„Die vielleicht beste deutsche Linie“

 

 „Wie Sie vielleicht wissen, müssen Pferdenamen in Deutschland immer mit dem ersten Buchstaben der Mutter beginnen. Waldgeists Mutter ist Waldlerche. Das ist es, was wir in Deutschland die W-Familie nennen, die die vielleicht beste deutsche Linie“, erklärte Dr. Andreas Jacobs den hunderte internationalen Journalisten am vergangenen Sonntag, wie Waldgeist zu seinem Namen kam und gab direkt einen Einblick in ein große Stück deutsche Zuchtgeschichte.  Dr. Andreas Jacobs, dem 25 Prozent an Waldgeist gehören, und Dietrich von Boetticher, dem Mehrheitsteilhaber (75 Prozent), wirkten äußerlich – nur Minuten nach dem historischen Sieg im 98. Qatar Prix de l’Arc de Triomphe des Galileo-Sohnes über die haushohe Favoritin Enable – gelassen, doch in ihren Gesichtern war die Freude und der Stolz über das Erreichte zu sehen. Geduld und das eiserne Beharren auf das deutsche Zuchtprinzip schlechthin, Ausdauer, Härte und Stamina, hatten sich in diesem Moment mit einem Schlag ausgezahlt. Waldgeist hat seine Familie und die deutsche Zucht acht Jahre nach dem Arc-Sieg der vom Gestüt Brümmerhof gezogenen Danedream zurück in den internationalen Fokus katapultiert.  „Wir züchten in Deutschland harte Pferde, die Stehen können und das wird auch so bleiben. Wir unterwerfen uns keiner Mode“, sagte Jacobs und spiel damit auf den Trend an, frühe und schnelle Pferde zu züchten. Die deutsche Zucht ist nach wie vor auf Langlebigkeit ausgelegt und Waldgeist, der von Andre Fabre in Chantilly für das Gestüt Ammerland und das Newsells Park Stud trainierte Fuchs-Hengst, ist das jüngste Beispiel dafür, dass diese Philosophie auch in unserer Zeit noch ihre Berechtigung hat. Begonnen hatte Waldgeist, der aus der Monsun-Tochter Waldlerche stammt, seine Karriere 2016 im Alter von zwei Jahren, doch früh war zu erkennen, dass der Hengst Zeit brauchen würde, gleichwohl er zweijährig das Criterium de Saint-Cloud auf Gruppe I-Ebene gewinnen konnte. Waldgeist, in diesem Jahr vor dem Arc-Erfolg Sieger im Prix Ganay (Gr. I) und im Prix Foy (Gr. II) wurde mit den Jahren immer besser. Nun im Alter von fünf, hat er den Olymp des weltweiten Rennsports erklommen.

Alles begann 1949

Er ist damit das jüngste Beispiel der Erfolgsgeschichte der Ravensberger W-Linie, die schon für so viele positive Nachrichten sorgte. Und ein Stück Waldgeist ist auch noch auf den Koppeln Ravensbergs daheim. Seine Urgroßmutter Wurftaube verbringt ihre Rente dort. Sie ist 26 Jahre alt. Die heute beinahe legendäre W-Familie geht auf das Jahr 1949 zurück. Der zweite Weltkrieg, und damit das dunkelste Kapitel deutscher Historie, war knapp fünf Jahre vorüber. Deutschland befand sich im Wiederaufbau, gleiches galt natürlich auch für die Vollblutzucht. Am 23. Februar kam eine Stute mit Namen Waldrun im Gestüt Ravensberg an, ein Gestüt, welches Paul Niemöller aus Gütersloh gründete und das 1907 erstmals im Allgemeinen Deutschen Gestütbuch zu finden war. Bereits 1946 starb der Ravensberger Gestütsherr. Sein Enkel Reinhard Delius übernahm die Geschicke in Westfalen und zeichnete dann auch verantwortlich für den Ankauf der besten und erfolgreichsten Stuten. Darunter auch Waldrun, eine 1943 geborene und von Max Herding gezogene Alchimist-Tochter, die ihren Erstling Avanti bei Fuß hatte. Neun Fohlen brachte die Gründerstute der W-Line bis zu ihrem Tod 1959 zur Welt. Die erfolgreiche Familie war geboren. Bis heute gehören dieser Linie drei Derbysieger, 1958 Wilderer, 1965 Waidwerk und 45 Jahre später beim IDEE 142. Deutschen Derby Waldpark, an. Die W-Line; sie ist große Vergangenheit und versprechende Zukunft zugleich und ist auch 70 Jahre nach dem Einzug Waldruns auf Ravensberg aktueller denn je. Unter der Ägide von Reinhard Delius wurde „Ravensberg“ zu einem der erfolgreichsten Gestüte in den 50er, 60er und 70er Jahren. Quelle der Erfolge waren vor allem die Nachkommen aus der Familie der Waldrun. Dem vielleicht besten Ravensberger aller Zeiten, Windwurf (Waldrun ist seine vierte Mutter), blieb ein Derby-Triumph vergönnt. Er kam auf dem Horner Moor 1975 nach einem katastrophalen Verlauf nicht in die engere Entscheidung, trug später die Farben seiner Zuchtstätte aber zu fünf Gruppe-I-Erfolgen. Seit dem Tod von Reinhard Delius im Jahre 2012 führt sein Sohn Johann Heinrich das Gestüt im ostwestfälischen Spexard bei Gütersloh weiter und das mit gewohntem Erfolg.

 

Neben Waldgeist sorgte auch der Brümmerhofer Waldpfad 2019 für internationale Schlagzeilen. Auch er kam am Sonntag in Paris an den Start, konnte im Prix de la Foret aber nicht an seinen Gruppe I-Platzierung aus England anknüpfen. Es war nicht sein Tag, doch man wird in bald schon wiedersehen und am 19. Oktober hat er in den Qipco British Champions Sprint Stakes (Gr. I) die Chance diese Form postwendend zu korrigieren.  Waldpafds Mutter Waldbeere ist eine Halbschwester zum Derbysieger und Deckhengst Waldpark (Dubawi). Aus Waldpfads engster Verwandtschaft kommt vor allem auch der Gruppe I-Sieger Wake Forest (Sir Percy) und der in diesem Jahr zwischenzeitlich die Rangliste der europäischen Galopper (Longines World’s Best Racehorse Ranking) anführende Waldgeist (Galileo), der 2019 den Prix Ganay der Gruppe I gewinnen konnte und der gerade Dritter zu Enable in der „King George“ (Gr. I) wurde. Auch die letztjährige Criterium de Saint-Cloud-Siegerin Wonderment zählt zu dieser Familie. Weiteres internationales Renommee erlangte die Familie auch durch den zweifachen Gruppe I-Sieger Masked Marvel. Der Montjeu-Sohn stammt aus der Mark of Esteem-Tochter Waldmark, die ebenfalls eine Schwester des letzten Ravensberger Derbysiegers Waldpark ist. Waldmark kam im Jahr 2000 als Fohlen ins Newsells Park Stud der Familie Jacobs. Zu den Gründen über den Ankauf und der damit einhergehenden Ansiedlung der W-Familie im Newsells Park Stud sagte Dr. Andreas Jacobs auf stallionbook.de einmal. „Einerseits, weil es eine tolle Familie war, andererseits weil er emotional an der Familie Delius hing, ihnen vertraute, und natürlich einen guten Preis erhoffte. Die Eltern waren eng befreundet, Windwurf, der Hengst der Delius, war ein tolles Rennpferd und vor allem ein guter Mutterstutenvererber, den Großvater Walther Jacobs intensiv für die Paarung der Stuten genutzt hatte. Und: Waldmarks Mutter, Wurftaube, war die Tochter des großen Acatenango. Großvaters bestes Rennpferd.“

Das Erbe der Waldrun

Wurftaube, die erwähnte Urgroßmutter des frischen Arc-Siegers,  war es die nach einigen schwächeren Jahren des Gestüts Ravensberg den großen Erfolg auf die Rennbahn zurück brachte. Die Acatenango-Tochter gewann sieben Rennen in Serie. Vom 5. Mai 1996 bis zum 4. Mai 1997 waren unter ihren Erfolgen vier Gruppe-Siege wie der Gerling-Preis (Gr. II) und das Deutsche St. Leger (Gr. II). Nach einem zweiten Platz im WGZ Deutschlandpreis (Gr. I) musste sie verletzungsbeding ihre Karriere beenden. Neben der erwähnten Waldbeere und dem Derbysieger Waldpark brachte sie später in der Zucht auch den Gruppesieger und jetzigen Deckhengst Wiesenpfad zur Welt. „Hierzulande ist das Erbe der Waldrun in Fährhof, im Gestüt Brümmerhof, in Etzean und in Ammerland vertreten. Im Ausland vor allem im englischen Newsells Park Stud. Klaus Jacobs, der Vater von Dr. Andreas Jacobs, erwarb seinerzeit die aus der Wurftaube stammende Waldmark und baute damit eine züchterische Erfolgsgeschichte auf. Der englische Leger-Sieger Masked Marvel ist z. B. ein Sohn der Waldmark. In Frankreich wird das Erbe der Waldrun vor allem im Haras de la Perelle von Jürgen Winter und im Haras de Saint-Pair von Andreas Putsch fortgeführt. Bestimmt taucht im Haras d‘ Etreham auch Wonder of Lips eines Tages in der Mutterstutenherde auf“, sagte Johann Heinrich Delius, der Sohn von Reinhard Delius. Mit dem großartign Triumph von Waldgeist im Qatar Prix de l’Arc de Triomphe hat die W-Familie ihrer reichen und erfolgreichen Vergangenheit ein weiteres monumentales Kapitel hinterlassen. Ein Sieg, der aber auch als Auftrag zu sehen ist. Deutschland züchtet gute Pferde, deutsches Blut ist – auch international begehrt –, aber was es braucht, ist Geduld und das Vertrauen in die Stärken der eigenen Zucht. Wird man dies beherzigen, dann was Waldgeists Sieg in einem großen internationalen Rennen nicht der letzte. Oder wie Wilfried Engelbrecht Bresges kurz nach Arc ausdrückte. „Das ist ein toller Erfolg für die deutsche Vollblutzucht. Das wird hoffentlich auch langfristig positive Effekte zeitigen. Man sieht, zu welchen Leistungen deutsche Steher in der Lage sind.“ Wie recht er doch hat.

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