Der erste Dienstag im November, das ist der Tag, an dem in Australien die Uhren stillstehen. ‚Da fiebert unsere ganze Nation‘, sagen die Bewohner von ‚Down Under‘. Grund ist der Tooheys Melbourne Cup, über weite 3200 Meter führender Marathon unter Handicapbedingungen auf der Rennbahn Flemington in Melbourne, das Highlight des alljährlichen Spring Carnivals.
Und die Austragung des Spektakels 2003 schlug alle Rekorde: 122.736 Zuschauer sorgten für eine Rekordkulisse. Soviele Menschen wie nie zuvor machten den Renntag (Beginn war bereits um 10.30 Uhr) zu einer großen Party, wie man es sich als deutscher Turffan kaum vorstellen kann.
Die Melbourne-Masse wurde bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen von annähernd 25 Grad Zeuge eines Stuten-Triumphs der einheimischen Makybe Diva, einer sechsjährigen in Flemington trainierten Lady.
23 Kandidaten waren um 15.10 Uhr in die Boyen eingerückt, der im Vorfeld hochgehandelte Mummify (der defensive Ritt am Samstag auf dieser Bahn in einem Vorbereitungsrennen war seit Tagen Gegenstand von kritischer Berichterstattung gewesen) war in letzter Sekunde ferngeblieben.
Auch aus deutscher Sicht interessierte natürlich in erster Linie der Auftritt von Mamool (Foto). Der Sieger des Großen Bugatti-Preises und Preises von Europa war nach seinen beiden deutschen Gruppe I-Formen der Hoffnungsträger der Godolphin-Flotte auf den ersten Triumph im Melbourne Cup, in dem bis zum zehnten Rang Rennpreise in Höhe von 4,6 Millionen Australian-Dollar ausgeschüttet wurden.
Frankie Dettori steuerte den Hengst, der vom Stallgefährten Millstreet begleitet wurde (ihn hatte der seit einigen Jahren bei Godolphin beschäftigte Billy Newnes im Training geritten) . Rund 76:10 stand Mamool, stand nach dem von Cup-Legende Burt Cummings vorbereiteten Frightening (Shane Dye) in der Favoritenrolle, doch war er ohne Zweifel die ganz große Enttäuschung des Rennens.
Dettori ließ Mamool an zweiter, dritter Stelle des von Zagalia und später von Millstreet angeführten Feldes galoppieren, doch schon ausgangs des Schlussbogens war aus dieser idealen Lage heraus und trotz des gerade noch rechtzeitig abgetrockneten Bodens der Akku des von Saeed bin Suroor trainierten In the Wings-Sohnes völlig leer.
Komplett durchgereicht wurde Mamool bis auf den 23. und damit allerletzten Platz, von Frankie Dettori nahezu angehalten. Eine wahrlich rätselhafte Vorstellung, die in den nächsten Tagen sicher einer genauen Analyse bedarf.
Während Mamool also scheiterte, jubelten wieder einmal die Australier. Und diesmal belegten sogar zwei Stuten die ersten beiden Plätze. Makybe Diva (Glen Boss ritt für Trainer David Hall), eine Desert King-Tochter, rauschte von circa 13. Position aus Mitte der Geraden durch das Feld. Zunächst hatte sie einen beruhigenden Vorsprung, ehe die Riesenaußenseiterin She´s Archie (Scott Seamer) ihr noch dicht auf den Pelz rückte, sie aber nicht mehr erreichte.
Boss, der vor fünf Jahren hier bereits mit Champagne nur mit einem Hals am Cup-Sieg vorbeigeschrammt war, durfte jubeln. Nach 3:19,95 Minuten hatte Makybe Diva den rettenden Hafen erreicht, mit 16 hundertstel Sekunden Vorsprung die Widersacherin in Schach gehalten. 91:10 gab es am Flemington-Toto.
Der siebenjährige Engländer Jardine´s Lookout, den man am Toto wie She´s Archie kaum wahrgenommen hatte, raufte sich nach einem starken Finish von Darryll Holland noch gerade soeben auf Rang drei vor dem Australier Pentastic (war wie einige Kandidaten erst noch am Samstag gelaufen) und der tapfer standhaltenden Zagalia. Frightening (Elfter) baute gründlich ab, Mamool erreichte nach 3:28,10 Minuten den Pfosten, als Makybe Diva fast schon abgesattelt war.
Makybe Diva war schon 2002 als Super-Stute entdeckt worden, hatte mit den Queen Elizabeth Stakes hier im vergangenen Jahr ihren sechsten Sieg in Serie markiert, daran diese Saison zunächst aber nicht anknüpfen können. Nun schaffte sie nach stark aufstrebenden Leistungen zuletzt den Mega-Treffer für das Emily Krstina Pty Ltd Syndicate (ihr Eigner soll sein Geld mit Fish & Chips-Buden verdienen, durfte aber auch mit Wetten auf sein Pferd nun einen Millionengewinn einstreichen).
‚Ich musste nur auf den Knopf drücken‘, schilderte Jockey Glen Boss bei der Pressekonferenz, wies noch einmal daraufhin, dass er schon nach dem guten Laufen im Caulfield Cup mit keinem anderen Jockey habe tauschen wollen, so groß sei sein Vertrauen in Makybe Diva gewesen. Vertrauen, das sein Pferd eindrucksvoll bestätigte und in dem seit 1861 ausgetragenen Melbourne Cup damit auf den Spuren von Media Puzzle wandelte, der vor zwölf Monaten für den Iren Dermot Weld die Trophäe gewonnen hatte.
Doch diesmal durften wieder die Australier feiern. Und es gab angesichts der unvergleichlichen Atmosphäre dieser Veranstaltung (überall gibt es morgens schon spezielle Cup-Frühstücke, Geschäfte richten ihre Öffnungszeiten danach aus, fast jeder Einwohner riskiert eine Wette) kaum jemanden, der den Gastgebern diesen Triumph nicht gegönnt haben dürfte.
Der Melbourne Cup in Australien ist eine andere Turf-Welt, völlig gegensätzlich zur Situation im deutschen Rennsport, in der Wehklagen und wenig Sinn für Innovation derzeit die Oberhand zu besitzen scheinen. Popularität für die Galopper zu schaffen, das ist das Zauberwort.
In Down Under ist der Rennsport-Bazillus längst in Fleisch und Blut der Bevölkerung übergegangen, wo im übrigen fast 50 (!) Parallelveranstaltungen zum Cup im ganzen Land über die Bühne gingen und wo auch im nächsten Jahr am ersten Dienstag im November die Uhren still stehen werden zu einem der größten Sport-Events des fünften Kontinents.