Graham Lee: der „einmalige“ Jockey

Vor wenigen Wochen sorgte in Frankreich ein Ereignis für Aufsehen, das über den üblichen Tellerrand eines nackten Resultates hinaus ging. Da hatte doch tatsächlich ein junger Mann, der 2014 Champion der französischen Hindernisjockeys war, im Sattel von Khalid Abdullahs New Bay das französische Derby gewonnen. Keine drei Wochen später spielte sich in England ähnliches ab. Im weltberühmten Gold Cup während des Royal Ascot Meeting und somit jenem Gruppe I-Marathon, den die englischen Turffans vom Prestige her mindestens auf einer Stufe mit dem Epsom Derby oder den King George VI and Queen Elizabeth Stakes stellen, saß im Sattel des Siegers Trip to Paris mit Graham Lee ein Jockey, der noch vor wenigen Jahren auf der Insel mit Hindernispferden­ die Sprünge in Cheltenham, Aintree oder Uttoxeter meisterte. Höhepunkt seiner Hinderniskarriere war der Erfolg im weltberühmten Grand National von Aintree 2004 auf Amberleigh House. Er gewann auch das Triumph Hurdle während Cheltenham und wurde beim renommierten Hindernismeeting 2005 sogar Meetings-Champion. Das Grand National und den Gold Cup in Royal Ascot zu gewinnen, in der Tat darf man dieses Double als Einmaligkeit bezeichnen.

Ein Unfall leitet Kehrtwende ein
Dass der 1975 im irischen Galway geborene Graham Lee seine ganz gewiss nicht erfolgsarme Karriere als Hindernisreiter beendete, lag an den Folgen eines Unfalls, einer von vielen. Doch der im Jahre 2012 sollte eine entscheidende Wende in seinem Leben einleiten. Während seiner Genesung verlor er spürbar an Gewicht und war plötzlich einfach zu leicht für den Hindernissport. Da traf er eine, wie sich inzwischen herausgestellt hat, grandiose Entscheidung. Er sattelte um, wechselte ins Lager der Flachjockeys und schließlich gelang es ihm, sich binnen weniger Jahre in der gewiss breiten und anspruchsvollen Jockeyphalanx Englands nach oben zu dienen. Der Triumph im Gold Cup am letzten Donnerstag in Royal Ascot ist der vorläufige Kulminationspunkt der so außergewöhnlichen Karriere von Graham Lee.

Auf seinen ungewöhnlichen Schritt hatte aber auch Englands Hindernisreiter-Legende Tony McCoy keinen geringen Einfluss gehabt. Dass leichtere oder auch schwerere Verletzungen zum Berufsbild des Hindernisreiters gehören, davon konnte auch Graham Lee ein Lied singen. Arm- Bein, Kiefer oder Schlüsselbeinbrüche trafen auch ihn, doch nach einer schweren Hüftverletzung Anfang 2012 geriet er etwas ins Grübeln. Zumal er sich an den Ratschlag seines Kollegen Tony McCoy erinnerte. Er hatte zu Lee gesagt, dass er im Grunde ein zu leichtes Gewicht für den Hindernissport mitbrächte und doch als Flachjockey weitermachen solle. Doch damals war Graham Lee noch nicht so weit. Er fürchtete sich vor der öffentlichen Reaktion, hatte Angst davor, dass man ihm nachsagen würde, er habe seinen Mumm verloren.  Doch nun, als er im Februar 2012 wieder vollgepumpt mit Schmerzmitteln im Krankenhaus lag, nahm er sein Herz in die Hand und beschloss als Flachjockey weiterzumachen.

Bei null anfangen
Der der damals 36-Jährige musste praktisch bei null anfangen. Als er aus dem Krankenhaus kam, wog er nur noch 55 Kilogramm, statt seines üblichen Reitgewichts von knapp 63 Kilo.  Sein Agent wurde Richard Hales, zu dessen Kunden zählt auch der zweifache britische Championjockey und jetzige Stalljockey von Hamdan Al Maktoum, Paul Hanagan. Große Unterstützung zu Beginn erhielt Lee von George Duffield, der selbst mehr als 2.500 Siege auf der Flachen erzielte. Graham Lee stellte sich auf die völlig neuen Bedingungen in Flachrennen schnell sehr gut ein. Auch in den Sprints oder Zweijährigen-Rennen, in denen man blitzschnell reagieren muss, machte er eine gute Figur. 2012 gewann er mit dem von George Duffields Ehefrau Ann trainierten zweijährigen Willie The Whipper gleich zwei Rennen, darunter auch ein Listenrennen in Pontefract. Sein erstes Rennen hatte Lee bereits Anfang Mai im schottischen Musselburgh mit dem Außenseiter Northern Fling für Trainer Jim Goldie gewonnen.

„Grand National-Siegreiter gewinnt auf der Flachen“ wurde schon in seiner ersten Saison zur regelmäßigen Schlagzeile. Er verbuchte stolze 108 Siege, verdiente seinen Besitzern rund 780.000 Pfund Preisgeld. 2013 lief es noch besser: 127 Siege, rund 1,23 Millionen Pfund Preisgeld lautete die eindrucksvolle Bilanz. Diese konnte er in der Saison 2014 sogar noch steigern. Er hatte sich also schnell ganz oben etabliert. Auch wenn viel Basissport dabei war, es gab auch einige sportliche Highlights, allen voran natürlich die beiden Gruppe III-Siege mit dem vierjährigen Jack Dexter in Newcastle für Trainer Jim Goldie und mit der fünfjährigen Stute Ladies Are Forever  in York, als man die von Dominik Moser betreute Gracia Directa in Schach hielt. Zur Presse meinte er während eines Renntages: „Das Schöne an meinem Job ist doch, dass selbst, wenn etwas schief läuft, man eine halbe Stunde wieder eine neue Chance bekommt, alles richtig zu machen.“

In Royal Ascot hatte er keine Chance, vor seinem Triumph im Gold Cup irgendetwas falsch zu machen. Es war sein erster Ritt an diesem dritten Royal-Ascot-Tag, später streifte er sich sogar den Dress der Queen über. Ohne späteren Erfolg. Unverändert ist er als Freelancer tätig. Doch auch dies sieht der Ire positiv: „Es gibt nicht viele Jobs bei den großen Ställen, und es gibt schlimmere Dinge, als ein gefragter Freelancer zu sein.“ Vielleicht wäre er sonst gar nicht zu seinem so einmaligen Royal-Ascot-Gold-Cup-Triumph für Trainer Ed Dunlop gekommen.

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