GaloppOnline.de: Wie bewerten Sie den Verkauf von RaceBets? Es gibt Stimmen, denen wäre ein Behalten der Anteile lieber gewesen.
Andreas Tiedtke: Natürlich wäre dies einfacher gewesen. Doch ist der Gewinn bei diesem Verkauf in etwa die Gewinnausschüttung von acht Jahren. Niemand kann heute sagen, wie sich der Pferdewettmarkt entwickelt. Insoweit war die Entscheidung für den Verkauf leicht. Sowohl die Investoren der DG Deutsche Galopprennsport KG als auch das DVR haben profitiert. RaceBets hat einen für die Rennvereine positiven Bildvertrag unterschrieben, somit bleibt die Wettvermittlung erhalten. Das ist im Übrigen immer ein wenig beachteter Beitrag zur Gesamtrechnung der Beteiligung für den Rennsport. Viel zum Erfolg von RaceBets hat übrigens das Management beigetragen. Mit Herrn Weiss eine starke Verbindung in den Rennsport, mit Herrn Honig einen jungen Entrepreneur im Bereich Internet und mit Herrn Byrne jemanden für die strategische Geschäftsentwicklung, Finanzen und Controlling. Letztere beide ohne Rennsport- und Buchmachererfahrung.
GaloppOnline.de: Das Wort Strukturreform ist in aller Munde. Was sind für Sie die Hauptelemente einer solchen Reform?
Andreas Tiedtke: Die Diskussion über die Strukturreform zieht sich seit Jahren durch den Sport. Angesichts der zurückgehenden Umsätze und der Verlagerung in das Internet hat es schon 2005 die ersten Entwürfe von Herrn von Schubert und Herrn Sundermann gegeben. An den Feststellungen von damals hat sich nichts geändert. Insofern sprechen wir ein bisschen von altem Wein in neuen Schläuchen. Der Rennsport hat Teile dann im Verlauf der Verhandlungen mit Gala Coral und später RaceBets auch umgesetzt. Noch vor sechs Jahren tagte der 17-köpfige Vorstand des DVR e.V. mehrfach im Jahr und die Entscheidungswege waren sehr lang. Heute haben wir mit dem Präsidium, das zugleich die Beiräte bildet, eine deutlich schlankere und effektivere Struktur. Dennoch bestimmen die Interessengruppen die Entwicklung. Die Umsetzung von Anpassungen an den Markt, geschweige denn von Innovationen, kommt in der aktuellen Struktur nicht voran. Und dies liegt nicht an den handelnden Personen. Nur – wie soll bei den ganzen Doppel- und Dreifachfunktionen im Sport ein ehrenamtlicher Vorstand noch die Zeit dafür hernehmen? Außerdem wird den handelnden Personen immer ein Eigeninteresse unterstellt, so dass die Idee, Manager von außen zu holen, durchaus diskutabel ist.
GaloppOnline.de: Wobei dem immer entgegengehalten wird, das sei auch schon versucht worden und man müsse Detailkenntnisse des Sports haben.
Andreas Tiedtke: Die Materie selbst ist gar nicht so schwer, und wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Mit viel Aufwand, vor allem auch finanziell, haben viele Rennsportnationen die Lage analysiert, und sie ist ähnlich. Die McKinsey-Studie des amerikanischen Jockeyclubs sei allen zur Lektüre empfohlen.
GaloppOnline.de: In der was exakt steht?
Andreas Tiedtke: Die Kernpunkte sind die folgenden:
– die sogenannte Fan-Base bricht zusammen – mehr Stammbesucher und Wetter wandern ab als neue hinzukommen
– die Präsenz in den Medien ist zu gering für die Gewinnung neuer Sponsoren und Wetter
– die handelnden Personen in Zucht und bei den Besitzern überaltern und es fehlt die „next Generation“ bei dieser Gruppe
– das Freizeitverhalten hat sich zu mehr Event und kompakteren Veranstaltungen verändert
– der Anspruch der Besucher an die Angebote (Restaurants, Informationen, Unterhaltung) ist gestiegen
– der Glücksspielmarkt offeriert grenzenlos mehr und oftmals einfachere oder lukrativere Spielmöglichkeiten
– Das Internet ist treibender Faktor im geänderten Informations- und Freizeitverhalten
Auch in Deutschland gilt dies. Hinzu kommt noch ein Investitionsstau auf den Rennbahnen. Vergleicht man Bundesligastadien heute mit denen vor 30 Jahren, sieht man die Unterschiede. Die Abzüge bei den Wetten sind im Vergleich zum Wettbewerb zu hoch. Und so weiter und so weiter…
GaloppOnline.de: Das beschreibt die Probleme. Wie sieht die Lösung aus?
Andreas Tiedtke: Wenn die Probleme erkannt sind, dann sollten wir – vorausgesetzt man gibt Kompetenzen ab und findet sich mit weniger individueller Einflussnahme ab – die Projekte in die Hand eines professionellen Teams geben und dieses endlich einmal ungestört abarbeiten lassen. Wenn wir es Ernst meinen und alle bisherigen „grauen Eminenzen“ geben Kompetenzen ab, wird dies am besten mit Personen funktionieren, die von außen kommen und keiner Interessengruppe angehören. Das Beispiel RaceBets und von Herrn Germond bei der PMU zeigen das. Leider hat er das Unternehmen wieder verlassen. Insider behaupten, dass er mit dem Druck durch die Verbände im Hintergrund seine Ziele nicht hinreichend erreichbar ansah. So etwas gilt es durch eine klare und unabhängige Struktur zu verhindern.
GaloppOnline.de: RaceBets war ein Teilaspekt eines damals 3+1 genannten Konzeptes mit auch drei stationären Wett-Shops. Zwei sind realisiert worden, waren kein Erfolg. Woran lag das?
Andreas Tiedtke: Immerhin hat der Kölner Shop für den Kölner Rennverein e.V. eine extrem hohe Miete erwirtschaftet, aber richtigerweise muss man sagen, dass die Shops in Köln und Krefeld schon zu spät kamen. Es traf nicht nur die DVR Wettbetriebsgesellschaft, sondern auch viele Buchmacher mit ihren Läden. Die Anzahl der geschlossenen Läden, beziehungsweise die Ausrichtung mit neuem Schwerpunkt auf der Sportwette, dürfte dies zeigen. Wenn ein ordentlicher Familienbetrieb wie die Albers Hannover Gruppe in ein Insolvenzverfahren musste, dann zeigt dies die Schwierigkeit des stationären Geschäfts. Der Erkenntnisgewinn und das Lernen des Geschäftsmodells eines Buchmachers waren aber wichtig für den Sport.
GaloppOnline.de: Wie sehen Sie das Wettgeschäft in der Zukunft? Kann der Rennsport mehr und neue Einnahmen aus dem Wettgeschäft generieren?
Andreas Tiedtke: Ich glaube nicht, dass die Pferdewette allein auch nur ansatzweise wieder die Umsätze der 1990er Jahre erreichen wird. Aber wir können Marktanteile zurückgewinnen. Im Internet und mit den mobilen Applikationen kann man wachsen und eine Verknüpfung von Bahnwette, Internet und Mobil-Applikation z. B. über ein Kundenkonto, schafft Mehrwerte. So lernt man den Kunden kennen, kann ihn individuell ansprechen und spart auf die Dauer Transaktionskosten. Auch das ist erkannt und schon seit 2011 konzeptionell ausgearbeitet, aber leider mangels Geld und Kapazitäten nicht umgesetzt worden. Das ist ein Projekt für die professionelle Struktur, German Tote hat dies nun teilweise auch schon aufgegriffen.
GaloppOnline.de: Man muss aber ja auch an neue Kunden ran.
Andreas Tiedtke: Wenn dann der Kunde innovative Produkte erhält, dann kann man auch neue Wetter für die Pferdewette begeistern. Der deutsche Glücksspielkunde sucht den großen, „life changing“ Gewinn. Dies sieht man beim Lotto immer dann, wenn ein Jackpot ansteht. Trotz 50% Abzug und einer Chance von 1: 139 Millionen auf den Höchstgewinn spielen Millionen Menschen Lotto. Im Kleinen hat die Viererwette mit der Garantieauszahlung gezeigt, dass die Wetter auch bei der Pferdewette dies suchen. Warum nicht analog der Quinté plus ein vergleichbares Produkt? Bei der Viererwette wollte kein Rennverein das Risiko der Garantie tragen. Es waren Besitzer, die bei den ersten Tests dies abgedeckt hatten. Vielleicht besteht jetzt die Möglichkeit zur Anschubfinanzierung, bis sich selbsttragende Jackpot-Modelle entwickeln. Dafür muss der Vertrieb ausgeweitet werden. Vielleicht muss diese Wette eher als Sportwette und über deren ubiquitären Kanäle vermarktet werden?
GaloppOnline.de: Viel diskutiert wird im Zusammenhang mit dem Wetten immer das Thema der Abzüge.
Andreas Tiedtke: Die Abzüge sind in der Tat ein weiteres Thema. Schon 2007 hat man errechnet, was es im „worst Case“ kostet, die Abzüge auf damals 17% zu senken. Das finanzielle Risiko war überschaubar, aber es war kein Geld da, um den Rennvereinen eine Ausfallgarantie zu geben. Deshalb ist eine flächendeckende Senkung nie umgesetzt worden, obwohl die Beispiele in England und Frankreich zeigen, dass geringere Abzüge zu höheren Umsätzen führen, weil sich das Geld mehrfach „drehen“ kann.
GaloppOnline.de: Damit man wetten kann, muss es Rennen geben. Plädieren Sie für eine Ausweitung des Rennprogramms oder eine Reduzierung?
Andreas Tiedtke: Für eine radikale Umorientierung. Man hat Herrn Luiking auf der letzten BGG-Sitzung gefragt, warum wir unsere Bilder international nicht gewinnbringender vermarkten können. Die PMU-Renntage zeigen, dass es einen Bedarf an Content gibt. In Frankreich beginnt man mit einer Bahn früher am Tag und Südafrika hat ein Vermarktungsmodell dergestalt, zu Zeiten zu veranstalten, in denen in Europa noch nicht viele Rennen angeboten werden. Unser Problem ist, dass wir oft Ballungen von Renntagen haben und danach wieder Wochen mit nur ein-zwei Veranstaltungen. Das passt nicht in internationale Programme. Müssen wir darüber nachdenken, in der Woche jeden Tag von 11 bis 13:30 Uhr zu veranstalten, und nur die Top Rennen am Wochenende? Der internationalen Vermarktung würde es helfen. Für die Aktiven gäbe es mehr Rennen, weniger Überschneidungen, mehr Rennpreise und ein Renntag am Wochenende kommt, wenn der Deckungsbeitrag für die Rennverein unter der Woche erwirtschaftet wird, auch mit sieben bis acht Rennen aus.
Mehr Angebot wird auch die Nachfrage erhöhen. Dafür muss auch die Planbarkeit erhöht werden. Hier liegt Deutschland mit Weile hinter Ländern wie Großbritannien.
GaloppOnline.de: Wie beurteilen Sie die nun knapp anderthalbjährige intensive Zusammenarbeit mit PMU?
Andreas Tiedtke: Die Zusammenarbeit mit France Galop und Cheval Francais hinsichtlich der Renntage ist aus Sicht der Aktiven sicherlich gut, denn es erhöht das Rennpreisvolumen. Der Preis dafür sind die Terminierung und die Unregelmäßigkeit. Was die anderen Aspekte angeht: nun, da sehe ich wenig, meines Erachtens zu wenig. Innovation und Impulse? Ich sehe keine.
GaloppOnline.de: Was ist denn aus Ihrer Sicht das wesentliche Asset, welches der Rennsport hat? Also das Pfund, mit dem er wuchern können muss.
Andreas Tiedtke: Emotion pur. Was so einfach klingt, ist aber unser Asset. Menschen fiebern mit, wenn andere um Sieg und Niederlage kämpfen. Wir müssen es nur herüberbringen. Ein Skirennen wird heute mit 20 Kameras verfilmt. Wir hingegen liefern noch das „Schiedsrichterfernsehen“ mit den Einstellungen wie vor 30 Jahren. Ein weiteres Asset sind die handelnden Personen. Wir betreiben einen Sport, den auch die Queen, Fußballspieler, Schauspieler und viele andere Prominente zu ihrem Sport gemacht haben. Das lässt sich vermarkten. Warum nicht eine Werbe-Kampagne mit Philipp Lahm für sein Hobby?
GaloppOnline.de: Kostet Geld.
Andreas Tiedtke: Das Problem auch hier war bisher tatsächlich immer, dass alle Ideen stets an den Mitteln für die Umsetzung gescheitert sind. Vielleicht können wir einmal alle Marketingmaßnahmen bündeln und einen „großen Wurf“ wagen. Dafür reichen die Mittel der Rennvereine lokal nicht, und die Kompetenzen dafür kann es nur in einer zentralen Struktur geben. Die Live-Sendung mit der Unterstützung von RaceBets auf Sport 1 hat immerhin bis zu 300.000 Zuschauer erreicht. Leider musste sie mangels Geld wieder eingestellt werden. TV-Präsenz mit Live-Elementen ist das A und O für uns, die Emotionen zu transportieren.
GaloppOnline.de: Warum mahlen die Mühlen der Politik so langsam, was die Rennwettsteuer-Rückerstattung angeht? Die Politik scheint in einer starken Rolle zu sein, der Sport in einer schwachen. Hat man das teilweise vielleicht selbst verschuldet?
Andreas Tiedtke: Die Änderungen im Rennwett- und Lotteriegesetz 2012 haben leider das erreicht, was wir als DVR immer gesagt haben. Eine Überregulierung gegenüber der Sportwette ohne hinreichende Kompensation und ohne eine positive Ausgestaltung. Die Hoheit dafür liegt seit der Einführung der sogenannten „Öffnungsklausel“ bei den Ländern, und die sind unterschiedlich betroffen, beziehungsweise erhalten die Gelder, die unzweifelhaft gezahlt werden, nicht oder nur als Sportwettsteuer. Leider hat das Direktorium bei der Lobbyarbeit die Intensität nach der Beschlussfassung des Bundestages im Jahr 2012 erheblich reduziert. Die Gelder wurden anderweitig benötigt. Dies ist ein Fehler, und ein zweiter Fehler ist die Meinung, nur durch Gespräche etwas zu erreichen. Alle anderen Teilnehmer in diesem Markt klagen sich durch Instanzen und haben Erfolg damit. Auf meinen Vorschlag, ein paar Pferde vor dem Reichstag auf die Wiese zu stellen und damit mediale Aufmerksamkeit zu erzielen, wurde mir mitgeteilt, dass man solche Aktionen lieber Greenpeace überließe. Nun ja, wer den größeren Lobbyerfolg hat, mag jeder selbst beurteilen.
GaloppOnline.de: Der Dortmunder Abschlussrenntag 2016 war eine rundum gelungene Veranstaltung mit guter Stimmung. Schaffen Sie das, diese Stimmung durch den Winter zu tragen? Dass es auch im Winter Rennsportfans gibt, konnte jeder sehen.
Andreas Tiedtke: Der Termin passte gut. Viele hatten Urlaub, und die Championatsehrung war eine zusätzliche Attraktion. Wichtig sind Termine, die es Aktiven und Besuchern erlauben, die Rennen anzuschauen. Soweit wir es können, unterstützen wir dies, doch sind die Mittel im Winter sehr begrenzt für Marketing und Aktionen. Es hilft dem Rennverein natürlich auch nicht, wenn viele Menschen kommen, aber lieber mobil oder im Wettstar-Shop in den PMU Toto wetten als in den Dortmunder Toto. Der Unterschied liegt immerhin bei über 20 Prozent im Ertrag für den Rennverein. Insoweit werden wir, zusammen mit dem Direktorium und German Tote, versuchen, diesen Doppel-Totalisator zugunsten eines einheitlichen Pools abzuschaffen. Hier gibt es Gespräche mit der Politik in NRW, doch leider sind auch diese sehr zäh. Der Dortmunder Rennverein hat einen entsprechenden Antrag verfasst, der jedoch nicht beschieden ist. Vielleicht müssen wir unsere Rechte tatsächlich auch einmal einklagen.
GaloppOnline.de: Was planen Sie in Dortmund für den Rest des Winters?
Andreas Tiedtke: Für Dortmund wird es ab dem 21. Januar eine neue Gastronomie in der mittleren Glastribüne und der Kronenhalle geben, und wir hoffen, dass dies ein gutes Angebot sein wird. Auch die Installation einer permanenten Videowand im Zuschauerbereich wird kurzfristig geprüft. Wichtig ist für alle Planungen, auch diejenigen eines neuen Belages für die Sandbahn, dass auch Klarheit über die Termine und die Finanzierung der Winterrennen zumindest mittelfristig herrscht. Was hilft ein neues Geläuf, egal wo, wenn den Renntagen kein tragfähiges Geschäftsmodell zu Grunde liegt? Auch hier gilt es, dass der Rennverein dringend Planungssicherheit benötigt.