Es ist eine fast schon unglaubliche Geschichte, aber eine solche schreibt eben der Galopprennsport – immer wieder. „Aber ich bin doch nur ein kleines Licht im Rennsport“, antwortet Jens Böhm, als die Sport-Welt anlässlich der Veröffentlichung seiner Geschichte bei ihm nachfragt.
Vor ungefähr vier bis fünf Jahren gab es bei „Groupon“, eine Website, auf der Werbe-Aktionen angeboten werden, eine Offerte des Hannoveraner Rennvereins: Rennbahneintritt, Wettgutschein und ein Begrüßungs-Sekt zu einem lukrativen Preis. Dieses Angebot nahmen Jens Böhm, der damals nach seinem Studium seinen ersten Job in Hannover hatte, und seine Freunde wahr und kamen so zu ihrem ersten Besuch auf einer Galopprennbahn. Vorher hatte der gebürtige Stuttgarter, außer als Kind auf dem Bauernhof, absolut keine Berührungspunkte mit Pferden, geschweige denn mit Rennpferden gehabt. Aber er war sofort Feuer und Flamme für die muskulösen Hochleistungssportler: „Wir haben mindestens in jedem zweiten Rennen einen kleinen Einsatz von ein oder zwei Euro gewettet. Somit konnten wir immer unsere Favoriten anfeuern, und ich hatte sogar leichtes Herzklopfen, da es immer wieder auf ein Neues spannend war. Eigentlich ist es schon fast verrückt, dass man mit einem kleinen Einsatz so viel Adrenalin freisetzen kann. Die Zeit auf der Rennbahn verging wie im Flug, aber für uns stand definitiv fest, dass wir wiederkommen. Es ist einfach eine ideale Alternative zu einem normalen Sonntag.“ Nach mehrfachen und intensiveren Rennbahnbesuchen, auch ohne Groupon, konnte Jens Böhm auch Freunde und seine Eltern für den Galopprennsport begeistern. Somit wurde er automatisch zum Botschafter für diesen Hochleistungssport.
Mitgliedschaft bei GRNG
„Da ich immer mehr über den Rennsport wissen wollte, habe ich mich intensiv im Internet darüber informiert. In dieser Zeit bin ich auch auf die Nachwuchsorganisation im Galopprennsport, German Racing Next Generation (GRNG), aufmerksam geworden. Junge Leute, die Freude am Rennsport haben und sich für den Erhalt einsetzen. Das fand ich klasse und wurde Mitglied. Für einen moderaten Beitrag konnte ich näher dran sein – das war der perfekte Einstieg“, erzählt Jens Böhm. Mit GRNG fuhr der heute 37-Jährige dann auch auf andere Rennbahnen und erlebte unter anderem hochklassige Rennen mit, die, wie er es beschreibt, eine magische Stimmung erzeugen: „Vor dem Rennen ist Stille, dann gehen die Startboxen auf, die Anfeuerungsrufe beginnen und wenn die Pferde am Publikum vorbeisprinten, ist der Geräuschpegel mitunter ohrenbetäubend.“
Erste Beteiligung
Vor drei Jahren saß Jens Böhm bei der Weihnachtsfeier von GRNG neben Christoph Holschbach, dem Besitzer aus Düsseldorf, der ihn im Laufe des Abends fragte, ob er nicht an einer Beteiligung an einem seiner Pferde Interesse habe. „Wir vereinbarten einen Besuch im Stall und ich entschied mich, bei der Stute Egara mit einzusteigen. Es war wahnsinnig spannend und wir fieberten der Saison entgegen. Der erste Start im April 2016 ging leider in die Hose. Man ging mit hohen Erwartungen ins Rennen und wurde enttäuscht“, blickt der damalige Teilhaber von Egara zurück. Anschließend lief die dreijährige Stute erst wieder im Sommer. Das war für einen Neuling wie Jens Böhm natürlich eine lange Zeit, um auf den nächsten Start zu warten. Beim vierten Start für die Besitzergemeinschaft legte Egara aber in Le Touquet ihre Maidenschaft ab, worauf alle glücklich waren. Allerdings waren die Gesichter nicht lange fröhlich, denn beim nächsten Start wurde Egara in einem Verkaufsrennen geclaimt. Somit war Jens Böhm ohne Pferd.
Neues eigenes Pferd
Da Jens Böhm vom „Virus Galopprennsport“ erwischt worden war, blieb er nach der Enttäuschung des Verkaufs von Egara trotzdem dem Rennsport erhalten. Im BBAG Auktions-Katalog sah er, dass Pic A Sou angeboten werden sollte. Den Wallach kannte er noch aus dem Stall von Henk Grewe, denn auch er war eines der Pferde, die damals zur Auswahl für die Teilhaberschaft standen. Jens Böhm einigte sich mit Christoph Holschbach auf einen Preis und konnte sich stolzer Besitzer seines ersten eigenen Rennpferds nennen. Pic A Sou kam ins Training nach Iffezheim zu Gerald Geisler. Von Esslingen aus, wo Jens Böhm inzwischen wohnt, sind es knapp 120 Kilometer, die er einmal im Monat zurücklegt, um sein Pferd zu besuchen. „Sein erster Start in Wissembourg mit einem vierten Platz war super, aber von da an wurden wir vom Pech verfolgt. Obwohl er in der Arbeit immer gute Leistungen zeigte, ging im Rennen immer irgendetwas schief. Einmal verlor er ein Eisen, ein anderes Mal fiel sein Reiter im vorherigen Rennen runter, worauf wir uns kurzfristig um einen anderen Jockey bemühen mussten, der dann aber die Order nicht einhielt. Also wirklich ein Jahr, das mit so viel Pech Spuren bei mir hinterlassen hat. Mein Trainer Gerald Geisler wollte es mir aber unbedingt beweisen, dass seine Leistungen so nicht stimmen können. Also verpachtete ich ihm Pic A Sou“, so musste Jens Böhm schon früh erfahren, dass es auch Zeiten im Rennsport gibt, in denen nicht alles so glatt läuft. Über Winter durfte Pic A Sou sich etwas ausruhen und weiterentwickeln: „Da er mit drei Jahren immer noch ein großes Baby war.“
Große Erleichterung
Beim dritten Start in diesem Jahr kam Pic A Sou schließlich in den Farben des Stalles Hernstein zu seinem ersten Sieg. Jens Böhm war in Hassloch live vor Ort, obwohl er sich sonst immer gewundert hat, warum die Trainer auch zu den kleineren Rennbahnen fahren, bei denen die Rennpreise nicht so hoch sind wie auf größeren Rennbahnen. Ab dem Zeitpunkt wusste er es: „Ich war wirklich beeindruckt, wie herzlich die Menschen dort waren. Die super Atmosphäre und die ehrenamtlichen Helfer, für die dieser Renntag das Highlight des Jahres war. Dann kam natürlich noch mein persönlicher Höhepunkt dazu, als Pic A Sou als Erster ins Ziel kam. Auch wenn es nicht in meinen Rennfarben war, hatte ich trotzdem Tränen in den Augen, denn er war und ist mein Herzenspferd. Obwohl es sich nur um ein Rennen für Sieglose handelte, waren die Emotionen unglaublich groß“, konnte Jens Böhm auch wieder die schönen Seiten des Rennsports erleben. Nach dem nächsten Start, einem Sieg hoben Gerald Geisler und Jens Böhm den Pachtungsvertrag wieder auf.
Pech kam zurück
„Eigentlich ist es fast unglaublich, aber als Pic A Sou wieder in meinen Farben lief, kam das Pech sozusagen zurück. Dreimal kam er in diesem Jahr noch an den Start – unter anderem auch einmal mit Anja Allgöwer im Sattel. Ich ermöglichte ihr den ersten Ritt im Rennen und förderte somit den Nachwuchs im Rennsport- Einmal verdiente er Geld, bevor er sich einen Sehnenschaden zuzog“, so ein frustrierter Jens Böhm. Da der 37-Jährige aber nun die Verantwortung für dieses Pferd hatte, entschied er sich dazu, ihn zu behalten und alles zu versuchen, dass er wieder gesund wird. „Mir ist bewusst, dass es eine Menge Geld und Zeit kosten wird und es selbst dann noch nicht einmal sicher ist, ob er wieder eine Rennbahn betreten wird. Aber ich hatte mir eigentlich noch viele schöne Jahre mit ihm vorgestellt, deswegen möchte ich es zumindest versuchen. Ich würde mir sehr wünschen, dass ich ihn noch einmal auf der Rennbahn sehen könnte. Und wenn es nicht klappen sollte, werde ich für ihn einen schönen Platz als Reitpferd suchen“, erzählt Jens Böhm. „Ich werde dem Rennsport auf jeden Fall erhalten bleiben. Auch wenn ich vor fünf Jahren noch nicht einmal wusste, dass es den Galopprennsport überhaupt gibt, kann ich mir heute ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen. Ich lerne immer mehr Leute kennen und sammle dadurch auch viele Erfahrungen. Man muss vielleicht noch mehr an die Öffentlichkeit bringen, dass es wirklich ein Sport für jeden ist“, stellt Jens Böhm, der auf eine ungewöhnliche Art und Weise zum Rennsport gekommen und total froh darüber ist, zum Abschluss noch einmal fest.