Jessica Pyfer

Sport-Welt: Sie hatten am 16. Mai vier von acht Ritten in Santa Anita verwandelt. Wir sind gewohnt, derartige Meldungen – noch dazu auf dieser, einer der wichtigsten Rennbahnen der Welt –  von Jockey-Legenden wie Bill Shoemaker, Laffit Pincay Jr. oder Gary Stevens zu hören. Aber von einem weiblichen Jockey-Lehrling noch nie. Was war da los?

Jessica Pyfer: Du kennst unser Geschäft ja selbst bestens. Das kann man selbstverständlich nicht planen …

Sport-Welt: Ist es also Glück?

Jessica Pyfer:Nein, das auch wieder nicht. Es ist schon das Ergebnis harter Arbeit, kombiniert mit viel Selbstverstrauen.

Sport-Welt: Wie meinst Du das, mit dem Selbstvertrauen?

Jessica Pyfer: Im Gegensatz zu dem, was jetzt viele Fans und vor allem die Medien glauben, bin ich ja gar nicht plötzlich wie der Phönix aus der Asche aufgestiegen. Nein, ich reite auf dieser Bahn – und genau diese Pferde – schon seit mehr als sechs Jahren.

Sport-Welt: Und warum hatte dann bis erst vor kurzem noch nie auch nur irgendjemand etwas von Dir gehört?

Jessica Pyfer: Vielleicht sollte ich den deutschen Lesern zunächst unser Trainingssystem hier in den USA erklären, das wohl doch um einiges verschiedener ist als das, wie Ihr es in Deutschland macht. Es gibt hier im kalifornischen Rennsport zum Beispiel keine Amateure, die bei euch, wie ich gehört habe, ja sehr wichtig sind, aber hier eben gar nicht. Sobald du 16 bist und schon gut reiten kannst – wo immer du das gelernt haben magst – kannst du eine professionelle, sogenannte „Exercise Riders License“ beantragen, die dann von den Stewards genehmigt wird, oder auch nicht. Ein Trainer und gegebenenfalls die „Outrider“, das sind die Rennbahn-Ordnungskräfte zu Pferde, müssen deine Qualitäten vorher bestätigt haben. Dann bekommst du deine professionelle Lizenz und musst sie sogar auch bezahlen, und die gilt dann für jeweils zwei Jahre. Man könnte fast sagen, eben wie ein Führerschein zum Rennpferde-Reiten – nur im Training allerdings – und nur auf den kalifornischen Rennbahnen gültig. Jeder amerikanische Staat hat dann wiederum eigene solche Lizenzen.

Sport-Welt: Und wie geht‘ s dann weiter, beziehungsweise wie ging‘s bei Dir weiter?

Jessica Pyfer: Dann brauchst du einen Trainer, der dich dann überhaupt erst einmal seine Pferde in der Morgenarbeit reiten lässt. Zugegeben, da hatte ich einen entscheidenden Vorteil: mein Papa ist Trainer. Aber, Verwandtschaft oder auch nicht, jeder, der überhaupt eine Chance haben will, muss schrecklich früh aufstehen lernen. Das Training ist ausschließlich zwischen 4:45 Uhr bis 10:00 Uhr morgens, sieben Tage jede Woche. Wer das durchhält, hat schon mal die richtige Grundhärte bewiesen. Und in meinem Falle war es noch schlimmer. Ich habe gleichzeitig noch das Grundstudium Jura bewältigt und abgeschlossen. Dann jedoch musste ich mich entscheiden: jeden Tag um 3:45 Uhr aufstehen, um  4:45 Uhr auf dem ersten Pferd sitzen, um 10:00 Uhr in die Uni rasen, dann noch bis 20:00 Uhr Home-Work am Computer. Das hält auf Dauer niemand aus. Ich wäre eine schlechte Reiterin geworden, und eine schlechte Anwältin. Also musste eine Entscheidung her. Und die war: Jockey! Sehr zum Ärger meiner Eltern.

Sport-Welt: Wie hast Du Dir das denn plötzlich zugetraut?

Jessica Pyfer: Nun ja, bereits in meiner Arbeit als „Exercise Girl“ war ich wohl einigen Trainern positiv aufgefallen. Zum Beispiel solchen Top-Leuten wie Richard Mandella. Den kennt man sicher auch in Deutschland, vor allem durch seine sagenhaften Erfolge im Breeders‘ Cup. Ich habe deren beste Pferde gearbeitet, und die gingen oft mit mir genauso gut – wenn nicht gar besser – als mit den etablierten Jockeys. So kam meine endgültige Entscheidung wahrscheinlich durch den Einfluss von Richard, als er sagte: „Mädchen, Du kannst das, Du kannst ein Jockey sein! Versuch‘s einfach. And the rest is history, wie sie so schön zu sagen pflegen.

Sport-Welt: Tja, dann lass uns bitte noch ein wenig über diese „History“ reden.

Jessica Pyfer: Wie gesagt, es kannten mich ja eigentlich alle auf der Santa Anita-Bahn schon; nur eben noch nicht als Jockey. Wäre ich, sagen wir, plötzlich aus New York gekommen, wäre mein kometenhafter Aufstieg – so nennen es manche, wohl nicht möglich gewesen. Und du brauchst natürlich den richtigen Agenten mit tollen Beziehungen zu den Trainern; sonst läuft da gar nichts. Jockeys ohne Agenten gibt es gar nicht. Und es gibt auch absolut keine festangestellten Jockeys. Das bedeutet, wenn du nicht reitest, und nicht gewinnst, verdienst du absolut gar nichts, beziehungsweise fast nichts. Hier auf Santa Anita sind im Moment 25 Jockeys registriert. Und wir haben gerade jetzt das Problem, dass die Rennen kaum noch zu füllen sind. Zwölf Pferde wären ein volles Feld. Im Moment liegt der Durchschnitt pro Rennen bei sechs tatsächlichen Startern. Deine Leser können sich nun selbst ausrechnen, wie – mathematisch gesehen – die Chancen stehen, überhaupt an einen Ritt zu kommen, bei nur noch drei Renntagen pro Woche – früher waren es fünf – mit neun Rennen pro Renntag. Zum Beispiel bekommen solche Weltklassejockeys wie Mike Smith an vielen Renntagen überhaupt keine Ritte mehr. Das hängt aber wohl auch damit zusammen, dass die Leute gemerkt haben, dass Mike nicht mehr so „hungrig“ ist wie zum Beispiel ich. Aber das ist ein anderes Thema.

Sport-Welt: Mit hungrig meinst Du aber sicher nicht, dass Du nicht genug Geld hast, anständig Essen zu kaufen – kleiner Spaß.

Jessica Pyfer: Nein, natürlich nicht. Ich reite erst seit rund neun Monaten Rennen und habe in dieser Zeit bereits über 200.000 Dollar verdient.

Sport-Welt: Wie das?

Jessica Pyfer: Nun, hier bekommen die Jockeys 10 Prozent vom Gewinn, und meine Ritte haben nun mal bisher mehr als 2 Millionen verdient. Natürlich muss ich von den 200.000 Dollar noch meinen Agenten bezahlen. Und ich habe einen persönlichen Athletik- und Konditions-Trainer. Den haben alle Spitzenjockeys. Aber für mich reicht‘s, dicke! Come on, ich bin gerade mal sonnige 23 … (lacht)

Sport-Welt: Dann verrate mir bitte noch Dein Erfolgs-geheimnis. Es gibt ja so die gängige Meinung, dass erfolgreiche Jockeys – im Vergleich – mit ihrer männlichen Kraft gewinnen. Und bei den erfolgreichen Frauen meint man, die haben halt das Händchen. Was ist es bei Dir?

Jessica Pyfer: Ich hoffe beides. Bei den vielen Pferden, die ich sechs Jahre lang morgens gearbeitet habe, liegt mir besonders das sogenannte „Rating“, wenn ich von der Spitze aus reite und gewinne. Schau, wenn der Trainer dir sagt, du sollst 5 Furlongs, also einen Kilometer, in 59 Sekunden arbeiten – und die meinen das im Ernst, genau so – dann musst du genau fühlen können, wie schnell du auf der Gegenseite gehen musst und kannst, damit du die Zielgerade runter auch noch ein anständiges Finish hinlegen kannst.

Sport-Welt: Aha, doch das Händchen …

Jessica Pyfer: Vielleicht, aber ich kann auch richtig hinlangen, wenn es kurz vorm Pfosten eng wird. Ich habe auch einige Photo-Finishes für mich entscheiden können. Und dafür bereits 4.000 Dollar bezahlt!

Sport-Welt:  Wie?

Jessica Pyfer: Nun ja, wir haben hier die eiserne Regel, dass pro gesamtem Rennverlauf nur sechs Stockeinsätze erlaubt sind.

Sport-Welt: Sag jetzt bitte nicht, Du bist „brutal“.

Jessica Pyfer: Nein, Quatsch. Ich hatte mich – in der Hitze des Gefechts – nur verzählt. Aber die Stewards nicht. Und dann kam halt manchmal der siebte Einsatz. Und wenn du dann Wiederholungstäter bist, dann wird die Strafe jedes Mal teurer. Aber wir dürfen – und daran halte ich mich automatisch – beim Schlag nicht über Schulterhöhe ausholen. Ich selbst wiege 51 Kilo. Also ich glaube echt, dass ich einem Pferd nicht weh tun kann. Und das natürlich auch nicht will. Ich weiß, da gibt es verschiedene Meinungen, aber ich glaube daran, dass- noch dazu bei all diesen Einschränkungen – die Peitsche dem Pferd, mehr als alles andere, eher nur ein Signal gibt: Hey, Jessica ist noch da! Insgesamt hatte ich nur fünf Strafen, aber auch das versuche ich abzustellen.

Sport-Welt: Wie sieht die Bilanz aus?

Jessica Pyfer: Ich hatte beim jetzigen Sechs-Monate-Santa Anita-Meeting 312 Ritte, 36 Siege, 43 zweite Plätze und 39 dritte. Das bedeutet 38 Prozent im Geld. Also, ich glaube schon, dass ich den Trainern und Besitzern, die mir vertrauen, ihr Geld verdient habe…

Sport-Welt: Was sind Deine Pläne für die Zukunft ?

Jessica Pyfer: Ja, ich möchte mich dauerhaft in dieser Jockey-Kolonie, einer der führenden der Welt, in den „Top 5“ etablieren. Bei diesem Meeting bin ich immerhin schon Sechste. Ich möchte gesamt-amerikanischer Lehrlingshampion 2021 werden. Und, das darf ich das sagen, erst einmal die nächsten 10 Jahre nicht schwanger werden. Denn leider hat genau das bei vielen meiner Vorgängerinnen vielversprechende Karriere zunichte gemacht. Leider ist das so. Aber es muss ja nicht (lacht)….

Sport-Welt: Danke, Jessica. Und wie wir in Deutschland sagen, Hals und Bein!

Jessica Pyfer: Nee, das sagen wir hier gar nicht. Übrigens – glaub‘ es oder nicht – hatte ich auch noch nie Brüche. Bin wohl doch ein Glückskind.

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