Gehm: Deutschlands Hindernis-Jockey Nr. 1

Als am vorletzten Mittwochnachmittag der von Andrea Bertram aufgebotene Eisenherz auf der Mailänder San-Siro-Bahn mit dem Premio Lainate ein Listen-Rennen für die Steepler in überragender Manier gewann, dürfte einer ganz besonders hingeschaut haben: Peter Gehm, der eigentlich für diesen Ritt vorgesehen war, auch bereits zugesagt hatte und mit dem Crack aus dem Warendorfer Stall vor genau zwei Wochen bereits an gleicher Stätte eine ähnlich überzeugende Vorstellung abgeliefert hatte.

Dass er das Geschehen aus dem fernen Deutschland verfolgen musste, war der Entscheidung der italienischen Stewards vom 8. November zu ´verdanken`, die ihm eine Sperre für drei Renntage wegen Behinderung auf Angeliter, mit dem er gewonnen hatte, aufgebrummt hatten.

Dass er an diesem Tag überhaupt in den Sattel steigen durfte, war erst nach massivem juristischen Widerstand durch Gerd Zimmermann, dem Eigner des Stalles Jenny, der eigens einen Rechtsanwalt zu Rate gezogen hatte, und von Rüdiger Schmanns vom Direktorium möglich geworden.

Peter Gehm war nämlich die Verlängerung der Lizenz für Italien verweigert worden. Begründet wurde dies mit den dortigen Statuten, wonach man mit einer deutschen Lizenz in Italien lediglich zwölfmal reiten dürfe, wonach nur noch eine zweimalige Verlängerung für jeweils 75 Euro Gebühr möglich sei.

„Man stelle sich einmal vor, dass Frankie Dettori nur zwölfmal in Deutschland reiten dürfte, dafür hätte doch niemand Verständnis. Das verstößt gegen das EU-Recht‘, war der einhellige Tenor von Direktorium, Trainer, Jockey und Besitzer, der deshalb juristischen Beistand verpflichtete und gegen die U.N.I.R.E., die italienische Aufsichtsbehörde, klagte.

Dort reagierte man sehr schnell, setzte den entsprechenden Paragraphen aus und erteilte Peter Gehm („beim ersten Mal sagt dir auch keiner, dass man die Lizenz nur zweimal verlängern kann‘) die Lizenz.

„In den Monaten November, Dezember und Januar kann ich nach Klärung der Angelegenheit in Italien reiten‘, erklärt Peter Gehm, auf den in den nächsten Wochen dort noch einige interessante und lukrative Aufgaben warten.

„Wir haben noch einige heiße Eisen im Feuer, werden unsere Bilanz aller Wahrscheinlichkeit noch verbessern‘, so der Bergheimer Jockey, der seine beste Saison erlebt. Vor allem finanziell.

Denn mit einer offiziellen Gewinnsumme von über 500.000 Euro, nicht eingerechnet die Gelder, die er für ausländische Trainer hereinholte, hat er eine Marke erreicht, die vor ihm noch keiner geschafft hatte.

Ganz besonders erfolgreich gestalteten sich die Wochen im Herbst, als es einen großen Treffer nach dem anderen zu feiern galt. So wurde der Oktober zum ´Goldenen Oktober`, als er am 12.10. mit Registana zum dritten Mal in Folge das Große Pardubitzer Jagdrennen in Tschechien gewann und sechs Tage später in Meran mit Makedos und Wagner zwei Gruppe-II-Prüfungen auf sein Konto brachte.

Meran war schon in den Wochen zuvor die Erfolgsstation für den 33-jährigen, der 1993 erstmals als Berufsreiter fungierte, nachdem er in den Jahren zuvor als Amateur vier Championate errungen hatte.

In Pardubitz hatte er mit der aus Deutschland stammenden Registana, einer Schwester des großartigen Registano, etwas geschafft, was vor ihm noch keinem Reiter in der 113-jährigen Geschichte gelungen war. Nämlich mit drei verschiedenen Pferden von drei verschiedenen Trainern dreimal in Folge die gerne als schwerste Steeplechase Europas bezeichnete ´Pardubitzer` zu gewinnen.

„Diese Wochen erinnerten mich an das letzte Jahr, als es ebenfalls sehr gut lief. Doch nach Pardubitz sechs Tage später noch zwei Gruppe-Rennen zu gewinnen, ist schon etwas Tolles‘, so Gehm, der nun Anlauf nimmt, in die Riege der Vana und Chaloupka aufzusteigen, die mit fünf Siegen in der ´Pardubitzer` noch immer an der Spitze stehen. Sie siegten übrigens mit Pferden von Trainer Dr. Cestmir Ohlela, dem Betreuer von Registana.

„Ein cleverer, intelligenter Mann, der auch den Beruf des Tierarztes ausübt, jedes Pferd nach dem Rennen genauestens untersucht und wie sein polnischer Kollege Gregor Wroblewski in England studiert hat‘, klärt Peter Gehm auf und fügt an, „wie Wroblewski sein Handwerk versteht, sieht man ja immer wieder bei seinen Starts im Ausland. So hat er u. a. in Deutschland und Italien schon etliche Rennen gewonnen.‘

Erfreulich aus seiner Sicht, dass in der ´Pardubitzer` lediglich zwei Ausfälle zu verzeichnen waren, was „ein Zeichen dafür ist, dass Ross und Reiter mittlerweile einfach besser geworden sind, dass die Jockeys inzwischen chancenlose Pferde auch anhalten, wenn nichts mehr zu holen ist, während früher die Losung hinüberkommen und ankommen lautete.‘ Jetzt genieße zum Glück die Sicherheit Priorität.

Eigentlich sollte die siegreiche Registana einen Start in England bestreiten, doch ist daraus nichts geworden. Gesundheitliche Gründe wurden für ihr Fernbleiben genannt. Im nächsten Jahr will man mit einer top-fitten Pardubitz-Siegerin wieder in die Ereignisse eingreifen.

An England hat Peter Gehm beste Erinnerungen, hat dort Siege auf von der Recke-Pferden erzielt. Etwas, was ihm in dem auch nicht mehr ganz so neuen Engagement bei Mario Hofer und Gerd Zimmermann bislang noch nicht möglich war. Dort einen Coup zu landen, das wäre so recht nach seinem Geschmack.

Genauso wie ein kurzer Aufenthalt auf der britischen Insel, „nur um einmal in den englischen Rennsport reinzuschnuppern. So für zwei Wochen einmal, das wäre eine tolle Sache. Und als Krönung einmal in der Grand National zu reiten‘, nennt Peter Gehm seine großen Ziele.

Ab Mitte Dezember, wenn er Geburtstag hat und den Urlaub antritt, wäre ein möglicher Zeitpunkt für ein derartiges Unternehmen.
Schon in Pardubitz haben Gespräche mit Trainer Jonjo O´Neill mit diesem Inhalt stattgefunden.

Jetzt heißt es abwarten, was daraus wird. In England ein Rennen zu gewinnen, sei am schwierigsten. Kandidaten, mit denen man dort bestehen könnte, gibt es seiner Meinung nach durchaus im Aufgebot des Stalles Jenny, für das Mario Hofer verantwortlich zeichnet.

Denkbar, dass im Januar und Februar der ein oder andere aus Krefeld wie Euro American oder Triano Dancer, der zuletzt in Rom nur durch Pech um ein sehr gutes Ergebnis gebracht wurde, in Cheltenham zum Einsatz kommt.

An Triano Dancer hängt sein Herz, hat er ihn doch als Jährling entdeckt und später an den Stall Jenny verkauft. Neben Registana, Wagner und Makedos gehört auch Siberius zu seinen Favoriten, auch wenn dieser in diesem Jahr nicht gewonnen hat. „Er ist ein Herbst-Pferd, einer für die zweite Jahreshälfte und wird uns noch viel Freude bereiten‘, gibt er sich von dessen Qualitäten überzeugt.

Mit den internationalen Einsätzen ist Peter Gehm auch zum Vielflieger geworden, kann die Strecken angesichts der Entfernungen nicht mehr mit dem Auto zurücklegen. Über vierzig Rennen in Deutschland und im Ausland stehen für die Saison 2003 bislang zu Buche.

Statistik zu führen, hat er sich schon lange abgewöhnt. „Vom Gefühl her, mit meiner Amateurzeit, werden es wohl rund siebenhundertfünfzig Rennen sein, die ich gewonnen habe. Da ich sicher noch drei, vier Jahre reiten will, dürfte sich die Zahl noch entscheidend erhöhen. Vielleicht habe ich dann eines Tages den 1000. Sieger geritten, ohne es genau zu wissen‘, orakelt er.

Eine Rekordzahl schreibt er auch auf einem anderen Gebiet, nämlich auf dem Sektor Geld. Noch nie zuvor hat ein deutscher Hindernisreiter eine derartige Gewinnsumme wie die von über einer halben Million Euro von Peter Gehm erzielt.

„Dabei lief es anfangs aufgrund meiner Schulterprobleme aus dem Vorjahr nicht so gut, im Sommer und vor allem im Herbst dafür aber umso besser, obwohl ich auch da gewisse Probleme mit dem Daumen hatte. Ich bin echt froh und stolz darauf, dass es jetzt so ausgezeichnet läuft.‘

Thema Krise des deutschen Hindernissports? „Wohl eher eine Krise der Reiter. Weil die Besitzer keine entsprechenden Reiter für ihre Pferde finden, lassen sie es lieber ganz sein. Wir haben einfach zu wenig gute Hindernis-Jockeys, was auch für die Arbeiten gilt. Die Pferde müssen doch ordentlich vorbereitet werden, was nur mit guten Reitern geht. Bei den Starterangaben werden doch immer nur Fuhrmann und Gehm angegeben, das ist einfach zu wenig. Weniger gute Reiter bedeuten weniger gute Pferde, weniger Rennen und weniger Umsatz. Mit dem Ergebnis, dass etliche Vereine keine Hindernisrennen mehr durchführen.‘

Diese sich seit Jahren abzeichnende Entwicklung zwang die Ställe sich anderenorts zu orientieren. So wurde z. B. Meran für die Pferde von Gerd Zimmermann zu einer Erfolgsstation, einer wahren ´Goldgrube`.

„Dort brauchst du ein Pferd, das sehr gut springt. Und wenn es dann auch noch Bahnkenntnis hat, steigen deine Chancen zusätzlich. Entertainer z.B. ist so einer, der springt einfach toll, auch Sunshine Story, die hier ganz anders aufgelegt war als in München, wo sie galoppieren musste und sich prompt schwer tat. In Meran müssen die Hürdler 17 Sprünge absolvieren, was man in Deutschland in diesem Ausmaß gar nicht kennt. Um sie darauf vorzubereiten, lassen wir sie zu Hause auf der Jagdbahn proben.‘

Die Entdeckung der Saison 2003 war zweifellos Makedos, der sich vom Namenlosen zum Gruppe-Sieger entwickelte. Vor seiner Erfolgsserie sogar für kleines Geld zu haben war, nur deshalb im Aufgebot blieb, weil sich kein Käufer gefunden hatte. Manche werden eben zu ihrem Glück gezwungen.

Gerd Zimmermann gehört offenbar dazu, denn mittlerweile weist Makedos eine Jahresgewinnsumme von 116.700 Euro auf. Die Gründe für die Leistungsexplosion?

„Als Hengst war er ein steifes Pferd, wurde dann kastriert und lief früh in der Saison, bereits im Februar in Pisa in einem Verkaufsrennen. Entscheidend war wohl der Wechsel der Taktik, weg von der Wartetaktik und ihn stattdessen von vorne reiten zu lassen.
Erstmals wurde dies in Harzburg praktiziert, das der Auftakt einer Serie von fünf Siegen wurde, die mit dem Gruppe-II-Sieg in Meran ihren Höhepunkt hatte.‘

Dabei will man es natürlich nicht bewenden lassen, sondern auch 2004 weiter Sieger stellen. „Wir werden mit vollen Kanonen bei den Rennen der Vierjährigen antreten, bauen dabei auf Euro American, Rocella, die schon in Meran gewonnen hat, Sunshine Story und Triano Dancer. Auch bei Entertainer ist noch etwas drin. Der hat nämlich nur zweimal eine schwere Bahn, die er braucht, angetroffen, sogar bei hartem Boden in Bad Harzburg gewonnen, was für seinen Charakter spricht.‘

Daneben gibt es natürlich immer wieder frisches Blut im Stall. So steht seit kurzem Fair Dream („nach der könnte man sich die Finger lecken‘), die Siegerin des Leisten-Memorials, in Krefeld, die dort ihre ersten Lektionen lernt.

Neben der Tätigkeit in Krefeld gilt es noch die Hausaufgaben in Bergheim zu erledigen, sich um die eigenen Pferde zu kümmern. „Wir haben nicht viele Pferde. Aber einige unter ihnen berechtigen zu Hoffnungen. So scheint Tall Tempico ein richtig feines Pferd zu werden. Er wird im nächsten Jahr ebenso früh auf Sand anfangen wie unser Dreijähriger, während wir Levinius auf Sand nicht mehr aufbieten wollen. Für The Minster könnte die Endstation nach Gras- und Sandbahnrennen der Hindernissport werden.‘

Ehe er sich ausschließlich auf die Vorbereitung von Rennpferden konzentriert, werden wohl noch einige Jahre vergehen. Denkbar ist durchaus eine spätere Trainer-Laufbahn, doch erst einmal gilt es die Hausaufgaben im Sattel zu erledigen.

Weg weit sind auch solche Gedanken, wie schon einmal vor Jahren geäußert, vom Ende der Karriere und dem Wechsel ins Lager der Hufschmiede. „Mit Gerd Zimmermann, der für mich mehr tut als gemeinhin ein Chef, besteht die mündliche Vereinbarung, dass ich auch nach Ende der Karriere als Hindernis-Jockey den Pferden des Stalles Jenny zur Verfügung stehen werde, in welcher Funktion auch immer.‘

Da er immer wieder auch für andere Trainer Pferde einspringt, kann er sich auf diese Weise einen gewissen Überblick über die Verhältnisse im Sport verschaffen und stellt fest, dass er dabei immer wieder veranlagte Pferde vorfindet.

„Talente gibt es auch bei uns genügend, was man daran sieht, dass sie uns die Engländer ja wegkaufen. Wir dagegen können die Talente aus den oben genannten Gründen wie geringere Rennpreise und mangelnde Qualität der Reiter nicht rauslassen.‘

Selbstverständlich Gesundheit, man sehe doch am Beispiel von Dirk Fuhrmann, der wochenlang aussetzen muss, wie schnell es einen erwischen kann, wünscht er sich für 2004.

Daneben noch an die Erfolge von 2003 anzuknüpfen, wofür die Anzeichen bestimmt nicht schlecht stehen. So seien u.a. mit Siberius und Calcio zwei Könner ausgefallen, die im Vollbesitz ihrer Mittel für Erfolge gut sind.

„Wir haben auch für das nächste Jahr ein paar ordentliche Pferde im Aufgebot‘, stapelt Peter Gehm tief und hofft auf auch ein weiteres Hoch an Erfolgen.

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