Ravensberg, wo auf traditionellem Boden Turfhereon aus früheren Epochen wie Windbruch, Waidwerk oder Windwurf, in jüngerer Vergangenheit Lavirco, Novellist oder Protectionist trainiert wurden, hatte die von Andreas Wöhler auserkorene Nr. 1 nicht das alles entscheidende schnellere Laufen als die Konkurrenten gelernt. Es war noch in seiner  Zeit in der Bremer Vahr, wo Andreas Wöhler im Herbst 1989 einen fuchsfarbenen Hengst für das Gestüt Fährhof in Training bekam, der sich später anschicken sollte, die Turfwelt in Deutschland in die verschiedensten Gemütslagen zu versetzen. Und der einen Turbo anzünden sollte, der sicherlich seinesgleichen sucht. „Meine Nr. 1 ist Lomitas, er war nicht nur ein außergewöhnliches Pferd, er hatte ganz obendrein etwas ganz Spezielles. Er stellte seine Umgebung vor große Herausforderungen, wie es Genies eben so an sich haben.“

„Ich war da, Lomitas nicht“
Andreas Wöhler erinnert sich an den ersten, leider sich nicht zu realisierenden Auftritt von Lomitas. „Der hatte es in sich, ich werde ihn mein Leben lang nicht vergessen, weil so etwas vorher und auch später in meinem Trainerleben in solch einer Form nicht mehr vorgekommen ist. Ich hatte an einem Samstag Pferde in Köln am Start, am Sonntagmorgen bin ich von Köln aus nach Hannover, wo wir Starter hatten, gereist. Als ich auf der Rennbahn in Hannover ankam und zu meinen Pferden ging, vermisste ich Lomitas. Simon (Stokes Anmrkg. d. Redak.) sagte mir, er habe sich in Bremen nicht verladen lassen. Ich staunte nicht schlecht, heute, im Zeitalter des Mobiltelefon erlebt man solche Überraschungen natürlich nicht mehr.“

Man hatte dem ersten Auftritt von Lomitas mit großem Interesse entgegengesehen. An
dreas Wöhler: „Wir hatten früh gemerkt, dass uns ein sehr talentierten Zweijährigen-Jahrgang zur Verfügung steht. Mir fällt jetzt neben Lomitas spontan Tao, Sugunas oder Martessa ein. Ich hatte beste Vergleichsmöglichkeiten und damit gerechnet, dass Lomitas in Hannover auf Anhieb seine Maidenschaft ablegen würde, dann so etwas.“

„Eigentlich war er wie Zucker“
 War Lomitas ein schwieriges Pferd? „Nein“, meint Andreas Wöhler sofort und meint, dass seine Pflegerin Martina Grünewald den Hengst nur am Halfter spazieren geführt habe. Allerdings habe man festgestellt, dass Lomitas Platzangst habe. „Bis auf diese Sache war er wie Zucker“, bringt es Andreas Wöhler auf den Punkt. Zwei Wochen nach dem missglückten Ausflug auf die Neue Bult, plante Andreas Wöhler mit Lomitas einen Auftritt in Düsseldorf. „Wir gingen vorsichtig an das Verladen heran, alles klappte, auch bezog er die Startbox relativ problemlos und gewann überlegen.“ Wenige Wochen später reiste Lomitas erneut nach Düsseldorf und stieg zum leichten Sieger im Arag-Junioren-Preis auf. Sein Betreuer: „Lomitas hatte mit Martessa gearbeitet, die Stute ging besser und gewann einige Tage später das Berberis-Rennen in Mülheim. Daher musste Lomitas auch in Düsseldorf eine sehr gute Chance haben. Er enttäuschte uns nicht und gewann den Junioren-Preis gegen gute Pferde in sehr guter Manier. Wie bei seinem Debutsieg saß Peter Schiergen im Sattel.“  Lomitas stieg zum Mitfavoriten für das Deutsche Derby auf 1991 auf. Doch was noch alles auf das Team um Lomitas zukommen würde, war über Winter 1990/1991 nicht vorherzusehen.

„Lomitas hatte die Beine überall“
„Sein Erfolg im Arag-Preis bestätigte uns, dass Lomitas schon ein ganz besonders gutes Pferd war. Doch die Vorbereitungen im Frühjahr 1991 verliefen mit ihm nicht optimal. Dennoch lief noch alles auf einen geplanten Start im Krefelder Dr. Busch-Memorial hinaus. An der Startstelle strapazierte er die Starthelfer auf das Äußerste. Ich denke, heute wäre er vom Start verwiesen worden.“ Wie dem auch sei, Lomitas hatte in der ersten bedeutenden Generalprobe für das Deutsche Derby im Krefelder Stadtwald gegen den englischen Gast Quaglino und De Niro keine große Mühe. „Nach dem Dr. Busch-Memorial kam er richtig auf Zack, das Mehl-Mülhens-Rennen konnte kommen. Ich bin sicherheitshalber mit zur 1600-Meter-Startstelle gefahren. Nach einigen Versuchen ging Lomitas auch in die Startbox. Doch dann ging es los, er ließ sich regelrecht fallen. Er musste vom Start verwiesen werden. Das war bitter.“ An guten Ratschlägen, was man machen könne, sollte es anschließend nicht fehlen, damit so etwas nicht mehr passiere. „Gleich am nächsten Tag stellten wir Lomitas zu Hause an der Startstelle hin. Er ging reibungslos rein, doch dann geriet er sofort in Panik. Das Stehenbleiben in der Startbox war das Problem. David Castle, der sein reiterliches Handwerk sehr gut verstand, saß auf Lomitas und meinte hinterher, dass der Hengst in der Startbox förmlich explodiert sei, er habe die Beine überall gehabt. Es ergab sich in der Tat eine Gefahr für Reiter und Pferd“, so Andreas Wöhler.

„Es gibt da deinen Pferdeflüsterer“
Anschließend saß das ganze Team auf der Wiese, überlegte und diskutierte, wie und was man anpacken sollte. Andreas Wöhler: „Auf einmal war von einem Pferde-Psychiater die Rede. Im Grunde vor schon lauter Verzweiflung nahm ich Kontakt mit Walther Jacobs auf. Der war aber auf Geschäftsreise und nicht erreichbar. So nahm ich gleich persönlich Kontakt mit diesem Pferde-Psychiater namens Monty Roberts auf. Ich hatte allerdings den Zeitunterschied vergessen, doch war es mir gelungen, ihm den Sachverhalt mit Lomitas im Großen und Ganzen rüber zu bringen.“ Nun erreichte Andreas Wöhler Andreas Jacobs, der sofort grünes Licht gab: „Andreas, mach es mit ihm“, war sein Auftrag. Genau eine Woche später stand Monty Roberts, der Pferde-Psychiater aus den USA, später weltweit berühmt unter der Bezeichnung  Pfedeflüsterer, im Bremer Trainingsquartier von Andreas Wöhler. „Wir wussten gar nicht, was er macht, was hat er mit Lomitas vor hat,“ erinnert sich Andreas Wöhler, der allerdings unter einem gewissen Zeitdruck stand. „Die Kölner Union konnten wir schnell vergessen.

Auf dem Weg zum Derby kam nun nur noch das Consul-Bayeff-Rennen auf der Heimatbahn in Frage.“ Für die Arbeit von Monty Roberts mit Lomitas konnte man in Schwanewede im Norden von Brenen eine große Reithalle anmieten. Dort begann Monty Roberts seine Einheiten mit Lomitas. Simon Stokes war meistens dabei, was sehr wichtig war, denn als Monty Roberts später in die Staaten zurückkehrte, war er in der Lage, die erforderlichen Einheiten mit Lomitas fortzusetzen.“ Gut eineinhalb Wochen arbeitete der „Pferdeflüsterer mit Lomitas. Der ist ihm wie ein Hund hinterher gelaufen“, erzählt Simon Stokes später Andreas Wöhler. Zum Consul Bayeff-Rennen flog Monty Roberts aus den USA ein. Er führte den Hengst höchstpersönlich in die Startmaschine, war wenige Stunde später wieder auf dem Rückflug nach Kalifornien.  Alles lief nach Plan, Lomitas siegte souverän. Damit stand fest, der Fährhofer ist der klare Anwärter für das 122. Deutsche Derby in Hamburg.

Wie konnte er das Derby verlieren?
Betrachtet man im Nachhinein bei der Analyse der Rennlaufbahn von Lomitas diese Derby-Niederlage als heißer Favorit gegen den Außenseiter Temporal, dann ist die Apostrophierung als „sensationell“ schon angebracht. „Lomitas bekam vier Tage vor dem Derbystart ein Hufgeschwür, sein Auftritt in Horn stand auf der Kippe.  Doch es klappte, Monty Roberts war natürlich in Hamburg dabei. An der Startstelle lief es nicht ganz wie erwartet, denn es gab ein weiteres startschwieriges Pferd. Schließlich sprang Lomitas nicht gut ab, alles andere kennen wir“, so kommt auch heute, 25 Jahre später, die Enttäuschung hoch. Bislang hatte die Eins bei Lomitas gestanden. Am 7. Juli 1991 wurde dieses Ausnahmepferd nur Zweiter. 1991 war es wieder einmal in der Tat so, dass nicht der Jahrgangsbeste der Derby gewinnen sollte. Der Riesenaußenseiter Temporal siegte an einem heißen Derby-Sonntag, der junge Frankie Dettori gewann sein erstes Derby in seiner Laufbahn. Auch aus diesem Grunde kommt „Frankieboy“ auch  immer wieder gerne nach Horn.

Die Soloauftritte von Lomitas
Was nach Hamburg folgte, ist einem Dreijährigen in Deutschland nur ganz selten gelungen. Der Fährhofer gewann in jeweils überragender Manier die zur Gruppe I zählenden Großer Preis der Berliner Bank, Großer Preis von Baden und Preis von Europa. Im Sattel jedes Mal Peter Schiergen. Lomitas wurde Ende der Saison 1991 zu Recht mit einer exorbitant hohen GAG-Marke von 105,5 Kilo bedacht. Kein deutscher Dreijähriger bekam jemals eine höhere Marke. Natürlich stellt sich die Frage, warum einer der besten Dreijährigen in Europa nicht im Prix de l‘ Arc de Triomphe gelaufen ist? „Nur aus dem Grunde, da er Probleme an, oder besser gesagt, in Startmaschine hatte“, antwortet Andreas Wöhler kurz und knapp. Als Vierjährigen bringt er Lomitas im Gerling-Preis heraus. Erstmals sitzt der neue Stalljockey Andreas Boschert im Sattel, der heiße Favorit gewinnt standesgemäß.  Einen nahezu sensationellen Anstrich erhält dann die Niederlage im Großen Preis der Badischen Wirtschaft, als Hondo Mondo den Fährhofer besiegt. „Lomitas kam leider mit einem Infekt zurück“, berichtet Andreas Wöhler. Im Hamburger Hansa-Preis sah man wieder den wahren Lomitas. Er hatte keine Probleme, sein neuntes Rennen zu gewinnen.

Gescheiterte Geldübergabe
Was dann folgt, ist Kriminalgeschichte. „Walther Jacobs erhielt Drohungen, man würde Lomitas vergiften, falls er nicht eine bestimmte Summe bezahlen würde. Natürlich wurde die Polizei eingeschaltet. Wir bereiteten Lomitas auf einen Start für das Düsseldorfer Gruppe I-Rennen vor und hatten natürlich Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet. So auch bei seinem Auftritt auf dem Grafenberg. Eine Geldübergabe war gescheitert, der oder die Erpresser waren untergetaucht. Lomitas lief in der Gruppe I-Prüfung schwach. Er kam als Fünfter über die Linie, noch hinter seinem Pacemaker Sugunas. Die Dopingprobe brachte es dann an Tag, der Hengst war negativ gedopt“, Andreas Wöhler erinnert sich natürlich genau an diese ungewöhnlichen Ereignisse im Sommer 1991. Andreas Wöhler: „Nach diesem Vorfall in Düsseldorf  wollte Walther J. Jacobs auf Nummer sicher gehen. Undercover und unter falschem Pferdenamen verließ Lomitas das Bremer Quartier und wurde nach England geflogen. Der Hengst bezog eine Box im Quartier der ehemaligen Jockey-Legende Lester Piggott. Zunächst war der Auftritt im Arc noch ein Thema, doch dann verließ Lomitas Europa und wurde in die USA geflogen.“

Ende der Karriere in den USA
Im Stall des Spitzentrainers Ron McAnally in Santa Anita setzte der Fährhofer 1993 seine Rennlaufbahn fort. Gleich beim ersten Start brachte ihn der Hall of Fame-Trainer aus Kalifornien siegreich heraus, weitere Siege gab es 1993 und 1994 aber nicht. 1995 begann Lomitas seine Deckhengstkarriere in seinem Heimatgestüt in Sottrum bei Bremen. Der Hengst kam mit fliegenden Fahnen vom Start. Aus seinem ersten Jahrgang stammen Derbysieger Belenus, der spätere Gruppe-I-Weltenbummler und „Multi-Millionär“ Silvano sowie der klassische Sieger Sumitas. Später kaufte Sheikh Mohammed Anteile an Lomitas, so dass der Niniski-Sohn auch einige Jahre in dessen Dalham Hall Stud in Newmarket wirkte. Später kam Lomitas auf den Fährhof zurück, sein Name steht als Vater von Brümmerhofs Arc- und King-George-Siegerin Danedream für die Ewigkeit. Im Sommer 2010 trat Lomitas ab. Doch die Erinnerung an ihn wird noch anhalten.

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