Deutschlands Turf-Kuriositäten-Kabinett

Irgendwie erinnert die Meldung doch an einen Aprilscherz, die Sperrung der Haupttribüne in Köln wegen Einsturzgefahr. Doch das imaginäre Buch der Kuriositäten im Turf ist in den letzten 380 Jahren schon recht dick geworden. Während Fußballspiele in leeren Stadien heutzutage nichts völlig Neues mehr sind, hat man von Pferderennen vor leerer Tribüne am Ziel jedoch kaum jemals gehört in der internationalen Turfgeschichte.

Zwar gibt es alljährlich die Rennen auf dem Duhner Watt in Cuxhaven, doch da steht den bis zu 40.000 Zuschauern immerhin der recht hohe Deich als gewissermaßen natürliche Tribüne zur Verfügung.

Dass für die Zuschauer auf Zelte ausgewichen werden mußte wie jetzt in Weidenpesch, geschah 1985 in Arlington Park bei Chicago. Dort waren die Tribünen einem Großfeuer zum Opfer gefallen. In New Orleans, vor Jahren in Bordeaux und aktuell in Gulfstream Park/Florida mussten Provisorien helfen, um eine Umbauphase zu überbrücken. Der größte Teil des Wettumsatzes kam bzw. kommt dabei von außen per Telefon und Datenleitung auf Grund von Satellitenübertragungen der Rennen auf die Rennbahn.

Die englische Königin dagegen, die ihre weltberühmte Rennbahn in Ascot bei London derzeit mit dreistelligem Millionenaufwand aufmöbeln lässt, ließ die Anlage vorerst ganz sperren. Das diesjährige „Royal Ascot Meeting“ im Juni wird ersatzweise komplett in York ausgetragen.

Rennen vor wenn auch nicht ganz, so doch weitgehend leeren Tribünen wurden in Deutschland nur 1944 in Hoppegarten bei Berlin gelaufen. Dort hatte sich im vorletzten Kriegsjahr der Rest des Pferderennsports konzentriert. Da die Leistungsprüfungen für die Vollblutpferde als „reichswichtig“ eingestuft waren, wurden die wichtigsten Zuchtrennen draußen vor der Stadt trotz aller Kriegsbeeinträchtigungen tatsächlich durchgeführt, jedoch mit Ausnahme des Derbytages am 25. Juni ohne Wetten und deshalb mit entsprechend kleinem Publikum.

Noch einen ganzen Schritt weiter war man auf einer Rennbahn in Galizien einige Jahrzehnte zuvor gegangen: Dort erschienen die Rennen nur in den Abrechnungen für Zuschüsse der Agrarverwaltung. In Wirklichkeit waren sie nicht nur ohne Publikum, sondern sogar überhaupt nicht ausgetragen worden. Es handelte sich lediglich um normale Trainingseinheiten, die als offizielle Rennen registriert und abgerechnet wurden. Bis eines Tages unerwartet ein höherer Beamter der K. u. K. Monarchie aus dem fernen Wien nachmittags zu einem der angekündigten Renntage erschien und die Rennbahn verwaist vorfand.

In Bad Doberan bei Rostock, wo nicht nur 1822 die ersten deutschen Galopprennen stattfanden, sondern am 3. Juni 1945 (unfaßbarerweise) auch die ersten Rennen nach dem Zweiten Weltkrieg, stand dabei zuerst zwar noch die malerische Tribüne, doch im folgenden Winter verschwanden Stück für Stück deren Sitzbänke, Dachbalken etc. Sie waren von den russischen Besatzern wie von der notleidenden Bevölkerung nach und nach verheizt worden. Etappenweise verflüchtigte sich später sogar das gesamte Baumaterial und wurde beim Wiederaufbau zerstörter Häuser verwendet.

Ein Fall wie der jetzige in Köln-Weidenpesch – Rennen vor gesperrter Tribüne – scheint dagegen weitgehend ein Novum in der Turfgeschichte zu sein.

Nächste Renntage

Galopprennen in Deutschland
Sa., 23.08. Mülheim
So., 24.08. Hannover
Sa., 30.08. Baden-Baden
So., 31.08. Baden-Baden
Mi., 03.09. Baden-Baden
Sa., 06.09. Baden-Baden
Galopprennen in Frankreich
Sa., 23.08. Deauville
So., 24.08. Deauville, Mont de Marsan
Mo., 25.08. Moulins, Clairefontaine
Di., 26.08. Deauville
Mi., 27.08. Clairefontaine, Vittel
Do., 28.08. Deauville