Ein Ausflug ins Haras du Quesnay

Draußen klatscht ein normannischer Landregen auf den Asphalt. Christiane Head-Maarek schaut durch die Butzenscheiben des holzgetäfelten Besucherbüros. Erst einmal einen Kaffee. Die Besucher sind heute zahlreicher als sonst. Es ist „Tag der offenen Tür“ im Haras du Quesnay, dem Gestüt der Galoppsport-Dynastie Head.

Von Deauville aus ist es nur ein Katzensprung bis zum Gestüt, das Navi weiß Bescheid: „15 Minuten“. Satte, grüne Wiesen, kleine, mittelalterliche Dörfer und riesige Apfelplantagen durchziehen die Gegend. Cidre und Calvados, der dem Departement seinen Namen gab, werden ab Hof verkauft. Die Bauernhäuser sind im normannischem Stil erbaut, aus Fachwerk zumeist, mit freiliegenden Balken und kunstvoller Schnitzerei.
 
Das Gestüt

William Head, der Ur-Großvater von Christiane, war Ende des 19. Jahrhunderts von England nach Frankreich ausgewandert, um Rennpferde zu trainieren. Sein Sohn, ebenfalls ein William, führte den Beruf fort, Filius Jacques-Alexandre „Alec“ Head war dann bereits in dritter Generation Trainer von Rennpferden. Er trainierte für Aga und Aly Khan und erwarb 1958 das Haras du Quesnay, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der amerikanischen Familie Vanderbilt als Gestüt konzipiert wurde. Die Gebäude waren total heruntergekommen und mussten aufwändig restauriert werden. Während des Krieges dienten sie den Nazis als Quartier, einige Schutzbunker sind heute noch auf dem Areal zu sehen.
Das imposante Anwesen im Pays d‘Auge, 300 Hektar groß, wird heute von Christiane und ihrem Bruder Freddy geleitet. Die nährstoffreichen Böden der Koppeln und Wiesen werden von Bergkühen begrast, eine jahrzehntelange Tradition auf dem Gestüt der Heads.

Das mehrstöckige Herrenhaus, die Wohn- und Gestütstrakte in einheitlich normannischem Stil wirken massiv und elegant zugleich. Alte Platanenbäume säumen die Wege, vor den hohen Hecken halten die Rosen noch Winterschlaf. Kein Strohhalm sticht ins Auge. Die Liebe zum Detail ist Teil des Ensembles.
 
Die Deckhengste
Die Besucher wollen die Deckhengste sehen, und natürlich „Criquette“, wie Christiane Head-Maarek landläufig heißt. Fuissé, Motivator, Youmzain und Neu-Stallion Anodin glänzen wie Speckschwarten. Diese vier zusammen haben Grupperennen gewonnen, dass einem schwindelt. Wir sehen Motivator beim Paradieren zu: Der Vater von Trève ist eine echte Augenweide, sehr kompakt, sehr geschmeidig in den Bewegungen.
Doch nicht Motivator, sondern Youmzain und der als Deckhengst debutierende Anodin, so erfahren wir von Gestütsmeister Vincent Rimaud, sind bei deutschen Züchtern am beliebstesten. Der zwölfjährige Youmzain konnte mit seinem ersten Zweijährigenjahrgang in Deutschland bereits überzeugen. Anodin, so der Plan, soll in die Fußstapfen seines früh verstorbenen Vaters Anabaa treten. Er selbst ist als Vollbruder der grandiosen Goldikova Empfehlung genug.
 
Die Arc-Queen
Es sind auch Besucher anwesend, die nur mal schauen wollen, wie es wohl so aussieht auf dem legendären Gestüt der Heads, da wo auch TV-Star Trève herkommt. Christiane Head-Maarek geht auf sie zu, begrüßt sie per Handschlag, „Bonjour Madame, Bonjour Monsieur. Schön, dass Sie gekommen sind.“ Und sie erzählt, wie glücklich sie ist, daß sie mit Trève einen Traum lebt und genau weiß, wie dankbar sie sein muss. Und jeder fragt nach dem dritten Streich, dem nie erreichten Triple im Arc, und Criquette beschwichtigt, dass es ja noch ewig hin sei bis zum ersten Oktoberwochenende im Bois de Boulogne.

Ein großes Foto der doppelten Arc-Queen schmückt den Eingang zum Besucherbüro, das heute zu einem rustikalen Bistro umfunktioniert ist. Mit strahlendem Lächeln bieten drei Damen, allesamt zum 45-köpfigen Personal gehörend, einen Imbiss an. Es gibt heiße Schokolade und Kaffee, selbstgebackene Crêpes, Rosinenbrötchen und Croissants. Hier kommt nichts vom Caterer.

Die Zuchtphilosophie
Christiane Head-Maarek trägt, wie immer bei solchen Anlässen, einen dunkelbraunen Filzhut mit breiter Krempe. Der Kragen ihrer Winterjacke ist hochgeschlagen. Sie stemmt die Hände in die Hosentaschen und betrachtet die Pferde mit einem ganz speziellen Blick. Es heißt, sie erkenne das Potenzial eines Pferdes, wo andere „gar nichts“ sehen.

In einem Nebengebäude liegt Christiane Head-Maareks Büro. Ein dicker Schreibtisch, viele Bücher, gerahmte Fotos von Triumphen an den Wänden. Von den Regalen schauen Auktionskataloge, Exemplare aus vielen Jahrzehnten. Sie setzt sich auf eine Holztruhe, ihr gegenüber versinke ich in einem tiefen Ledersessel.

Christiane Head-Maarek nimmt den Hut ab und faltet die Hände im Schoß. Ohne ihre Kopfbedeckung wirkt sie wie ein junges Mädchen. Sie spricht mit sanfter, klarer Stimme, schaut aufmerksam aus dunkelbraunen Augen. Christiane Head-Maarek kommt gerade aus dem Urlaub zurück. Sie war in Australien und dann noch ein paar Tage auf den Bahamas bei „Papa und Mama“.

Sie erwähnt ihn häufig, den „Papa“ Alec. 40 Stuten stehen im Gestüt, erzählt sie, zu Zeiten von „Papa“ seien es noch 80 gewesen. Doch Bruder Freddy und sie bevorzugen die Maxime „Qualität vor Quantität“. „Harte Zucht“ gibt es bei den beiden nicht. Abends beziehen alle Pferde ihre Boxen. Ein Prinzip, mit dem man erfolgreich ist: „Schließlich ist Trève so aufgewachsen“, rechtfertigt Head-Maarek ihre traditionelle Philosophie.
„Wir züchten, um mit den Pferden Rennen zu gewinnen“, stellt sie klar, „wir züchten nicht nur für den Verkauf.“ Okay, aber Trève, die hat man doch verkauft? „Wurde alles in das Gestüt investiert, der Unterhalt, Sie verstehen.“ Auch der Tod des sehr erfolgreichen Deckhengstes Anabaa im Jahr 2009 wirkte sich auf die Finanzen aus. Die Politik des Gestüts musste sich ändern. Man öffnete sich nach außen, nahm fremde Mutterstuten in Pension, machte Werbung für die Deckhengste, stellte eine Pressesprecherin ein.

Auch im Training bevorzugt Head-Maarek althergebrachte Methoden. Kein Wiegen, keine Bluttests, keine Zusatzpräparate. Die Pferde stehen ausschließlich auf Stroh. Die Rennpferde bekommen „schwarzen Hafer, Heu aus Südfrankreich, viele Karotten und — Artischocken!“ Artischocken? „Da können sie lange drauf herumkauen.“ Koliken? „Unbekannt.“ Magenprobleme? „Non.“ Tierarztbesuche? „Selten.“ Und wenn mal einer was hat? „Schalten wir einen Gang runter.“ Die Gesundheitsprobleme von Trève hat Christiane Head-Maarek nie verschwiegen, ebenso wie die nicht immer einfache Beziehung zu deren Besitzer. Ihre Offenheit ist sympathisch. Auch, was die eigenen Krankheiten angeht. 1990 hatte sie einen Gehirntumor, 2005 Lymphdrüsenkrebs, beides ist überwunden.

Genug geredet. Wir gehen am gläsernen Gewächshaus vorbei, einst Domäne von „Mama“. Hier wird Gemüse angebaut, „und Erdbeeren“, fügt sie hinzu. Christiane Head-Maarek trägt jetzt wieder Hut. „A bientôt, sagt sie herzlich, „bis bald“.
 

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