Es gehört zu den unumstößlichen Gesetzmäßigkeiten der Vollblutzucht, dass Produkte von Deckhengsten, die sich aus welchen Gründen auch immer vom Tagesgeschäft verabschiedet haben, plötzlich besonders schnell laufen. Profaner gesagt: Kaum hat es den Vater erwischt, schon gewinnen die Nachkommen ein besseres Rennen nach dem anderen. Und dummerweise kann es dann rechte Geschwister nicht mehr geben.
Beispiele gibt es genug. Gerade war aus Fährhof in diesem Jahr die Kunde gekommen, Acatenango stände für Einsätze nicht mehr zur Verfügung, gewann sein Sohn Blue Canari das französische Derby. Und jeder versuchte sich auf den Auktionen schnell noch ein Produkt zu schnappen, viele gibt es ja nicht mehr. Nur logisch, dass sich diese Woche die Interessenten in Newmarket um von Danehill stammende Hengsten und Stuten regelrecht prügelten, nachdem der überragende Vererber das Zeitliche gesegnet hat.
Im Juli 2002 ist im Nunnery Stud von Hamdan al Maktoum in England Nashwan eingegangen, eines der besten Rennpferde der letzten Jahrzehnte, aber in der Zucht nicht unbedingt modern, zu Lebzeiten wenig geschätzt. Mit einer, gemessen an seinen Chancen, unterschiedlich zu bewertenden Erfolgsbilanz.
Doch es kam, wie es kommen musste: Sein vielleicht bestes Produkt gewinnt jetzt sie großen Rennen: Bago, der dreijährige Hengst der Familie Niarchos, der am Sonntag in Longchamp im Prix de l’Arc de Triomphe eine so erstaunliche Wiederauferstehung gefeiert hat. Nashwan mit dieser Linie erneut zu paaren, das ist nicht mehr möglich, der Jahrgang, der in diesen Tagen auf den Auktionen angeboten wird, ist sein Letzter.
Rückblende: Der Sommer des Jahres 1989 wurde im europäischen Turf nur von einem einzigen Pferd geprägt, dem am 1. Mai 1986 geborenen Blushing Groom-Sohn Nashwan, einem kapitalen Fuchs, der schon zweijährig bei beiden Starts ohne Niederlage blieb. Er hätte schon nicht besser gezogen sein können, seine Großmutter Highclere war die wohlbeste Stute, die Queen Elizabeth II jemals gezogen hatte, die Mutter Height of Fashion war gleichfalls klassische Siegerin und wurde in einem spektakulären Deal von einem Herrscherhaus an das andere verkauft: Von der Queen, aus dessen Zucht inzwischen nicht allzu Aufregendes mehr kommt, an Hamdan al Maktoum.
Height of Fashion mag damals viel Geld gekostet haben, doch sie war jeden Penny wert, brachte sie doch vor Nashwan noch die hervorragenden Alwasmi und Unfuwain, die beide von Northern Dancer stammten.
Zweijährig noch von Neil Graham trainiert, lief Nashwan dreijährig unter Major Dick Hern. Graham war Herns Assistent und der Major hatte sich 1988 einer schweren Herzoperation unterziehen müssen, wurde über einen Großteil der Saison von Graham ersetzt. Es war ein fulminantes Jahr das Nashwan hinlegte, wobei er wie schon zweijährig bei jedem Start von Willie Carson geritten wurde.
2000 Guineas (in der sehr schnellen Zeit von 1:36,44 Minuten), Epsom Derby (mit fünf Längen Vorsprung auf den 500:1-Außenseiter Terimon und ein eher durchschnittliches Feld), Eclipse Stakes (gegen weit bessere Konkurrenz, u.a. gegen Indian Skimmer und Warning) und King George VI and Queen Elizabeth Stakes – diese vier Rennen gewann er dreijährig, was zuvor noch nie einem Pferd gelungen war. Er wurde dann Richtung ‚Arc de Triomphe‘ trainiert, doch nach einen Flop im Prix Niel, wo er nur Dritter wurde und die einzige Niederlage seiner Karriere bezog, war trotz aller Diskussionen um weitere Starts Ende, Nashwan, hatte seine Rennlaufbahn beendet.
Er ist bis zum heutigen Tag das Lieblingspferd seines Besitzers Hamdan al Maktoum geblieben, auch weil er so etwas wie den Durchbruch für seine Familie schaffte: Zum ersten Mal ging das Derby an einen Besitzer aus Dubai. ‚Er war ein Gigant in seiner Statur wie auch in seiner Leistung, hatte spektakuläre Bewegungen und eine großartige Aktion‘, schrieben die Kollegen von ‚Timeform‘ in ihrem Jahresrückblick. Willie Carson bezeichnete ihn ‚ohne Zweifel als das beste Pferd, das ich jemals geritten habe.‘
Nashwan kam 1990 in das Nunnery Stud in Norfolk, wo er syndikatisiert wurde, Hamdan al Maktoum aber stets die Majorität der Anteile hatte. Gemessen an den Kosten für die damals ersten Sprünge, war Nashwan 18 Millionen Pfund wert, was ihn zum wertvollsten Deckhengst in Großbritannien machte. Die später teilweise enttäuschenden Jahre, die er als Vererber hatte, änderten aber nichts an der unverändert anspruchsvollen Decktaxe. So kostete er noch in seinem letzten Jahr vergleichsweise stolze 30 000 Pfund.
Immerhin: 19 der 485 namentlich bekannten Fohlen von Nashwan haben Grade- oder Gruppe-Rennen gewonnen, sechs davon auf höchster Ebene. Der beste war bislang sicher der vielfache Grand Prix-Sieger Swain (King George VI ad Queen Elizabeth Stakes), dazu kommen die in den USA zur Championstute aufgestiegene Wandesta (Matriarch Stakes) sowie One So Wonderful (Juddmonte International), Aquaarid (Fillies Mile Stakes) und Nadia (Prix Saint-Alary).
Bago ist somit der Gruppe I-Sieger Nummer sechs. Er ist das erste Fohlen der Nureyev-Tochter Moonlight’s Box, gleichfalls Erstling, Tochter der Coup De Genie, die zuvor bereits vier Stakes-Sieger gebracht hat: Snake Mountain (von A P Indy, zwei Grade III-Siege in den USA), Glia (von A P Indy, Zweite in den Mrs Revere Stakes, Gr. II), Loving Kindness (von Seattle Slew, Siegerin im Prix Cabourg, Gr. III, Dritte im Prix Morny, Gr. I) und Denebola (von Storm Cat, Siegerin im letztjährigen Prix Marcel Boussac, Gr. I).
Coup de Genie selbst hat den Prix Morny und den Prix de la Salamandre gewonnen, ist eine rechte Schwester des Champions Machiavellian. Sie ist Halbschwester zu Exit to Nowhere und Ocean of Wisdom, beides Deckhengste. Ohne Zweifel ein exzellentes Pedigree, wobei anzuführen ist, dass Moonlight’s Box aktuell einen Jährlingshengst von Hernando hat.
Wie gut Bago im Vergleich zu anderen ‚Arc‘-Siegern ist, wird vielleicht noch die Zukunft zeigen. Seine Umgerbung zielt auch in den Tagen nach dem Rennen in Longchamp unverändert Richtung Breeders‘ Cup, zumal der Hengst sehr gut aus dem schweren Rennen gekommen ist.
Natürlich war es ein großer Triumph für die Familie Niarchos. Maria Niarchos, die Tochter des großen Reeders, konnte nicht anwesend sein, überließ Rennstallmanager Alan Cooper und Gestütsleiter Tim Richardson die Szene in Longchamp. Es war 1979, als Stavros Niarchos das Haras Fresnay-le-Buffard, gelegen an der Grenze der französischen Departements l’Orne und Calvados erwarb. 1903 war es von dem Traberzüchter Maurice Ephrussi gegründet worden, ging 1923 in den Besitz des legendären Marcel Boussac über.
Über dreißig Jahre züchtete der Textilmagnat hier überragende Pferde, war 16mal Champion der Züchter und führte 14mal die Statistik der Besitzer an. Corrida, die ‚Arc‘-Siegerin 1936 und 1937, wurde in dem Gestüt geboren, wie auch Djebel, Ardan, Caracalla und Coronation, spätere Sieger des Rennens in Longchamp.
Mit dem Ende der Ära Boussac gab es auch in Fresnay-le-Buffard, doch mit demEinzug der Familie Niarchos erstrahlte es bald im neuen Glanz. Der große Nureyev deckte dort in seiner ersten Saison, später wurden so gute Pferde wie Common Grounds, Johann Quatz, Hernando, Dream Well, Sulamani, Domedriver und Six Perfections dort gezogen. Als Deckhengste standen dort etwa Procida, Baillamont und Mendez, aktuell sind es Dream Well und Ocean of Wisdom. Rund 40 Mutterstuten in eigenem Besitz plus zwanzig Pensionsstuten stehen in dem Gestüt in der Normandie.
Viele Jahre war der legendäre Francois Boutin der Trainer des Vertrauens von Stavros Niarchos, der in Frankreich zweimal Besitzer-Champion war, seine Zucht viermal, zuletzt 2002. Heute trainieren Pascal Bary, Jonathan Pease und Dominique Sepulchre die Niarchos-Pferde in Frankreich, hinzu kommen Filialen in England und den USA. Bisher langte es zu einem zweiten Platz im Prix de l’Arc de Triomphe, mit Northern Trick (1984 hinter Sagace) und Hernando (1994 hinter Carnegie). Mit Bago hat es jetzt zum ganz großen Treffer gereicht.