Ein Besuch bei Night Wish in der Normandie

Die grauen Wolken hängen schwer über der Landschaft, als wir durch die Normandie fahren. Das Ziel: das Haras de Montaigu im Örtchen Nonant-Le-Pin, rund 115 Kilometer von Bayeux gelegen. Wir haben uns aus der Bretagne kommend auf den Weg weiter östlich gemacht. Gut drei Stunden dauert die Autofahrt. Vorbei an Argentan und seiner Rennbahn und dem Haras du Pin, einem der größten französischen Nationalgestüte. Angekommen in der Normandie wird klar: wir sind im Pferdeland. Koppeln, Höfe und kleinere Gestüte liegen am Wegesrand, eine schmale, fast unscheinbare Einfahrt führt uns schließlich zum Zielort, den wir bewusst ausgewählt haben, denn schließlich deckt hier der aus Etzeaner Zucht stammende Night Wish. Der Sholokhov-Sohn, der in Salzburger Farben unter der Regie von Sarah Steinberg 2016 mit seinem Sieg im Grand Prix de Vichy zum Gruppesieger avancierte, geht in seine zweite Saison als Stallion. Er ist einer von sechs Deckhengsten im traditionsreichen Gestüt.  

Gestüt in fünfter Generation
Um die Mittagszeit herrscht Ruhe im Haras de Montaigu, doch im Büro werden wir von Ciara O’Connor, der Gestüts-Assistentin erwartet. „Ihr wollt also Night Wish sehen?“, begrüßt sie uns herzlich. „Leider ist das Wetter nicht perfekt, aber so ist das nun mal hier“, sagt sie, verweist aber auch darauf, dass es selbst für die Normandie und diese Jahreszeit schon ungewöhnlich lange regnerisch ist. „Generell herrscht hier jedoch bestes Klima für die Pferdezucht. Die Winter sind zwar kalt, aber trocken. Eis und Schnee gibt es hier kaum.“
Das Haras ist beschaulich mit seinen für diese Gegend typischen Natursteinbauten. „Das Haras de Montaigu wurde 1903 von dem Parfümeur Gabriel Guerlain gegründet“, gibt Ciara O’Connor einen Einblick in die über 100-jährige Historie des Gestüts. Das Land und die Gebäude kaufte Guerlain seinerzeit vom Duc de Narbonne. Neben dem Pferdeduft liegt hier also noch eine ganz exklusive Note in der Luft, auch wenn Amber und Vanille Heu und Stroh gewichen sind. „Als Gabriel 1933 verstarb, übernahm sein Sohn Jacques. Er verkaufte einige der Mutterstuten und ersetzte sie durch englische Mütter, um das Blut der Zucht aufzufrischen. Jacques wollte das Gestüt an seinen Sohn Pierre übergeben, doch dieser fiel im Krieg im Jahr 1940“, so O’Connor weiter. Danach übernahm dann Claude, ein weiterer Sohn des Gründers, die Geschicke. Er züchtete u. a. Rescousse, die Prix de Diane-Siegerin und Zweitplatzierte aus dem „Arc“, beides im Jahr 1972, die in den Farben von Baron de Rede lief. Seit 1984 führt nun Claudes Tochter Aliette Forien, die die Übergabe an ihre Tochter Sybille Gibson und damit an die fünfte Generation bereits weitestgehend lanciert hat, das Gestüt. Sie war es auch, die entschied, das Gestüt weiter zu kommerzialisieren. Seit 2015 läuft es unter dem Namen Haras de Montaigu und Haras de la Reboursiere. Wobei das Haras de Montaigu die Hengste beheimatet, während das Haras de la Reboursiere die private Scholle von Aliette und Gilles Forien ist.

Außerdem tritt der Name „Montaigu“ nun zumeist bei den Auktionen als Anbieter auf, und das mit Erfolg. 2006 brachte ein Poliglote-Jährlingshengst aus der Nouvelle Reine auf der dreitägigen Jährlingsauktion von Deauville den Höchstpreis von 200.000 Euro. Nouvelle Reine, die eine beim verstorbenen Peter Hess höchst erfolgreiche Linie vertritt, wurde 2002 nach Frankreich ausgeführt. In Deutschland hat sie Nobilissima und Nouvelle Fortune gebracht, ist Großmutter von Nouvelle Noblesse. Und im vergangenen Jahr wurde aus dem Angebot des Haras de Montaigu eine von Kingman stammende Halbschwester des Epsom Derby-Siegers und neuen Montaigu-Stallions Wings Of Eagles für 750.000 Euro Qatar Racing und einer chinesische Investorengruppe zugeschlagen.
Einer der ersten großen Klienten war jedoch in den 80er Jahren Jean-François Gribomont, der den mittlerweile ebenfalls auf Montaigu deckenden Prince Gibraltar, Sieger im Großen Preis von Baden 2015, züchtete. Im Zuge der Kommerzialisierung folgte letztlich dann 2016 auch Night Wish. „Ein interessanter Cross“, sagt Ciara O’Connor. „Ein Sholokhov-Sohn aus einer Monsun-Mutter. Das macht ihn besonders für die Züchter von Hindernispferden attraktiv“, sagt sie und hat dann eine Überraschung für uns. „Vor einem Monat ist ein Night Wish-Hengstfohlen aus der Le Havre-Tochter Shoeless zu Welt gekommen. Ich zeige ihn euch.“ Wir gehen vor die Tür. „Er sieht nicht wirklich aus wie sein Vater“, scherzt O’Connor. „Die Mutter ist ein Schimmel, da weiß man nie genau, was dabei rauskommt. Ich denke, der Kleine bleibt ein Fuchs.“ Das Fohlen hat Temperament. Es steigt am Führzügel seiner Pflegerin. Die Mutter ist da wesentlich gelassener.

Night Wish gut beschäftigt
Aber nun wollen wir Night Wish, den Bruder der Klasse-Stute Night Magic, endlich sehen, dafür sind wir mehr als 250 Kilometer gefahren, müssen aber erst einmal wieder ins Auto und verlassen das Hauptgestüt. Über eine enge Straße fahren wir rund fünf Minuten zu den Hengste-Ställen. „Es ist alles etwas verteilt hier“, erklärt uns Ciara O’Connor die Kartografie des gut 180 Hektar großen Geländes. Als wir ankommen, ist alles vorbereitet und Night Wish wird uns präsentiert. Er macht einen gelassenen Eindruck. „Schon als er bei uns ankam, war er lammfromm. Daran hat sich nichts geändert. Zu Beginn war er sogar ein wenig ängstlich.“ Das hat der Sholokhov-Sohn längst abgelegt und zeigt sich uns in bester Laune und Verfassung. „Mental weiß er, wer er hier ist“, beschreibt O’Connor die Psyche des aus der Night Woman stammenden Stallions, der in seinem ersten Jahr auf Montaigu 65 Stuten deckte und es in dieser Saison wieder auf über 50 Bedeckungen bringen wird. Eine ordentliche Zahl. Unter den Kunden ist dabei auch das Gestüt Etzean. „Sie haben Zuchtrecht“, sagt Ciara O’Connor. In diesem Jahr war man mit der Lord of England-Tochter Tesia in der Normandie, 2017 war man mit der ebenfalls von Lord of England-Tochter stammenden Pastis dort. Aber auch heimische Stuten werden, wie Shoeless, von Night Wish gedeckt. Hinzu kommen rund 30 Mutterstuten von außerhalb, die während der Decksaison im Haras, das rund 60 eigene Stuten besitzt, Quartier beziehen. „Wollt ihr ein Foto mit ihm machen?“, fragt die Gestüts-Assistentin. Gesagt, getan und Night Wish hat wieder Ruhe vor uns. Er wird zurück in seine Box und zu seinem „Freund“ und Boxennachbarn, einem altgedienten Hindernispferd, geführt. Seine Box befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Deckhalle. „Hier longieren wir die Hengste täglich. Sie müssen physisch fit bleiben. Dazu gehen sie natürlich auch auf die Koppel und wir spazieren viel mit ihnen.“

Epsom-Sieger vor erster Saison
Gerade ist Night Wish weg, da kommt mit dem bereits kurz erwähnten Wings Of Eagles der noch amtierende Epsom Derby-Sieger um die Ecke. Der hier geborene Pour Moi-Sohn deckt sein erstes Jahr, sieht noch aus wie ein richtiges Rennpferd. „80 Stuten wird er decken. Hauptsächlich französische“, berichtet O’Connor. „Wir sind sehr froh, ihn wieder hier zu haben. Er wurde von Aliette und Gilles Forien gezogen.“ Der Pour Moi-Sohn, der das Derby unter der Regie von Aidan O’Brien als langer Außenseiter gewinnen konnte, ist der erste Epsom-Sieger aus französischer Aufzucht seit 52 Jahren, seit Sea Bird, der in Frankreich deckte. „Eine echte Bereicherung. Er macht alles super mit und hat einen tollen Charakter“, beschreibt O’Connor den vierjährigen Stallion-Novizen, der seine Rennkarriere auf Grund einer Verletzung nicht fortsetzen konnte. „Im Irish Derby hat er sich verletzt, wurde aber immer noch sehr guter Dritter“, berichtet O’Connor über das Eigengewächs, dessen zweite Mutter im Übrigen Rotina, eine Vertreterin einer „Reboursiere-Familie“, ist. Sie brachte u. a. die Prix Saint Alary-Siegerin Belle Et Celebre. Wings Of Eagles‘ Mutter Ysoldina stammt von Kendor, der einst den Aufschwung des Gestüts mit begründete. 2017 trat der prominente Kenmare-Sohn, der 33 Stakes-Sieger brachte, im Alter von 21 Jahren ab. Wings Of Eagles ist also ein waschechtes Eigengewächs im Gestüt, der die Geschichte seiner Familie nun fortsetzen soll. Mit dem 14-jährigen Literato hat man zudem einen Kendor-Sohn als Deckhengst. Die Zukunft der erfolgreichen Familien ist somit gesichert.
Hinzu kommt dann frisches Blut, wie durch Night Wish, aber auch durch Prince Gibraltar. Er machte in Deutschland Schlagzeilen, als er vor drei Jahren den Badener Grand Prix gewinnen konnte. Seine rechte Schwester, die mittlerweile in den USA aktive Princess Gibraltar, gewann in Dortmund den Großen Preis der Sparkasse auf Listenparkett. Prince Gibraltar hat seine ersten Jährlinge, sie sind ganz der Vater. 50 Stuten umfasst Prince Gibraltars Buch für dieses Jahr, auch das sind gute Zahlen, mit denen man im Gestüt zufrieden ist. „In ein paar Tagen kommen Vertreter von Arqana vorbei und begutachten die Jährlinge. Bis dahin haben sie auch ihr Winterfell abgelegt und sehen besser aus“, sagt O’Connor mit einem Augenzwinkern. „Arqana entscheidet dann, welche Jährlinge sie auf welche Auktionen nehmen werden. Wir können Vorschläge machen.“ Insgesamt könnten rund 60 Jährlinge im Auktionsring erscheinen. Ob der aus der Prairie City stammende Jährlings-Hengst, den man uns auf einem anderen Hof zeigt, dabei sein wird, ist jedoch fraglich. „Das entscheidet sein Züchter Hans-Georg Stihl.“ Auf den Auktionen haben dann auch immer wieder deutsche Käufer ein Auge auf die Pferde des Haras de Montaigu geworfen. Aus ihrer Zucht sind hierzulande wohl Mario Hofers ehemals für den Stall Antanando trainierte Gruppe-Siegerin Princess Asta und der bis vor kurzem von Michael Figge vorbereitete Listensieger Shutterbug die prominentesten Namen.

Martaline der „Grandseigneur“
Während Night Wish, Wings Of Eagles und Prince Gibraltar relativ oder ganz am Anfang ihrer zweiten Karriere stehen, ist ein Pferd schon längst über alle Zweifel erhaben. Der aktuell noch erfolgreichste Deckengst ist der Linamix-Sohn Martaline. 19 Jahre ist der Schimmel bereits alt. „Wir haben ihn daher auf 120 Stuten reduziert“, erklärt O’Connor. Er ist der Vater der Champion-Stute Kotkikova, die u. a. den zur Gruppe I zählenden Prix Ferdinand Dufaure gewinnen konnte. Aber auch Dynaste als Sieger der Ryanair Chase und Very Good, der das Albert Bartlett Novices‘ Hurdle gewinnen konnte, holten Gruppe I-Lorbeer für ihren Vater. Einen potenziellen Nachfolger für den „Grandseigneur“ Martaline, der 2015 Champion-Sire der Hindernispferde in Frankreich wurde, hofft man in No Risk At All gefunden zu haben. „Seit er im Gestüt ist, also seit 2013, hat er jedes Jahr mehr als 130 Stuten gedeckt“, kann O’Connor über den My Risk-Sohn, der ein Bruder des Champion Nickname ist, berichten.

No Risk At All wird seine Duftmarke setzen, da ist man sich relativ sicher. Gleiches gilt für Night Wish, Prince Gibraltar und Wings Of Eagles, die damit ganz in der Tradition des Gestütsgründers und Meister der Düfte Gabriel Guerlain stehen werden. Wir verlassen das Haras de Montaigu, der Himmel ist nach wie vor grau. Der Weg führt uns nach Bayeux. Tags drauf strahlt die Sonne – so schnell kann es in der Normandie manchmal gehen.

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