Sport-Welt: Zunächst einmal nachträglich noch alles Gute zu ihrem 25. Geburtstag. Wurde trotz der angespannten Lage denn zumindest etwas gefeiert?
Tommaso Scardino: Danke. Eigentlich war das geplant, aber aufgrund der sich täglich verschlimmernden Situation und aus Respekt zu allen bereits mit dem Coronavirus infizierten Menschen habe ich alle Feierlichkeiten abgesagt. Wenn sich alles zum Guten gewandt hat, holen wir das nach.
Sport-Welt: Wie stehen Sie ansonsten zur Corona-Krise?
Tommaso Scardino: Das ist schon echt schlimm, was man täglich in den Nachrichten sieht. Viele Menschen scheinen die ernste Lage bis jetzt nicht verstanden zu haben und bewegen sich weiterhin fast uneingeschränkt in der Öffentlichkeit. Vielleicht sollte der Staat wirklich so langsam über eine allgemeine Ausgangssperre nachdenken. Damit würde man die in meiner Heimat Italien gemachten Fehler vermeiden, wo man meiner Meinung nach viel zu spät eingeschritten ist. Aus rennsportlicher Sicht ist eine vorläufige Aussetzung der Rennen unumgänglich und die absolut richtige Maßnahme. Für ein paar unserer Pferde kommt die Pause sogar gelegen. Sie können sich von einem anstrengenden Winter mal ein bisschen erholen.
Sport-Welt: Haben Sie noch Kontakt in ihr Heimatland? Wenn ja, wie stellt sich dort die Situation da?
Tommaso Scardino: Na klar. Bis auf meinen Vater, der mit mir gemeinsam am Stall von Marco Klein arbeitet, ist meine ganze Familie noch in Italien. Meine Mutter, meine Schwester und viele Freunde sind dort ebenfalls im Rennsport tätig und berichten wie schwer es aktuell ist, die Pferde in angemessenem Rahmen zu bewegen und zu versorgen. Irgendwie muss es ja auch dort weitergehen, aber alle machen sich aktuell natürlich große Sorgen. Viele Menschen halten sich einfach nicht an die verhängte Ausgangssperre, weshalb die Situation sich bis jetzt auch noch nicht wirklich entspannt hat.
Sport-Welt: Was für Auswirkungen hat der Virus auf Ihre tägliche Arbeit am Stall von Marco Klein?
Tommaso Scardino: Nicht so viel, wir arbeiten aktuell unter Einhaltung einiger Sicherheitsauflagen eigentlich ganz normal weiter. Angepasst an die neue Situation gehen einige Pferde vielleicht etwas mehr auf die Koppel oder ins Gelände, ansonsten werden sie wie gesagt normal gearbeitet, so dass wir, sollte es wieder los gehen, gleich wieder voll da sind.
Sport-Welt: Themenwechsel. Wann sind Sie eigentlich nach Deutschland gekommen und wie kam es dazu?
Tommaso Scardino: Das war im November 2013. Ich hatte vorher schon das eine oder andere Mal für Trainer Pavel Vovcenko geritten, als er mich irgendwann fragte, ob ich mir vorstellen könnte eine Lehre bei ihm anzufangen. Da habe ich direkt zugesagt. In Italien hatte ich vorher schon Rennen geritten, eine Ausbildung braucht man dort nicht.
Sport-Welt: Wenn wir richtig recherchiert haben, haben Sie für einen Jockey mit 17 Jahren aber erst relativ spät mit dem Reiten angefangen. Stimmt das?
Tommaso Scardino: Genau, und das war eine sehr kuriose Geschichte. Obwohl ich wegen meiner Familie mit dem Rennsport aufgewachsen bin, hat er mich nie so richtig interessiert. Hätten Sie meinen Vater vor zehn Jahren gefragt, ob sein Sohn irgendwann im Rennsport seine Brötchen verdient, hätte er ganz sicher mit nein geantwortet. Im Sommer 2013 hat dann aber irgendwas klick gemacht und die Schule war von da an kein Thema mehr. Für mich gab es nur noch die Pferde.
Sport-Welt: Und mittlerweile sind Sie recht erfolgreich. Das war auch schon mal anders. Früher, vor allem während Ihrer Lehrzeit, wurde oft ihre Einstellung in Frage gestellt. Was hat sich diesbezüglich verändert?
Tommaso Scardino: Ich bin einfach erwachsener geworden. Als ganz junger Mensch hat man manchmal andere Sachen im Kopf. Ich war sicher auch kein einfacher Charakter, war damals schnell eingeschnappt. Ich musste auch lernen mich anzupassen und unterzuordnen. Als Lehrling ist man halt nicht gleich der Boss. Mittlerweile habe ich das verstanden und der Schritt nach Mannheim zu gehen, war die beste Entscheidung meines Lebens und meine Lehre habe ich mittlerweile ja auch abgeschlossen.
Sport-Welt: Das heißt die Zusammenarbeit mit Marco Klein klappt gut?
Tommaso Scardino: Ja klar. Er unterstützt mich in allem, wo es nur geht. Ich darf mir aussuchen welche Pferde ich reite und hab auch zu Hause größtenteils freie Hand. Das passt einfach, was auch die 12 bis 13 Siege, die wir jedes Jahr zusammen erzielen, untermauern.
Sport-Welt: Für einen Jockey sind Sie recht groß. Welches Gewicht können Sie ohne Probleme reiten?
Tommaso Scardino: Im Sommer 55 Kilo. Im Winter für gute Ritte auch, aber da muss ich dann schon ein bisschen was für tun. Im Winter ansonsten zwischen 55,5 und 56 Kilogramm.
Sport-Welt: Wie steht‘s mit der Nahrungsaufnahme? Können Sie denn essen was sie wollen?
Tommaso Scardino: Ich muss schon ein bisschen aufpassen, aber ich habe den Vorteil, dass ich sehr gerne Fisch esse und der hat ja bekanntlich nicht allzu viele Kalorien. Ab und zu kommt aber auch ein Burger oder ein Steak auf den Teller. Das passt schon.
Sport-Welt: Um Letzteres dann auszugleichen, machen Sie bestimmt auch viel Sport in Ihrer Freizeit?
Tommaso Scardino: Das stimmt. Ich habe da so meine Gewohnheiten, versuche viermal in der Woche ins Fitnessstudio zu gehen. Außerdem laufe ich viel. Am liebsten spiele ich Fußball, das nach Möglichkeit einmal in der Woche mit Kumpels.
Sport-Welt: Zurück zum Rennsport. Aktuell stehen Sie gemeinsam mit Maxim Pecheur ganz oben in der Jockeystatistik. Fängt man da an zu träumen?
Tommaso Scardino: Träumen tut man doch immer, oder? Natürlich ist es schön ganz oben zu stehen, aber ich bleibe auch realistisch. Da zu bleiben, ist unglaublich schwer. Und man braucht am Ende des Jahres auch immer ein bisschen Glück. 2019 war ich gut in Schuss, dann bin ich zweimal durch Verletzungen längere Zeit ausgefallen. Das war insgesamt aber ein guter Ansatz und ich denke man hat gesehen, dass ich einer für die Top-Ten bin.
Tommaso Scardino: Welche Ziele haben Sie sich für dieses Jahr und längerfristig gesetzt?
Sport-Welt: Für dieses Jahr, wie gesagt wäre es schön, wenn ich am Ende unter den ersten Zehn bin. Vorrangig möchte ich aber so viele Rennen wie möglich gewinnen und dabei mitwirken unsere Pferde nach vorne zu bringen. Wenn das gut klappt, ist dann eher zweitrangig was die Statistik am Ende sagt. Längerfristig will ich natürlich schon irgendwann einmal ums Championat mitkämpfen.
Sport-Welt: 2015 waren Sie sogar schon einmal Champion, wenn auch nur unter den Auszubildenden. Wie lange wird es denn dauern bis Tommaso Scardino auch bei den Profis um den Titel kämpft?
Tommaso Scardino: Schon noch ein bisschen. Es wäre sicher schön, wenn es schon im nächsten Jahr so wäre. Aber da müssen so viele Faktoren zusammenpassen. Ein paar Jahre wird das wohl noch dauern.
Sport-Welt: Die von Ihnen angesprochenen Verletzungen. Hat man die eigentlich im Hinterkopf, wenn man sich morgens und in den Rennen aufs Pferd setzt?
Tommaso Scardino: Am Anfang schon, dann ist man schon etwas vorsichtiger. Aber nach einer Woche ist alles wieder normal und das ist auch gut so. Wichtig ist nur, dass Du sofort weiter machst, damit der Kopf frei bleibt.
Sport-Welt: Apropos Kopf. Haben Sie schon einmal drüber nachgedacht an einen anderen Rennstall zu wechseln?
Tommaso Scardino: Nein, da habe ich mir bis jetzt noch nie Gedanken drüber gemacht, da ich mit der aktuellen Situation sehr zufrieden bin. Ich genieße hier die volle Unterstützung vom gesamten Team und habe in Mannheim eine neue Heimat gefunden. Mehr brauche ich nicht um glücklich zu sein.
Sport-Welt: Das heißt auch abseits vom Rennsport fühlen Sie sich in Mannheim zu Hause?
Tommaso Scardino: Auf jeden Fall. Das Klima ist hier ähnlich wie in meiner Heimatstadt Pisa, das ist schonmal gut. Es gibt auch sehr gute italienische Restaurants und auch ansonsten ist Mannheim eine sehr ereignisreiche Stadt. Sehr gerne schaue ich mir die Spiele der Adler Mannheim an, in der SAP-Arena ist immer richtig was los.
Sport-Welt: Haben Sie eigentlich ein Lieblingspferd?
Tommaso Scardino: Aktuell ist das Thunderlight. Ich hatte den Besitzern damals zum Kauf geraten. Lange hat man nicht an sie geglaubt, da sie Luftprobleme hatte. Nach einer OP scheint nun aber alles gut und sie fühlt sich rundum wohl. Und erfolgreich ist sie ja auch noch.
Sport-Welt: Gibt es weitere Highlights Ihrer Karriere?
Tommaso Scardino: Klar. Vor allem den 26. März 2017. Damals gewannen mein Chef und ich auf der Heimatbahn gemeinsam vier Rennen hintereinander. Mit Kepheus habe ich danach noch eins gewonnen, also fünf an einem Tag. Danach haben wir ordentlich gefeiert, das war schon ein großer Tag. Auch der Sieg in einem Nachwuchsreiten mit Theo Danon am Prix de Diane-Tag in Chantilly wird mir immer in Erinnerung bleiben.
Sport-Welt: Und woran erinnern Sie sich nicht so gerne zurück?
Tommaso Scardino: An den 22. November 2017. Da bin ich in der Morgenarbeit vom Pferd gefallen: Mit einem Milzriss und inneren Blutungen musste ich notoperiert werden. Ich hatte damals echt Angst um mein Leben.
Sport-Welt: Haben Sie Vorbilder?
Tommaso Scardino: Im Rennsport ist das Alexander Pietsch. Er war Champion, gibt immer alles und kämpft für seine Ziele.
Sport-Welt: Haben auch Sie außer dem Champion-Titel irgendwann besondere Ziele, auf die Sie hinarbeiten oder gibt es ein Rennen, das Sie unbedingt einmal gewinnen wollen?
Tommaso Scardino: Letzteres. Den Premio Pisa in meiner Heimatstadt. Das ist zwar nur ein Listenrennen, aber wer aus Pisa kommt, der weiß, was er dort für einen Stellenwert hat. Leider findet der immer Ende März statt, wenn parallel in Mannheim veranstaltet wird, das wird also nicht leicht. Und natürlich irgendwann gerne mal das Derby, das will doch jeder gewinnen.
Sport-Welt: Stichwort gewinnen. Wen müssen unsere Leser diesbezüglich aus ihrem Stall verfolgen?
Tommaso Scardino: Da gibt es zwei, beides Youngster. Zum einen Ka Zwei, ein Amaron-Hengst, der zu Hause schon einen sehr guten Eindruck hinterlässt und Elle Aigle, eine Halbschwester von Eric.
Sport-Welt: Was muss 2020 passieren, damit Sie am Ende der Saison von einem guten Jahr sprechen?
Tommaso Scardino: Da mache ich mir derzeit nicht so viele Gedanken drüber. Wenn es so gut weiterläuft, wie es angefangen hat, bin ich schon zufrieden. Wichtig ist in der aktuellen Situation aber erstmal, dass es irgendwann weitergeht und dass wir alle gesund bleiben.
Sport-Welt: Mit wem aus dem Rennsport würden Sie gerne mal zusammen zu Abend essen und warum?
Tommaso Scardino: Mit Dr. Paul Kistler, einem unserer Besitzer. Er ist einer meiner größten Förderer. Da er in Mainburg bei Ingolstadt lebt, sehe ich ihn aber leider viel zu selten.
Sport-Welt: Haben Sie schonmal gewettet?
Tommaso Scardino: In Deutschland noch nie, wetten ist allgemein nicht so mein Ding. In Pisa machen wir das schonmal. Wir schmeißen dann mit Kumpels zusammen und freuen uns, wenn wir ein paar Euros gewinnen.
Sport-Welt: Wie geht es dem Rennsport in Ihrer Heimat Italien?
Tommaso Scardino: Nicht gut, die goldenen Zeiten sind längst vorbei. Auch dort hat man das Problem neue Besitzer für den Sport zu gewinnen. Und ohne die wird es irgendwann keine Pferde mehr geben. Vor 20 Jahren war das alles anders. Schade…