GaloppOnline.de:
Was sind Ihre Hauptaufgaben als Sicherheitschef beim Direktorium?
Harald Siemen:
Die Grundsätze meiner Arbeit sind die Einhaltung der Rennordnung und die Verfolgung von Verstößen. Außerdem begleite ich die Arbeit der Rennbahnprüfungskommission. Allgemeine Sicherheitsaspekte stehen hier im Vordergrund. Bei Verstößen arbeite ich zusammen mit dem Kontrollausschuss, dessen Mitglied ich auch bin. Ein weiterer Punkt ist die Überwachung von Dopingkontrollen.
GaloppOnline.de:
Wie sind Sie zu der Aufgabe gekommen?
Harald Siemen:
Mitte der 90er Jahre baute das Direktorium eine Abteilung für Sicherheit auf. Man hat mich gefragt, ob ich zu einer solchen Tätigkeit bereit sei. Damals war ich bei der Kölner Polizei in einer verantwortungsvollen Position. Nebenbei habe ich als Journalist und Autor gearbeitet, für den Kölner Stadtanzeiger oder das Badische Tagblatt.
GaloppOnline.de:
Wie läuft die Zusammenarbeit mit Herrn Reims vom Kontrollausschuss und Herrn Reuther, der mit ihnen die Kontrollen durchführt?
Harald Siemen:
Der Kontrollausschuss ist Rechtsorgan des Direktoriums. Herr Reims, der zugleich in Köln als Rechtsanwalt tätig ist, ist der Vorsitzende, ich bin Mitglied. Wir stimmen uns fast täglich ab, besprechen sämtliche Fälle. Herr Reuther ist Mitarbeiter auf Honorarbasis, vor allem im Außendienst, wenn Ermittlungen durchgeführt werden. Sein Schwerpunkt liegt in Trainingskontrollen und Dopingbekämpfung.
GaloppOnline.de:
Seit wann arbeiten Sie ferner als Handicapper?
Harald Siemen:
Seit dem 1. Januar 1996 bin ich Handicapper für die Bahnen in Norddeutschland. Vor drei Jahren kamen Baden-Baden und Hamburg hinzu. Inzwischen bin ich auch Mitglied des International Classification Commitees, das alle europäischen Gruppe- und Listenrennen beurteilt und die internationalen Ratings festsetzt.
GaloppOnline.de:
Welcher Job nimmt mehr Zeit in Anspruch?
Harald Siemen:
Ich denke, dass die Tätigkeit als Sicherheitsbeauftragter den größeren Teil meiner Zeit beansprucht. Ich habe auch nicht vor, meine Auslandsreisen als Handicapper auszudehnen, da es in Deutschland genug zu tun gibt. Die Veranstaltung um den Dubai World Cup kann gut ohne mich über die Bühne gehen.
GaloppOnline.de:
Um die Reisen in die große Turf-Welt beneiden Sie sicher viele. Haben Sie bevorzugte Ziele? Wie war Hong Kong, als Sie im Dezember erstmals Deutschland bei den International Races vertreten haben?
Harald Siemen:
Wie gesagt, die Reisetätigkeiten sind durch die Arbeit in Deutschland eingeschränkt. Immer sehr gerne fahre ich zum Arc nach Longchamp. Meine Lieblingsrennbahn war stets Ascot mit den King George. Hong Kong war ein tolles Erlebnis, auch wenn ich früher schon Tokio oder die USA besucht habe.
GaloppOnline.de:
Sie haben den Job auf der internationalen Bühne von Peter Schmanns übernommen. Wie wurden Sie von den Kollegen aufgenommen?
Harald Siemen:
Zwar gehöre ich erst seit 2002 zum Committee der International Classification, habe Herrn Schmanns aber schon seit 1997 begleitet und bin daher kein Neuling mehr. Und damals wurde ich sehr herzlich aufgenommen und direkt akzeptiert. Zumal jeder eine Stimme hat, egal aus welchem Land er kommt.
GaloppOnline.de:
Wie sehen Sie als Handicapper die sportliche Entwicklung des deutschen Turfs?
Harald Siemen:
Seitdem ich an den Sitzungen der International Classification teilnehmen kann, ist deutlich geworden, dass die Leistungsstärke deutscher Pferde im internationalen Vergleich ständig zugenommen hat. Zu Anfang konnte man dies noch als Zufallsergebnisse abtun, doch hat sich das längst verändert. Dem deutschen Rennsport kommt großer Respekt zu. Die Pferde werden als ernstzunehmende Gegner eingeschätzt. Es hat ein völliger Wandel stattgefunden. Die deutschen Trainer sind auch viel unternehmungslustiger geworden, man geht dem Konkurrenzkampf nicht mehr aus dem Weg. Das wird stark zur Kenntnis genommen.
GaloppOnline.de:
Kommen wir zum Fall Denaro. Ist der Fall bereits abgeschlossen?
Harald Siemen:
Dieser Fall ist noch nicht erledigt. Herr van De Keere hat sich fachärztlichen Untersuchungen unterzogen. In Kürze erwarten wir die Ergebnisse. Davon hängt das weitere Vorgehen ab. Er darf vorerst nicht reiten.
GaloppOnline.de:
Das Vertrauen in den Sport wird durch solche Vorfälle natürlich erschüttert.
Harald Siemen:
Solch eine Geschichte kann leider immer passieren. Bislang liegt noch kein Verstoß vor. Es ist ein Fall, der die Möglichkeit eines Verstoßes beinhaltet. Die Aufklärung ist voll im Gange und wurde unverzüglich aufgenommen. Meiner Meinung nach wird das Vertrauen in die Integrität unseres Sports daran festgemacht, inwieweit die Organe des Rennsports auf solch einen Vorgang reagieren. In der Natur eines geordneten Verfahrens liegt es zudem, dass man nicht gleich ein Urteil fällen kann. Eine Ordnungsmaßnahme gegen einen Jockey lässt sich erst treffen, wenn der Tatbestand bewiesen ist.
GaloppOnline.de:
Die aktuelle Situation im deutschen Rennsport ist alles andere als rosig. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Harald Siemen:
Der deutsche Turf besteht seit 180 Jahren, hat viele Krisen überstanden. Sicher, es hat deutlich bessere Zeiten gegeben als heute, aber ich bin überzeugt, dass auch in zehn Jahren noch Galopprennen auf gutem Niveau in Deutschland durchgeführt werden.
GaloppOnline.de:
Abschließend Ihr Tipp für das Derby 2003 – hat man den Derbysieger schon gesehen?
Harald Siemen:
Als Ausgleicher bin ich auch kein besserer Prophet als ein Rennbahnbesucher. Ich beschäftige mich mit Leistungen. Das befähigt mich nicht dazu, in die Zukunft zu schauen. Generell ist festzustellen, dass die Trainer mit ihren Spitzenpferden vorsichtig umgehen. Wenn sie zweijährig überhaupt starten, dann nicht sehr oft. Wir haben dieses Jahr so wenig Zweijährige im Generalausgleich wie seit zehn bis 15 Jahren nicht mehr. Es ist also durchaus möglich, dass ein Pferd Derby-Sieger wird, das bisher noch nicht in Erscheinung getreten, vielleicht sogar noch gar nicht gelaufen ist. Es hat aber auch einige imponierende Sieger gegeben. Ich denke an die Gewinner der großen Prüfungen, wie Preis des Winterfavoriten, Junioren-Preis, die mit Sicherheit auf dem Weg zum Derby eine gute Rolle spielen dürften.