Bocskais: Die Senkrecht-starter in der Schweiz

Die Generalprobe in Neuss war am vergangenen Samstag erfolgreich verlaufen. Jetzt heißt es beim Schnee-Meeting in St. Moritz am 6., 13. und 20. Februar das umzusetzen, was sich die in Zürich-Dielsdorf tätige Carmen Bocskai mit ihren Pferden vorgestellt hat. Fünf Pferde sollen dann Werbung machen für ihren Stall in Dielsdorf, der sich im vergangenen Jahr in der absoluten Spitzengruppe der Schweizer Szene etabliert und die Saison 2004 als Nummer drei hinter den seit Jahrzehnten dominierenden Quartieren von Kurt Schafflützel und Miro Weiss abgeschlossen hatte.

Die 35-jährige hat die Schweizer Trainer-Szene ohne Zweifel belebt. Zwanzig Rennen in der Schweiz haben ihre Pferde im letzten Jahr gewonnen, was den dritten Platz in der Abschluss-Statistik ausmachte. Zählt man die drei Auslandstreffer hinzu, wäre man sogar Zweiter geworden. Und das nach einer Saison, in der gerade einmal zwölf bis dreizehn Pferde zur Verfügung standen, nachdem man das erste volle Rennjahr in der Schweiz mit acht Pferden begonnen hatte.

Mit den Erfolgen erhöhte sich allmählich das Kontingent, doch die Anzahl an Pferden, über die ihre Konkurrenten Schafflützel und Weiss verfügten, wies der Stall von Carmen Bocskai nie auf. Gestartet wurde in fünf Ländern. Neben der Heimat liefen ihre Pferde in Österreich, Italien, Frankreich und Deutschland. Auffallend sowohl national als auch international der ausgezeichnete Schnitt im Verhältnis von Startern zu Siegen, der bei 27- bzw. 22 Prozent lag.

Während es für Carmen Bocskai „nur“ zu Platz drei unter den Trainern reichte, holte sich Ehemann Georg mit 17 Siegen bei gerade einmal 64 Ritten das Championat. Einen Titel, den er in Deutschland in den Jahren 1978 (110 Siege als Lehrling!), 1984, 1985 und 1989 bereits in Deutschland vier Mal gewonnen hatte. Die meisten seiner siebzehn Erfolge erzielte er auf Pferden, die seine Ehefrau trainierte. Hin und wieder gab es eine Anfrage eines Besitzertrainers, doch die großen Namen schienen ihn regelrecht zu boykottieren. Selbst, wenn ein Besitzer den Wunsch geäußert hatte, sein Pferd von Georg Bocskai reiten zu lassen, wurde dies letztendlich verhindert.

„Dabei muss man doch offen mit den Besitzern sprechen und auf deren Wünsche eingehen“, erklärt Carmen Bocskai, zu der inzwischen einige Eigner Pferde gestellt haben, die die Nase voll hatten vom Schweizer Rennsport und ihm den Rücken gekehrt hatten. Der Stall hat sich mittlerweile gefüllt, derzeit werden 25 Pferde betreut. Mit steigender Tendenz, denn täglich erhält sie Anrufe, in denen um eine Boxe gebeten wird. „Wer zuerst kommt, ist zuerst dran“, kommentiert die Trainerin die ihr nicht unliebsame Entwicklung.

Kapazitäten für 38 Pferde werden es eines Tages sein, wenn die ihr vorschwebenden Pläne in die Tat umgesetzt worden sind. So reißt Paul Baumgartner, Besitzer des Stall-Cracks Song Writer, auf eigene Kosten einen Stalltrakt ab und baut ihn wieder neu auf. Aus 25 Boxen entstehen 19 größere sowie ein großer Stroh- und Heuraum. Im hinteren Stallbereich will Carmen Bocskai sechs Boxen in Auslaufboxen umgestaltet, was sich bei diffizilen Pferden, die auf diese Weise mehr Sozialkontakt haben, sehr häufig positiv ausgezahlt hat.

„Die Pferde haben praktisch ihren eigenen Garten, wir haben damit bei unserem Spanien-Aufenthalt nur gute Erfahrungen gemacht.“ Gute Erfahrungen machen die Dielsdorfer Trainer mit der neu hergerichteten Sandbahn, die sich in einem Top-Zustand befindet und deutlich bessere Bedingungen für die Pferde bietet. „Die Pferde können sich flach strecken. Durch ein Vlies-Textilgemisch haben sie immer Griff“, erhält die in einer mehrere Monate andauernden Bauphase neugestaltete Bahn Lob, auf der auch die vier Pferde gearbeitet wurden, die sich am Samstag in Neuss präsentierten. Verbunden war der erste Deutschland-Abstecher wie im Vorjahr, als Song Writer im April in München gewann, erneut mit einem Sieg. Dem ersten diesjährigen für einen Schweizer Trainer.

„Mit einer Schweizer Lizenz bin ich Schweizer Trainer“, meint Carmen Bocskai dazu. Verantwortlich zeichnete der Neuankauf Encanto, der somit einen gelungenen Einstand für Anton Kräuliger, den Präsidenten des Rennsport-Verbandes Galopp Schweiz, hinlegte. Er soll zusammen mit dem in Neuss unter Wert gelaufenen Taypan („muss vorne gehen, wenn er dort ist, kämpft er wie ein Löwe“) am ersten und dritten Meetings-Tag über 1100 Meter starten.

Encanto hat dann wie in Neuss Georg Bocskai im Sattel, der ihn damals im Dezember in Ravensberg getestet und anschließend auch für die neuen Interessen gekauft hatte. Wieder einmal hatten sich die noch immer ausgezeichneten Verbindungen, die der Jockey während seiner vielen Jahre in Deutschland bei Fährhof und Schlernderhan geküpft hatte, bezahlt.

Durch einen Tipp von Simon Stokes kam man auf Encanto, der bei Peter Raus Nachfolger in Gütersloh, Andreas Wöhler, auf der Trainingsliste stand. „Herr Kräuliger wollte ein Pferd, das in St. Moritz die Fliegerrennen bestreitet sowie anschließend in der Schweiz und später in Baden-Baden auch in Prüfungen über die Meile zum Einsatz kommen kann. In ihm scheinen wir das richtige Pferd gefunden zu haben“, erklärt die Trainerin.

„Uns ist an einem vernünftigen Preis/Leistungsverhältnis gelegen. Dazu nutzen wir die guten Kontakte, die wir im Laufe der Jahre zu Besitzern und Gestüten in Deutschland aufgebaut haben“, ergänzt sie. Der neue Eigner soll am nächsten Tag bei der Veranstaltung in Arosa die DVD vom Sieg mit viel Freude entgegengenommen haben.

Während Georg Bocskai unmittelbar nach seinen beiden Siegen die Heimreise in die Schweiz mit dem Nachtzug antrat, musste Carmen das Quartett selbst nach Zürich chauffieren. „Wir waren um 5 Uhr in der Frühe zu Hause und sind dann gleich in den Stall gegangen. Gott sei Dank hat sich die Reise gelohnt“, erklärte die Trainerin, die sich auch mit den Platzierungen von Night Symphony und Rotango, die jeweils Platz zwei belegten, einverstanden zeigte.

Night Symphony soll auf Wunsch der Besitzer im Grand Prix starten, aber erst ein Vorbereitungsrennen am ersten Wochenende über 1800 Meter bestreiten. Erfüllt sie die Erwartungen, wird der Grand Prix angesteuert. „Die Distanz kann sie mit Sicherheit, schafft vielleicht nicht die 3300 Meter wie die Mutter Night Music, die für Andreas Wöhler fünf Rennen in Folge gewann, darunter auch einen Ausgleich I über die 3300 Meter“, äußert sich Carmen Bocskai zu der Stute, die eigentlich für die Zucht gekauft worden war, doch „noch einmal eine Chance auf der Rennbahn erhalten sollte, da sie so gut gearbeitet hatte.“

Rotango ist ein Kandidat für das Fegentri-Rennen. Man hätte gerne den Dortmunder Oliver Sauer verpflichtet, doch dessen Dienste hatte sich bereits Miro Weiss gesichert, worauf der Engländer David Dunsdon und damit ein adäquater Reiter, gebucht wurde. In Vorbereitung befindet sich Safin, im Vorjahr schon einmal in St. Moritz erfolgreich, dem man einen Neusser Start noch erspart hatte, weil er erst Anfang Dezember wieder ins Training gekommen war, nachdem er im letztjährigen Grand Prix in Dielsdorf an die Innenrails gedrückt worden war und eine Gleichbeinfraktur erlitten hatte.

Die Verletzung ist ausgestanden, jetzt steht ein Fragezeichen hinter der Fitness. Besitzer Paul Zöllig, der stets mit Ausnahme seiner Dreijährigen etliche Pferde auf Schnee laufen lässt, möchte auch Safin in Aktion sehen, worauf Carmen Bocskai ein 1600-Meter-Rennen als Aufgalopp ausgesucht hat. Danach wird man weiter entscheiden. „Der Untergrund ist St. Moritz ist oftmals löchrig und uneben, wie tiefer Boden, und eigentlich nichts für Pferde, die schon einmal etwas an den Beinen hatten“, gibt die Trainerin zu bedenken.

Stichwort Fegentri: Nathalie Friberg, eine 30-jährige Grundschullehrerin („unglaublich engagiert und riesig verbessert“), die täglich am Bocskai-Stall ausreitet, wird 2005 die Schweizer Interessen bei der Weltmeisterschaft der Amateurrennreiterinnen wahrnehmen. Die vorher als hoffnungsloser Fall betrachtete Reiterin hat es im Vorjahr immerhin zur Vize-Championesse geschaft und wird die Schweiz im Ausland vertreten, da Championesse Chantal Zollet lieber in der Heimat bleibt.

Mehr Pferde heißt auch mehr Personal. Neben Chantal Gerwer, einer 17-jährigen Besitzertochter, die als kommende Championesse gepriesen wird, wird das Team vervollständigt durch die Auszubildende Milene Gerussi sowie durch das Ehepaar Foley. Sandra, eine feste Arbeitskraft, war einst auch der Grund, weshalb Dennis in die Schweiz kam. Älteren Turffans in Deutschland ist er noch bekannt als langjähriger Pfleger des herausragenden Lirung.

Er arbeitete u. a. für die Trainer Heinz Jentzsch und Bruno Schütz. Und von daher datiert auch die schon viele Jahre bestehende Freundschaft zwischen Georg Bockai und Dennis Foley, der dem Rennsport gänzlich Ade gesagt hat, doch in seiner Freizeit überall anpackt, wo Not am Mann ist. „Ein guter Freund und langjähriger Wegbegleiter. Sandra und er freuen sich über jeden Erfolg des Stalles und schuften wie die Berserker“, erhalten sie ein dickes Lob.

So hart der Konkurrenz unter den Trainern auch ist, eines brauchen sie nicht zu fürchten: Dumpingpreise, wie man z. B. von Deutschland kennt. „Die Besitzer bezahlen pünktlich und korrekt. Sie wissen aber auch, dass man ohne das Geld ihre Pferde nicht füttern könnte, zumal die Kosten für Heu, Stroh und Hafer aufgrund von Zöllen doppelt so hoch sind wie in Deutschland“, heißt es dazu.

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