Jeden Morgen drehen im Weidenpescher Park zwei Damen ihre Runden. Die eine ist fünf, die andere 28. Die eine ist eine der berühmtesten Vierbeinerinnen der deutschen Turfszene, die andere kennen in der Galopper-Welt fast nur die Insider. Wenn überhaupt. Doch die eine ist maßgeblich am Erfolg der anderen beteiligt. Die eine heißt Proudwings. Die andere Anabelle Utke. Und zusammen sind sie das Super-Team im Stall von Ralf Suerland. Denn jedes Mal, wenn sich die Boxen für Proudwings öffnen und die Stute wieder eine exquisite Leistung auf den Rasen galoppiert, hat Anabelle sie dafür vorbereitet.
Denn die 28jährige reitet Proudwings in der Morgenarbeit. Das tat sie genauso, bevor Proudwings ihr Sieglosen-Rennen gewann wie auch vor dem Erfolg in Newmarket. Egal, ob Superhandicap oder Sussex Stakes. Das spielt keine Rolle. Nicht für Suerland und nicht für Anabelle. Und das "das Mädchen", so wird sie von Suerland freundlich betitelt, ihre Sache gut macht, haben die zahlreichen Erfolg von Proudwings bewiesen.
Seit 23 Jahren sitzt Anabelle Utke schon auf dem Rücken von Pferden. 23 Jahre Übung bringt sie also in den Sattel von Proudwings. Übung, die wie bei so vielen Mädchen im Reitstall anfing. Luft der Welt der edlen Vollblüter schnuppert Anabelle erstmals mit 13 Jahren. In den Sommerferien. Mitgenommen von Tante Gudrun an den Stall von Carola Ottlieb. Der Virus Turf hatte sie schnell infiziert. Am heutigen Suerland-Stall beginnt Anabell bei Günter Rosenbusch ihre Ausbildung. Bei Suerland geht es weiter. Und da ist sie heute noch. Auch Rennen hat sie geritten, bei knapp 50 Starts 8 Siege geschafft. Mit Feuerland gelangen sogar zwei Erfolge. Drei wären es auf dem Hengst geworden, wäre sie nicht einmal disqualifiziert worden wäre.
Die härteste Disqualifikation war für Anabelle aber nicht jene mit Feuerland, sondern die von Proudwings in Deauville. Selbst konnte sie nicht mit nach Frankreich reisen, musste in Köln bei einer Taufe bleiben. Im Wettbüro verfolgte sie den Proudwings-Start im Prix Jacques le Marois mit. Und ihr war "gleich klar, dass Proudwings disqualifiziert wird." Dem Jockey Christophe Soumillon gibt Anabelle, die wohl die eine oder andere Träne vergossen haben wird, keine Schuld.
Wenn Anabelle nicht im Sattel sitzt, und das tut sie ziemlich oft, hat mit dem ehemaligen Galopper Tandria auch ein eigenes Reitpferd, steht sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Nach der Ausbildung am Suerland-Stall hat sie sich eine Auszeit genommen und ihre Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht. "Das ist aber viel zu langweilig und die Arbeit fängt viel zu spät an. Erst um acht Uhr." Eine beneidenswerte Einstellung. Und offenbar eine Gabe, die nicht jeder Mensch mitbekommen hat, freiwillig so früh aufzustehen.
Der späte Arbeitsbeginn anderswo ist also auch ein Grund, warum sie die Galopper wählte. Und auch die Tatsache, dass sie jeden Morgen ein Millionen-Pferd reitet, macht ihr keine Sorge: "Entweder ich mag ein Pferd oder nicht. Da spielt es keine Rolle, ob es einen Ausgleich III gewinnt oder fünf Millionen kostet."
Als Reiterin hat sie einen Ausgleich III gewonnen. Als Arbeitsreiterin kann sie einen Gruppe III-Erfolg verzeichnen. Natürlich durch Proudwings. Ihrem Liebling im Suerland-Stall. Live bei einem Start hat sie die Stute erst einmal gesehen. Und zwar in Newmarket. Da mußte Anabelle einfach dabei sein. Da machen auch die 16 Stunden Anreise im Transporter nichts. Gelohnt hat es sich. Und auch am Freitag vor dem Rennen in Ascot heißt es wieder: früh aufstehen. Um 4 Uhr fährt der Transporter ab. Mit dabei natürlich auch Anabelle Utke. Denn sie will dabei sein. Dabei sein, wenn vielleicht eine Gruppe I-Siegerin vom Geläuf der bekanntesten Rennbahn der Welt abgeholt wird, die sie, "das Mädchen", in der Abschlussarbeit geritten hat.