Der ewige Jentzsch: Galopps zum Frühstück

Der Blick ist traumhaft. Wenn Heinz Jentzsch sich den Morgenschlaf aus den Augen reibt und aus seinem Wohnzimmer-Fenster schaut, hat er den vielleicht prachtvollsten Blick auf Deutschlands schönste Rennbahn: Iffezheim. Der größte Trainer aller Zeiten im deutschen Turf, 31-facher Champion seiner Zunft, lebt dort im Ruhestand. Am 13. März ist Jentzsch 81 Jahre alt geworden. Er wohnt jetzt in dem Haus, das seine Frau Margarethe einst exakt für jenen Zweck gebaut hat: für die Zeit nach der Karriere, für die besinnlichen Tage nach mehr als 50 Jahren im anstrengenden Job des Galoppertrainers.

Der erste Versuch des Ruhestands ist fehlgeschlagen. Jentzsch fiel, wie er sagte, nach seinem Abschied im November 1997 zu Hause die Decke auf den Kopf und er wagte mit 79 ein Comeback für ein Jahr in Mülheim / Ruhr. Ende 1999 war dann aber endgültig Schluß und jetzt, so scheint es, habe Jentzsch den Sprung in den Ruhestand denn auch tatsächlich geschafft. Oder eben doch nicht? Der Altmeister schmückt sich mit einem neuen Titel und die Turf-Welt ist froh, dass Jentzsch weiter mitmischt im Kreis der ihren. Als verkündet wurde, Jentzsch sei der "Racing Manager" für die Pferde des Gestüts Mönchhof seines langjährigen Weggefährten Karl-Heinz Münchow, haben das viele mit Freude vernommen.

Es schließt sich ein Kreis. Eben jener Karl-Heinz Münchow, Ehemann von Schlagerstar Margot Eskens, war 1949 maßgeblich daran beteiligt, dass Jentzsch von Hoppegarten aus nach Köln wechselte und dort die einzigartigste Karriere dieser Sportart startete. Jetzt sind die beiden, 52 Jahre später, wieder ein Team. 11 Pferde lässt Münchow in Iffezheim von Wolfgang Gülcher trainieren. Und einmal pro Woche schaut der Altmeister im Stall vorbei. Fachsimpelt, diskutiert, spricht die Einsätze der Galopper ab. Beobachten kann Jentzsch die Pferde bei der Morgenarbeit ja sogar von seiner Terasse aus. Praktisch Galopps zum Frühstück. "Ein guter Trainer muss ein guter Beobachter sein", ist einer der liebsten Sätze der lebenden Legende. "Das gilt nicht nur bei den Pferden, das ist in allen Sportarten so."

Der Boxfan und Hobbymaler Jentzsch hat das meisterhaft betrieben, die Beobachtung der Pferde. Von 1949 bis 1997 hat Heinz Jentzsch in der Domstadt Köln trainiert. Er war dort die Institution in Sachen Turf, zusammen mit seinem Freund und Nachbarn Hein Bollow. Mehr als 4000 Rennen hat dieser Mann in seinem Leben als Trainer gewonnen. Eine unvorstellbare Zahl, an die wohl nur ganz schwer jemals wieder ein deutscher Trainer heranreichen wird. Achtmal hat Jentzsch das Derby gewonnen. Zuletzt 1993 und 1994 mit dem Bruderpaar Lando und Laroche. Oder 1985 mit dem großen Acatenango.

Acatenango und Lando, es waren die wohl besten Pferde die das Gütesiegel "Made by Jentzsch" tragen. "Wer besser war, ist ganz schwer zu sagen", hat er sich immer recht diplomatisch ausgedrückt. Und tendierte doch immer ein wenig zu Acatenango. "Weil er unkomplizierter war." Obwohl es Lando war, mit dem er 1995 das größte Rennen seiner Laufbahn gewann. Im Japan-Cup war Lando mit Jockey Michael Roberts nicht zu schlagen. Die Turf-Welt hat damals den Hut gezogen vor einem Mann, der im Alter von 75 Jahren allen anderen gezeigt hat, was eine Harke ist. Mit einer klaffenden Beinverletzung war Lando vom Breeders Cup nach Hause zurückgekehrt. Die Wunde wurde geklammert, und auch beim Training ein paar Tage vor dem Rennen zierte noch ein Verband Landos Hinterbein. Es kam noch doller: Jentzsch schickte Lando zwei Tage vor dem Rennen auf einen Spritzer, auf einen schnellen 1000 Meter – Sprint. Und weil die Uhren bei einer phantastischen Zeit stehenblieben, wettete halb Japan beim Rennen dieses Pferd. Warum Jentzsch das alles so gemacht hat, war stets sein Geheimnis. Aber es war der Weg zum Erfolg. Da zog auch Jockey Michael Roberts anerkennend den Hut: "Dieser Mann ist der größte Trainer der Welt", diktierte er in die Notizblöcke der Journalisten. Und als die deutsche Nationalhymne in Japan gespielt wurde und Jentzsch auf dem Treppchen stand, wurde selbst er sentimental.

Lando ist mit 5.657.828 Mark immer noch der gewinnreichste Galopper aller Zeiten in Deutschland. Und Heinz Jentzsch, da kann kommen was will, der Trainer für die Ewigkeit. Man hat ihm immer eine pessimistische Grundhaltung nachgesagt, weil er sich über sein Können ("Gute Pferde machen gute Trainer") und die Chancen seiner Pferde immer zurückhaltend geäussert hat. "Wissen Sie, ich bin nicht pessimistisch. Ich bin nur Realist in einer Welt voller Optimisten."

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